Relativ hochwertige Anleihen könnten 2023 nicht nur ihrer Funktion als Sicherheitsanker für das Portfolio wieder gerecht werden, sondern auch attraktive Renditen bieten, vor allem in kürzeren Laufzeitsegmenten, dem kapitaleffizienten Bereich der Zinsstrukturkurve.
Nachdem Anleger in der Negativzins-Ära aktiver nach Rendite suchen und dafür in der Regel höhere Risiken eingehen mussten, bieten sich damit jetzt wieder gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches ‚Ernte‘-Modell: Man kauft ein Portfolio von relativ hochwertigen Wertpapieren, pflegt es und erntet die Kupons über einen mehrjährigen Anlagehorizont. Damit bieten sich wieder bessere Aussichten für risikoarme Buy-and-Maintain-Portfolios (Kaufen und Halten) mit relativ geringem Portfolioumschlag.
Investment Grade mit High-Yield-Verzinsung
Am Euro-Anleihemarkt sind die Renditen von Staatsanleihen wie auch von Unternehmensanleihen so hoch wie zuletzt vor rund zehn Jahren. Die Renditen von US-Anleihen sind ebenfalls relativ hoch, erscheinen aber weniger attraktiv, wenn man die Kosten der Währungsabsicherung berücksichtigt.
Besonders günstig erscheint das aktuelle Umfeld für Investment-Grade-Anleihen. Mittlerweile bieten diese die Möglichkeit, Renditen zu erwirtschaften, die zuvor nur mit Hochzins- und Schwellenländeranleihen realisierbar waren, und das zu geringeren Solvenzkapitalkosten.
Tatsächlich entspricht die aktuelle Verzinsung von Euro-Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating inzwischen in etwa der durchschnittlichen Rendite von Euro-Hochzinsanleihen im Zeitraum 2014 bis 2021. Dabei ist das Ausfallrisiko in diesem Segment deutlich geringer: Die höchste jährliche Ausfallrate globaler Investment-Grade-Unternehmensanleihen, die in den Jahren 2002 und 2008 gemessen wurde, betrug lediglich 0,4 Prozent, die von Hochzinsanleihen dagegen 10 Prozent oder mehr1.
Da die Anleihemärkte mit weiteren Zinserhöhungen durch die meisten großen Zentralbanken rechnen, sind die Renditen bei kürzeren Laufzeiten derzeit am höchsten. Betrachtet man ein Drei- oder Fünfjahres-Portfolio mit Investment-Grade-Unternehmensanleihen, so liegt die Indexrendite im schlechtesten Fall bei ca. 4,2 Prozent2, während sich die effektive Duration bei drei bis vier Jahren bewegt.
Eine Diversifizierung der Emittenten und fundierte Bottom-up-Kreditanalysen können dabei zum einen zu einer zusätzlichen Stabilisierung des Portfolios beitragen, durch die größere Streuung zwischen Regionen, Sektoren und Emittenten zugleich aber auch mehr Möglichkeiten zur Alphagenerierung bieten. Ausgefeilte Analysesysteme können dabei helfen, Portfolios im Hinblick auf die potenziellen Renditen innerhalb eines Solvency-II-Budgets weiter zu optimieren.
Überschaubare Risiken
Welche Risiken sind mit dem beschriebenen ‚Ernte‘-Modell verbunden? Zum einen ist denkbar, dass es den Zentralbanken nicht gelingt, die Inflation unter Kontrolle zu bringen. In dem Fall wären weitere Zinserhöhungen erforderlich, was zu kurzfristigen Opportunitätskosten in Bezug auf die Buchrendite führen würde, zugleich aber die Chance mit sich brächte, bei Fälligkeit profitabler zu reinvestieren.
Ein schwächer als erwartetes Wachstum wiederum hätte negative Auswirkungen auf die Fundamentaldaten der Unternehmen. Dadurch entstünden kurzfristige Opportunitätskosten in Bezug auf bestimmte Einstiegspunkte. Eine größere Welle „gefallener Engel“ – also Herabstufungen von Investment Grade auf High Yield – ist jedoch aktuell nicht in Sicht, und durch eine sorgfältige Kreditrecherche und Diversifizierung lassen sich diese Risiken abschwächen. Zudem erhöht ein Fokus auf kürzere Laufzeiten die Transparenz und dürfte den Bedarf an Portfolioumschichtungen verringern.
Evergreen-Portfolios im Vorteil
Aktuell liegen die globalen Renditen nach Berücksichtigung der Kosten der Währungsabsicherung unter denen von reinen Euro-Anleiheportfolios. In den nächsten ein bis zwei Jahren dürften sich die Renditen jedoch annähern, da die Europäische Zentralbank (EZB) dabei ist, die Zinsen stärker anzuheben und zu den USA aufzuschließen.
Aufgrund des Russland-Ukraine-Kriegs und der dadurch ausgelösten Energiekrise sind die Spreads am Euro-Markt im Jahr 2022 stärker gestiegen als in den USA. Mit der Anpassung der Unternehmen an die neue Realität und der wirtschaftlichen Erholung könnte sich diese Spreadausweitung jedoch teilweise wieder zurückbilden.
Nach der unterdurchschnittlichen Performance des britischen Anleihemarktes und der asiatischen Märkte im Jahr 2022 bieten sich zudem auch an diesen Märkten aktuell interessante Anlagemöglichkeiten. Daher spricht einiges für einen flexiblen Ansatz, vor allem für Evergreen-Portfolios, deren Erträge und Fälligkeitserlöse wieder angelegt werden können.
Von Johannes Heib, Leiter Versicherungen Deutschland, Invesco Asset Management, Frankfurt.
1 Quelle: S&P 2021 Annual Global Corporate Default and Rating Transition Study
2 Auf Basis des ICE BofA ML 3-5y Euro Corporate (ER02) Index. Quelle: Bloomberg, März 2023.