Der beispiellose Zugang zu riesigen Mengen an potenziell kursrelevanten Informationen und die allgemeine „Illusion von Kontrolle“ über Anlageergebnisse haben zu zunehmend frenetischen Researchaktivitäten und einem immer hektischeren Handel sowie zu kürzeren Anlagehorizonten in der Investmentbranche geführt, ohne dass dies zu einer Verbesserung der Performance geführt hätte, argumentiert Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research bei Invesco, in der neuesten Ausgabe der Invesco-Publikation Uncommon Truths.
„Wir scheinen auf das Streben nach kurzfristigen Gewinnen programmiert zu sein. Das ist bedauerlich, weil kurzfristige Anlagen an den Kapitalmärkten nicht sinnvoll sind. Die Bandbreite möglicher Ergebnisse in einem Quartal ist enorm, verringert sich jedoch erheblich, wenn sich der Zeithorizont verlängert“, so der Invesco-Experte. „Anstatt es darauf anzulegen, besser informiert zu sein als jeder andere am Markt sollten wir uns für eine Reihe sinnvoller, einfacher Entscheidungshilfen entscheiden und uns an diese halten“, betont er.
Jackson orientiert sich vor allem an den langfristigen Bewertungen. So geht er aufgrund des aktuell attraktiven zyklusbereinigten Kurs-Gewinn-Verhältnisses chinesischer Aktien auch davon aus, dass diese in den nächsten fünf Jahren höhere Renditen liefern werden als US-Aktien.
Fünf Jahre sind jedoch ein Zeithorizont, der die durchschnittliche Haltedauer von Aktienanlagen deutlich übersteigt. Eine Analyse der Investmentexperten des Global Market Strategy Office von Invesco zeigt, dass diese mit dem fortschreitenden Reifungsprozess der Investmentindustrie kontinuierlich gesunken ist: von sechs bis zehn Jahren in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf einen Tiefstand von rund sechs Monaten in den USA und zwei Monaten in Deutschland auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise 2008. Die Haltedauer von Aktien wird als Kehrwert des Aktienumschlags berechnet, d.h. des Werts aller gehandelten Aktien geteilt durch die Marktkapitalisierung.
Obwohl Aktien seit der Finanzkrise im Schnitt wieder länger gehalten zu werden scheinen, kam es mit Ausbruch der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Lockdowns zu einer erneuten Verkürzung der Haltedauer. Dabei bestätigte die insgesamt schlechte Marktperformance im Jahr 2022 die historische Tendenz zu Verlusten für Aktien nach Phasen eines sehr hektischen Börsenhandels. Wie Jackson feststellt, ist die durchschnittliche Haltedauer von Aktienanlagen im Jahr 2022 (in Deutschland) und bisherigen Jahresverlauf 2023 (in den USA und Deutschland) erneut gestiegen.
Der Invesco-Experte sieht mehrere Gründe für die frenetischen Handelsaktivitäten und die Besessenheit, mit der Asset Manager Daten und Nachrichten nach neuen Informationen durchforsten. „Abgesehen von der Ausrede, dass wir jetzt Zugang zu viel mehr Informationen haben und unseren Kunden Wunder versprochen haben, gibt es wichtige psychologische Faktoren für den Wunsch, als proaktiv handelnd wahrgenommen zu werden“, sagt er.
Der erste sei die „Kontrollillusion“ – der Glaube, die künftige Performance der gehaltenen Aktien beeinflussen zu können, wenn man nur genug Informationen sammelt und Unternehmensanalysen durchführt. Indem sie so viele Daten wie möglich erfassen und analysieren, „bessere“ Modelle entwickeln und möglichst viele Unternehmen und Analysten treffen, würden die Investmentmanager diese „Kontrollillusion“ nähren.
„Leider verbessert das nicht unsere Performance, sondern stärkt nur unser Selbstvertrauen“, meint Jackson. So hätten Experimente gezeigt, dass eine bessere Informiertheit erst dann zu höheren Handelsgewinnen führt, wenn sie ein „Insider“-Ausmaß erreicht.
Hinzu komme, dass sich Investmentmanager und Investoren „an kurzfristigen Gewinnen berauschen – und je näher diese Gewinne rücken, desto mehr überwiegt das emotionale gegenüber dem rationalen ‚Ich‘.“ Viele Menschen würden, wenn man ihnen die Wahl gebe, heute 10 oder morgen 11 Euro zu erhalten, lieber gleich die 10 Euro nehmen. Biete man ihnen hingegen an, ihnen in einem Jahr 10 Euro oder in einem Jahr und einem Tag 11 Euro zu zahlen, würden sich viele für die etwas spätere, höhere Zahlung entscheiden.
Jackson zufolge müssten Anleger akzeptieren, dass es kaum möglich ist, den Markt permanent zu schlagen, und ihre Erwartungshaltung entsprechend anpassen. Das sei ein wichtiger erster Schritt hin zu einer weniger volatilen Investmenterfahrung und einer potenziell besseren Investment-Performance. Im zweiten Schritt sollten Anleger ihren Anlagehorizont auf mehrere Jahre anstatt Quartale verlängern.
„Obwohl sich Positionen an die Kursentwicklung anpassen lassen, fahre ich mit meinen gut überlegten, am Jahresanfang formulierten Einschätzungen in der Regel besser als mit späteren Anpassungen in Reaktion auf bestimmte Ereignisse“, so der Invesco-Experte. „Und auch wenn das bei den Kunden zunächst weniger gut ankommen mag, sollte die Performance weniger häufig kommentiert werden. Regelmäßige Berichte sind nichts als Rauschen, um das Rauschen zu erklären.“
Lesen Sie mehr in der Invesco Publikation Uncommon Truths.