»Der defensive Charakter und hohe Dividenden tragen zusätzlich zu einem attraktiven Chance-Risiko-Profil bei. Das Brückenunglück in Italien hat jedoch gezeigt, dass gerade die oft als Stabilitätsfaktor gesehenen staatlichen Rahmenbedingungen auch zu einem Risikofaktor werden können. Dennoch bleiben Investments in Basis-Infrastruktur, zu der auch Mautstraßen gehören, attraktiv.«
Börsengelistete Infrastrukturinvestments, darunter auch Transportinfrastruktur wie Mautstraßen, See- und Flughäfen, bieten Anlegern attraktive Eigenschaften: Diese Unternehmen haben monopolistische Geschäftsmodelle mit lang laufenden Verträgen und damit weitgehend vorhersehbaren Zahlungsströmen. Der defensive Charakter und hohe Dividenden tragen zusätzlich zu einem attraktiven Chance-Risiko-Profil bei. Der Mehrwert einer fundamentalen Analyse in diesem Segment zeigt sich durch die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Brückenunglück in Italien: Gerade die oft als Stabilitätsfaktor gesehenen staatlichen Rahmenbedingungen können durchaus auch zu einem Risikofaktor werden, die daraus resultierenden Kursentwicklungen zu Investitionsmöglichkeiten.
Aktuell im Blickfeld von Anlegern ist der Konzessionär der eingestürzten Polcevera-Brücke in Genua. Der italienische Staat hat bisher nur Informationen zu dem Unglückshergang sowie Pläne zum Wiederaufbau angefordert. Eine Konzessionsauflösung oder Nationalisierung wurde bisher nicht angestoßen. Solche drastischen Maßnahmen würden hauptsächlich aus politischen Gründen ergriffen werden und zur Zahlung einer hohen Entschädigung an den Konzessionär führen.
Tatsächlich haben sich Mautstraßen-Konzessionsverträge in Europa als rechtlich stabil erwiesen. Selbst in weniger eindeutigen Situationen als dem Fall der Polcevera-Brücke kam es zu Einigungen zwischen Konzessionär und Staat, so auch 2013 in Frankreich: Französische Mautstraßenbetreiber wurden damals vom Staat mit einer Verdoppelung der Land-Nutzungssteuer konfrontiert. Die Steuer basierte auf dem Prinzip, dass durch die quasi monopolistische Nutzung öffentlichen Landes zur Errichtung und zum Betrieb von Mautstraßen eine zusätzliche Steuer erhoben werden sollte. Der französische Gerichtshof erklärte dieses einseitige Vorgehen des französischen Staates als unzulässig. Schließlich wurde eine neue Berechnungsmethode nur gegen Kompensationszahlungen, zum Beispiel durch Konzessionsverlängerungen, durchgesetzt. Weitere Beispiele, in denen Eingriffe des Staates durch das Rechtssystem korrigiert wurden, sind auch aus anderen europäischen Ländern bekannt.
Das Unglück in Genua verdeutlicht die Wichtigkeit von Basis-Infrastruktur, zu der unter anderem Straßen, Stromnetze und Telekommunikationseinrichtungen gehören, und veranschaulicht die Risiken, wenn private Unternehmen keine ausreichende soziale Akzeptanz erlangen können. Um die Risiken bei Infrastrukturinvestments zu begrenzen und die am besten positionierten Unternehmen zu identifizieren, sollten auch Nicht-finanzielle Kriterien berücksichtigt werden, die wir aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten im Analyseprozesses einbeziehen. Für Mautstraßen beispielsweise gehören dazu Faktoren wie die Einbeziehung von Interessengruppen, die Sicherheit von Mitarbeitern und Infrastrukturnutzern sowie Unternehmensethik. Wir erwarten von den durch uns finanzierten Unternehmen klare Strategien und einen Erfolgsnachweis. Mit einem soliden rechtlichen Vertragsrahmen und aktiver Auswahl der wettbewerbsstärksten Transportinfrastruktur-Unternehmen bleibt das Umfeld für Mautstraßeninvestitionen attraktiv. Ferrovial aus Spanien und Vinci aus Frankreich beispielsweise gehören wegen ihres großen Potenzials zu den Kerninvestitionen unserer Infrastrukturportfolios. Mit einer Investition in den italienischen Mautstraßenbetreiber SIAS lassen sich aus unserer Sicht während undifferenzierter Preisverzerrungen, wie man sie aktuell in Italien sieht, Zusatzrenditen erzielen: Der Aktienkurs von SIAS leidet derzeit unter der pauschalen Ächtung von Mautstraßenbetreibern in Italien nach dem Brückeneinsturz.
Für Anleger, die lieber etwas ferner der aktuellen negativen Nachrichtenlage bezüglich italienischer Mautstraßen investieren wollen, sind die regulierten Strom- und Gasnetze eine gute Alternative. Betreiber von Hochspannungs- und Gasnetzen sind Eigentümer der Infrastruktur, während Mautstraßenbetreiber auf Vertragsverlängerungen und Neuvergaben angewiesen sind. Pläne, die Versorgung mit erneuerbaren Energien auszubauen, eröffnen Unternehmen wie der italienischen Terna zusätzliches Wachstumspotenzial. In Ländern wie Italien besteht zusätzlich die Möglichkeit, dass Versorgerfirmen ihre Einnahmen wegen gestiegener Zinsen erhöhen können, da die Regulierungsbehörde höhere Vergütungen genehmigen könnte. In diesem Zusammenhang sind positive Kursentwicklungen denkbar, die jedoch beispielsweise bei den Energieversorgern Terna und Italgas bereits teilweise vorweggenommen wurden. Generell bleibt es für sicherheitsbewusste Anleger sinnvoll, börsengelistete Infrastrukturinvestments in ihre Asset Allocation aufzunehmen.
Susanne Linhardt, Senior Portfolio Manager Infrastruktur, BANTLEON