In einer globalen Pandemie und Rezession hätten die Zentralbanken etwas Außergewöhnliches getan: „Sie haben nicht nur ein Sicherheitsnetz unter Risikoanlagen gespannt, sondern den Märkten scheinbar auch jegliche natürlichen Begrenzungen nach oben genommen. Dadurch haben sie die Bildung spekulativer Blasen in zahlreichen Bereichen wie bei Bitcoin und einigen US-Aktien gefördert und es einem Chatroom militanter Kleinanleger ermöglicht, Hedgefonds das Fürchten zu lehren.“ Außerhalb der Finanzmärkte seien zudem in mehreren Ländern die Hauspreise stark gestiegen.
Das hat Fragen über die kurz- bis langfristigen Folgen dieser Politik aufgeworfen. Kurzfristig fällt die Wirtschaftsleistung angesichts der in vielen Teilen der Welt immer noch wütenden Pandemie schwächer aus, als vor einigen Monaten noch erwartet wurde. Mit weiteren BIP-Rückgängen wird gerechnet und die Invesco-Strategen halten ein negatives globales BIP-Wachstum in diesem Quartal für möglich. Zudem habe sich gezeigt, dass die Impfstoffe nicht das erhoffte Wundermittel für ein rasches Wiederhochfahren der Weltwirtschaft sind. Zum einen kommt die Produktion dem Bedarf aktuell noch nicht hinterher, sodass die Massenimpfungen in den Industrieländern einen Großteil dieses Jahres in Anspruch nehmen werden und die Entwicklungsländer möglicherweise bis 2022 oder sogar noch länger warten müssen. Zweitens ist noch nicht klar, ob Geimpfte das Virus noch übertragen können, und drittens besteht die Gefahr neuer Mutationen, bei denen der Impfstoff nicht wirkt. „Ironischerweise sind die Staaten seit Beginn der Impfkampagnen wieder zu strengeren Beschränkungen internationaler Einreisen übergegangen, und von einer Rückkehr zur Normalität scheinen wir weiter entfernt zu sein, als wir vor wenigen Monaten dachten“, so Jackson.
Nach Ansicht der Invesco-Experten werden die Regierungen ihre großzügigen Hilfsleistungen daher so schnell nicht einstellen können und auch die Notenbanken ihre Assetkäufe und sonstigen Liquiditätshilfen im Jahr 2021 weitgehend fortführen müssen. „Aus Sicht der Finanzmärkte mag das eine gute Nachricht sein, schließlich deutet damit alles darauf hin, dass die Zentralbanken weiterhin große Mengen an Vermögenswerten ankaufen werden. Da die Bilanzausweitung aber prozentual nicht mehr so stark ausfallen wird wie im letzten Jahr, könnte dies auch die Märkte weniger stark stützen als zuvor. Dadurch könnte es auch zu Kurskorrekturen kommen“, erklärt Jackson. „Wenn die Zentralbanken nicht immer mehr Vermögenswerte ankaufen, könnten die Märkte enttäuscht reagieren.“
Nach Schätzungen von Invesco haben die „QE5“-Zentralbanken, die in großem Stil Assetkäufe getätigt haben – die US Federal Reserve (Fed), die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of England (BOE), die Bank of Japan (BOJ) und die Schweizer Nationalbank (SNB) – ihre Bilanzen im Jahr 2020 um 8,8 Billionen USD erhöht – eine ähnliche Ausweitung wie während und nach der globalen Finanzkrise, aber von einem deutlich höheren Ausgangsniveau aus.
Jackson zufolge stellt sich daher die Frage, wie die Zentralbanken aus der QE-Tretmühle aussteigen wollen. Mit einem Verhältnis von Bilanzsumme zu BIP von 44% bzw. 35% (nach Schätzungen von Invesco) befänden sich die BOE und die Fed in Bezug auf die Größe ihrer Bilanzen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ihrer Volkswirtschaften in unbekanntem Terrain. Wie der Invesco-Experte erklärt, gingen diese Quoten in der Vergangenheit nicht durch eine Schrumpfung der Zentralbankbilanzen, sondern durch das Wachstum des BIP wieder zurück – ein Prozess, der zumeist mehrere Jahrzehnte in Anspruch nahm. „Die Auswirkungen der Pandemie in Verbindung mit den noch nicht abgebauten Altlasten aus der globalen Finanzkrise könnten bedeuten, dass die Normalisierung der Zentralbankbilanzen noch den größten Teil dieses Jahrhunderts in Anspruch nehmen wird“, so der Investmentstratege.
Selbst das könne eine zu optimistische Bewertung sein, da die Zentralbanken der Industrieländer riskierten, schlechtem Geld gutes Geld hinterherzuwerfen, um ihre selbst gesetzten Inflationsziele zu erreichen – ein Ansatz, der angesichts des demographischen Gegenwinds vermutlich zum Scheitern verurteilt sei.
„Noch bedenklicher ist, dass die Zentralbanken es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, eine Destabilisierung der Finanzmärkte zu verhindern“, sagt Jackson. „Genauer gesagt tun sie alles, was sie können, um Ausschläge nach unten zu verhindern, während sie Aufwärtsbewegungen zulassen oder sogar anheizen. Es scheint, dass die Finanzmärkte, insbesondere die Aktienmärkte, in den entwickelten Volkswirtschaften so wichtig geworden sind, dass man ihren Zusammenbruch aufgrund der Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung und die Wirtschaft über Vermögenseffekte nicht zulassen will.“ Aus Sorge um eine Verstärkung des Abschwungs könnten die Aktienmärkte dadurch in einer Rezession de facto nicht auf ein angemessenes Niveau sinken.
Im Ergebnis bedeute dies, dass die Zentralbanken ihre Unterstützung mit jeder Rezession ausweiten und in tiefen Rezessionen sogar noch einen Gang höher schalten müssen. „Im Versuch, eine Destabilisierung der Finanzmärkte zu verhindern, entfernen sich die Zentralbanken immer weiter von dem, was die meisten von uns in der Vergangenheit als stabiles geldpolitisches Regime betrachtet hätten,” so Jackson. Die einzige Inflation, die diese Politik herbeigeführt habe, sei die der Vermögenspreise. Somit könnten die Zentralbanken unwissentlich die Saat für soziale Unruhen säen, indem sie den Vermögenden helfen, noch vermögender zu werden. Das könne den Populismus stärken und genau die Instabilität zur Folge haben, die die Zentralbanken mit ihrer Politik eigentlich verhindern wollen.