Wie der Invesco-Experte feststellt, werden die Marktbewegungen ein Jahr nach Kriegsbeginn wieder primär von den Makrofaktoren bestimmt. Die Weltwirtschaft scheint sich auf die veränderte Situation eingestellt zu haben. Die europäischen Staaten sind von den Folgen des Krieges zwar unterschiedlich stark betroffen, bewältigen diese aber insgesamt erstaunlich gut. Mit Chinas Wiederöffnung und der rückläufigen Inflation nimmt die Weltwirtschaft insgesamt wieder mehr Fahrt auf.
Vor diesem Hintergrund sieht Das die Gefahr, dass Anleger die geopolitischen Faktoren aus dem Blick verlieren und sich bei ihrer Vermögensaufteilung zu stark an den Bewertungen, Fundamentaldaten und positiven Entwicklungen orientieren. Damit würden die einschneidenden Folgen dieses Krieges für das globale Machtgefüge und die globale Wirtschaftsordnung übersehen, deren Grundfesten seit der globalen Finanzkrise durch den Brexit, Trumps Handelskriege, COVID und die Spannungen zwischen den USA und China zunehmend erschüttert worden seien.
„Unabhängig vom Ausgang dieses Krieges rechnen wir mit einer stärkeren Segmentierung der Weltwirtschaft. Anleger sollten dies bei der strategischen Vermögensaufteilung in ihren Portfolios berücksichtigen“, erklärt Das, dessen Team drei mögliche Szenarien für den Ausgang des Russland-Ukraine-Konfliktes skizziert hat, die als Orientierungshilfe bei der strategischen Asset Allokation dienen können.
Im ersten Szenario eines ukrainischen „Sieges“ würden die geopolitischen Risiken abnehmen, die geoökonomischen Herausforderungen jedoch bestehen bleiben. Eine offene Frage für den Westen und die Ukraine beträfe die Aussicht auf eine NATO- und EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Um künftige Angriffsansinnen im Keim zu ersticken, müsste die Ukraine möglicherweise bis an die Zähne bewaffnet werden. Eine weitere Unsicherheit beträfe das US-Engagement, das seit der Trump-Ära nicht mehr als gegeben betrachtet werden kann.
Im zweiten Szenario eines russischen „Sieges“ würden die Invesco-Experten mit einem größeren Risiko weiterer Konflikte und einer stärkeren geoökonomischen Zersplitterung rechnen. Sollte Russland das Ruder herumreißen und einen Teil der Ukraine dauerhaft unter seine Kontrolle bringen, müsste die „Rumpfukraine“ stabilisiert und ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet werden. Die Schlagkraft der NATO müsste in diesem Szenario noch mehr gestärkt werden und Westeuropa hätte noch mehr Gründe für eine dauerhafte Abkopplung von Russland. Das Risiko weiterer größerer Konflikte in anderen Ländern könnte zunehmen und nationale Sicherheitserwägungen würden in der globalen Wirtschaftspolitik noch mehr an Bedeutung gewinnen und potenziell neue Handels- oder Investitionshemmnissen zur Folge haben.
Im dritten Szenario einer Pattsituation dürfte die ausbleibende Friedenslösung zu einer dauerhaft angespannten Lage mit regelmäßig aufflammenden regionalen Konflikten führen. In diesem Fall würde Russland vermutlich alles tun, um den Westen so lange wie möglich abzuwehren. Die USA, Großbritannien und die EU wiederum würden die Ukraine unterstützen und das westliche System vor diesen Bedrohungen schützen wollen.
Unabhängig davon, wer den Krieg gewinnt oder ob es zu einer Pattsituation kommt, glaubt Das nicht an eine Rückkehr zur alten Weltordnung. „Die Vorstellung, dass wirtschaftliche Verflechtungen Konflikte verhindern, indem sie Kriege zu teuer machen, hat sich ganz klar als fehlgeleitet erwiesen. Daher dürften wir es künftig mit einer anderen Form der wirtschaftlichen und finanziellen Globalisierung zu tun haben. Die weltweite wirtschaftliche Integration ist jedoch so weit fortgeschritten, dass ein erneuter Kalter Krieg mit einer vollständigen wirtschaftlichen Abkopplung disruptiv, teuer und kontraproduktiv wäre“, so der Invesco-Experte. Er erwartet eine ‚Reglobalisierung‘ – eine Reform der Globalisierung, die mit einer wirtschaftlichen Segmentierung anstelle einer wirtschaftlichen Fragmentierung verbunden wäre. Konkret würde das bedeuten, dass einige Sektoren, Regionen und Volkswirtschaften stärker integriert würden, während andere - zum Beispiel Russland selbst – teilweise entflochten oder vollständig entkoppelt würden.
„Diese Neuordnung der Globalisierung spricht für eine stärkere Diversifikation von Anlageportfolios. Was Anleger vermeiden sollten, sind kurzschlussartige Reaktionen wie eine Übergewichtung des Heimatmarktes oder zu hohe Konzentrationsrisiken“, betont Das. „Anleger sollten die resultierenden Länderrisiken im Blick haben und auf eine größere Risikostreuung und sorgfältige Auswahl und Gewichtung der einzelnen Länderexposures achten.”
Durch eine stärkere Diversifikation über verschiedene Regionen und Sektoren könnten Anleger zum Beispiel von den Wettbewerbsgewinnen Asiens und der Aussicht auf eine höhere Energieeffizienz in Europa bei weltweit unterschiedlichen Energiepreisen profitieren. Außerdem könnten sie damit der Tatsache Rechnung tragen, dass der „Globale Süden“ zu einem wichtigen Schauplatz des Kampfes der Großmächte werden könnte, die hier um Einfluss wetteifern. Diese Länder seien zwar gegen den Krieg, stünden aber nicht auf der Seite des Westens, wenn es um die Isolierung Russlands oder auch die technologische Abkopplung von China geht.
Das Fazit: „Krieg ist unvorhersehbar. Nur wenige haben diesen Krieg erwartet, die meisten rechneten mit einer schnellen Niederlage der Ukraine. Jetzt ist Russland am Verlieren und viele Kriege bleiben ungelöst. Unabhängig vom Ausgang dieses Krieges rechnen wir einer anhaltend unsicheren geopolitischen Lage, die zu höheren staatlichen Ausgaben und verschärfter Regulierung im Bereich der nationalen Sicherheit führen wird. Das wird Handel, Investitionen und Lieferketten genauso betreffen wie den Verteidigungs-, Energie- und Infrastruktursektor. Anleger sollten dies bei ihrer Vermögensallokation berücksichtigen.“
Angesichts der Risiken, die die Rivalitäten, Reibungen und Konflikte zwischen den Großmächten mit sich bringen, würden die Staaten neue Schutzvorkehrungen treffen und Abwehrmaßnahmen ergreifen. Dadurch sei mit höheren Haushaltsdefiziten und einer strengeren Regulierung zu rechnen. Die Investitionsbudgets würden zu größeren Teilen in Maßnahmen zur Stärkung der nationalen Sicherheit einschließlich militärischer Ausrüstung und Kapazitäten sowie zur Sicherstellung verlässlicher, abgesicherter Versorgungsketten fließen.