Im Gegensatz zu geläufigen Verweisen auf Bitcoin als „digitales Geld“, „digitales Gold“ oder „neue Form des Geldes“ argumentieren sie, dass Bitcoin im Grunde genommen nichts anderes ist als „ein auf Dollar lautender, rohstoffähnlicher Vermögenswert“, eine hochspekulative Anlageklasse ohne offensichtliche intrinsische, langfristige Vorteile gegenüber anderen Anlageklassen wie Aktien, Anleihen oder Immobilien. Im Jahr 2020 habe der Bitcoin-Preis von den außerordentlichen Liquiditätsinjektionen der globalen Zentralbanken als Reaktion auf die Pandemie profitiert. „Dieser Tsunami der Geldschöpfung hat sich seit März 2020 erheblich auf US-Dollar-Assets ausgewirkt. Unserer Ansicht nach ist Bitcoin auf dieser Welle mitgeritten“, sagt Greenwood.
Institutionelle Investoren, die Bitcoin gekauft hätten, müssten sich auf eine Achterbahnfahrt einstellen: „Wir haben den Eindruck, dass derartige digitale Währungen einfach zu kaufen, aber nur sehr schwer zu verkaufen sind, rechnen hier also mit einer sehr großen Geld-Brief-Spanne, vor allem in einem fallenden Markt.“ Das gelte umso mehr, als der Markt immer noch relativ illiquide sei – mehr als 90 Prozent des aktuellen Bestands an Bitcoins liegen auf rund 2 Prozent der bestehenden Konten in der Blockchain.
Nach Ansicht der Invesco-Experten wird ein wichtiger Test für Bitcoin und andere digitale Währungen sein, wie sie auf eine anziehende Verbraucherpreisinflation und höhere Zinsen reagieren. Angesichts des aktuell starken Geld- und Kreditwachstums halten sie ein solches Szenario in absehbarer Zukunft für wahrscheinlich. „Wir vermuten, dass Bitcoin wieder abstürzen wird, wenn die US-Zinsen in nennenswertem Umfang nach oben drehen“, so Greenwood.
Wie die Invesco-Ökonomen anmerken, hat Bitcoin nicht allein dadurch, dass sein Angebot begrenzt und endlich ist, einen inneren Wert. Und da Bitcoin keine mit der Dividenden- oder Ertragsrendite einer Aktie oder dem Kupon einer Anleihe vergleichbare „Rendite“ habe, seien auch Analysen von Spreadunterschieden unmöglich. Wie Greenwood erläutert, erfüllt Bitcoin auch nicht die drei grundlegenden Merkmale von Geld: eine relative Stabilität als Wertspeicher, Angebotselastizität und eine potenzielle Funktion als Recheneinheit sowie die Möglichkeit, als Tauschmittel verwendet zu werden, um Transaktionen wie Steuerzahlungen oder den Kauf von Vermögenswerten, Waren und Dienstleistungen zu begleichen.
Dass sich Bitcoin nicht wie ein stabiler Wertspeicher verhalte, zeigten die starken Kursausschläge der Kryptowährung mit einer Versiebenfachung im Jahr 2020 und mehreren starken Kurseinbrüchen in der Vergangenheit, zum Beispiel um 80 Prozent von Ende 2017 bis Ende 2018. Auch gebe es potenziell viele digitale Konkurrenten, die den Wert von Bitcoin aushöhlen könnten.
Aus der Makroperspektive betrachtet könne Bitcoin niemals als geeignete Geldmenge für eine Volkswirtschaft fungieren, da der gesamte nominale Bestand an Bitcoin durch seinen ursprünglichen Code begrenzt sei und sich der ausstehende Bestand an Bitcoin nicht steuern ließe. Die Geldmenge müsse jedoch „elastisch“ sein, damit Geschäftsbanken und die Zentralbank mehr Geld schaffen können, um Transaktionen zu erleichtern, wenn die Wirtschaft wächst. Umgekehrt müsse eine traditionelle Zentralbank in der Lage sein, eine gewisse „Disziplin“ über die Geldmenge auszuüben, indem sie die Kreditkonditionen verschärft oder Mittel aus den Geldmärkten abzieht. „Wie bei Gold und Silber gilt auch hier: Wenn Bitcoin als Währung in diesem Sinne dienen sollte, hätte jede starke Aufwertung katastrophale Folgen für die betroffene Wirtschaft“, so Greenwood.
Wie die Invesco-Experten feststellen, erfüllt Bitcoin auch die dritte der grundlegenden Eigenschaften von Geld – die Tauschmittelfunktion – noch nicht. Paypal und Venmo hätten zwar angekündigt, dass Kunden ihre Einkäufe bei Verkäufern der Website mit digitalen Währungen bezahlen können, und Tesla erwäge, die Zahlung für seine Autos in Bitcoin zu akzeptieren. Ein reguläres, weithin anerkanntes und nahezu sofortiges Zahlungsmittel seien Kryptowährungen aber noch nicht. Greenwood führt das unter anderem darauf zurück, dass Transaktionen mit digitalen Währungen über die Blockchain langsam, umständlich und teuer seien. „In diesem Sinne wird Bitcoin in absehbarer Zeit nicht zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten von konventionellem Geld werden“, meint er.
Der Digitalisierung von Währungen gehöre zwar die Zukunft. Erfolgreich würden diese aber nur als Teil des bestehenden Finanzsystems mit einem stabilen monetären Rahmen sein. „Die Gesellschaft wird zwischen zwei potenziellen Architekturen wählen müssen: einem Zahlungssystem mit einer vertrauenswürdigen zentralen Autorität, das heißt, einer Zentralbank, oder einem dezentralen System, ähnlich wie Bitcoin“, sagt Greenwood. Für das Überleben der privat ausgegebenen digitalen Währungen sei ihre künftige Regulierung daher absolut entscheidend.
Die Ökonomen von Invesco bevorzugen den staatlichen Rahmen als wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende private Marktwirtschaft gegenüber einem System, das von privaten Akteuren betrieben wird. So könnten letztere einen Anreiz haben, von einer angemessenen Vermögensabsicherung abzuweichen und in riskantere Vermögenswerte zu investieren, um höhere Renditen zu erzielen. Greenwoods Fazit: „Der Wert der Digitalisierung liegt in der zugrunde liegenden Technologie – der Blockchain – und nicht im Vermögenswert – Bitcoin.“