Nachdem lange Zeit mit harten Bandagen gekämpft wurde, hat sich die EU-Kommission im italienischen Budgetstreit überraschend schnell auf einen Kompromiss eingelassen. Brüssel sieht daher vorerst von einem Defizitverfahren gegen Italien ab. Die Vereinbarung sieht folgende Eckpunkte vor:
- Italien strebt für 2019 »nur noch« ein Haushaltsdefizit von 2,04% statt 2,4% an (bis 2021 soll es weiter auf 1,5% gesenkt werden).
- Die Wachstumsprognose, die dem Defizitplan zugrunde liegt, wurde von 1,5% auf 1,0% gesenkt, was der Realität näherkommt.
- Das strukturelle (bzw. konjunkturneutrale) Defizit (ca. 1,8%) bleibt laut den neuen Zahlen gegenüber 2018 unverändert. Die ursprünglichen Planungen Roms sahen einen Anstieg um 0,8%-Punkte und damit einen schweren Verstoß gegen die Fiskalregeln vor.
- Um das im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen niedrigere Defizitziel (bei geringerem Wachstum) zu finanzieren, sind Einsparungen bzw. Zusatzeinahmen in Höhe von 10 Mrd. EUR erforderlich. Davon sollen rund 4 Mrd. EUR über eine spätere Umsetzung der Wahlversprechen erzielt werden (Grundeinkommen und Senkung des Renteneintrittsalters). Darüber hinaus sind Ausgabensenkungen und höhere Privatisierungserlöse vorgesehen.
- Es wird erwartet, dass die italienische Regierung den neuen Haushaltsplan noch in diesem Jahr im Parlament verabschiedet.
- Im Januar wird die EU überprüfen, ob Italien alle vereinbarten Maßnahmen umgesetzt hat. Sollte dies nicht Fall sein, ist die Eröffnung eines Defizitverfahrens weiterhin möglich.
Auch wenn somit Italien immer noch unter Beobachtung steht, ist mit der heutigen Vereinbarung erst einmal ein schwelender Konfliktherd ausgeräumt. Dies hat an den Finanzmärkten zu spürbarem Aufatmen geführt. Der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen zu deutschen Bundesanleihen hat sich seit gestern von knapp 270 auf 255 Bp eingeengt (bei 10-jährigen Laufzeiten). Fraglos positiv zu werten ist, dass die italienische Regierung ihren konfrontativen Kurs korrigiert und sich auf die EU-Kommission zubewegt hat. Mithin zeigte sich die Koalition handlungsfähiger, als allgemein erwartet. Die jüngste Entspannungspolitik dürfte schließlich auch in der Wirtschaft für Erleichterung sorgen.
Dennoch ist das Kind bereits in gewisser Weise in den Brunnen gefallen. Ganz zurückbilden werden sich die Risikoaufschläge nicht mehr (im April lagen sie bei 110 Bp) und die Unsicherheit über den politischen Kurs der Regierung besteht weiterhin fort. Die Beilegung des Budgetstreits dürfte daher kaum der Startpunkt einer neuen Investitionsoffensive der Unternehmen sein, zumal sich die Firmen nach wie vor in einem schwierigen außenwirtschaftlichen Umfeld bewegen (siehe unten).
Negativ zu werten ist vor allem, dass es auch nach der Revision der Budgetpläne bei einer Kehrtwende in der Fiskalpolitik bleibt. Im Unterschied zu den Vorgängern (Renzi, Monti etc.) hat Haushaltskonsolidierung bei der neuen Regierung nicht mehr die oberste Priorität. Vielmehr wird die Schuldenstandquote (Verhältnis von Staatsschulden zu BIP) in den nächsten Jahren auf hohem Niveau verharren. Nach unserer Einschätzung wird sie weiterhin zwischen 131% und 132% pendeln (vgl. Abb. 1). Italien bleibt damit anfällig für ökonomische Krisen und Finanzmarktschocks. Zumal es äußerst fraglich ist, ob die nunmehr angepeilten Haushaltsziele unter den gegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen überhaupt erreichbar sind.
Mit Blick auf die Stabilität der Eurozone dürfte sich die jüngste Vereinbarung zwischen Italien und der EU-Kommission langfristig als Eigentor erweisen. Der Fiskalpakt der Währungsunion war bereits zuvor angeschlagen. Der neue Deal führt ihn aber komplett ad absurdum. Die in vielen Bereichen schwammigen Regelungen sind zumindest in zwei Punkten eigentlich unmissverständlich: Ein Land mit einer Staatsverschuldung von über 60% des BIP muss zum einen sein strukturelles Haushaltsdefizit in Richtung 0,0% senken. Zum anderen sollten deutliche Fortschritte beim Abbau der Schuldenstandquote sichtbar werden. Beides ist im jetzigen Szenario der italienischen Regierung nicht der Fall. Die Politik hat somit eindeutiger denn je die Regeln willkürlich außer Kraft gesetzt.
Die EU-Kommission dürfte dabei nicht zuletzt die Europawahlen im nächsten Jahr im Auge gehabt haben. Hier will man auf keinen Fall den Populisten neue Argumente gegen Brüssel liefern. Darüber hinaus wurde aber auch Rücksicht auf Frankreich genommen. In der zweitgrößten Volkswirtschaft der Währungsunion zeichnet sich ebenfalls ein Verstoß gegen die Fiskalregeln ab, den man nun ebenso »wohlwollend« prüfen kann. Alles in allem riskiert die EU-Kommission jegliche Kontrolle über die Haushaltsplanungen in den Euroländern zu verlieren.
Während der italienische Budgetstreit vorerst beigelegt wurde, ist die Eurozone von konjunktureller Seite mit weiteren Hiobsbotschaften konfrontiert. Das IFO-Barometer sank im Dezember unerwartet deutlich und markierte mit 101,0 Punkten (nach 102,0, Konsensus: 101,7) ein neues Jahrestief. Die Geschäftserwartungen stürzten sogar auf einen 4-jährigen Tiefststand ab (97,3 nach 98,7 Punkten). Das Aufbäumen vom August, als der IFO-Index einen plötzlichen Satz nach oben gemacht hatte, gehört damit endgültig der Vergangenheit an (vgl. Analyse: IFO-Überraschung – kurzes Aufbäumen, aber kein Befreiungsschlag vom 29.08.2018).
Kritisch ist schließlich zu sehen, dass der Pessimismus mittlerweile vom Fahrzeugbau auf sämtlich andere Industriebranchen ausgestrahlt hat (vgl. Abb. 2). In der Autoindustrie war im Dezember zwar entgegen dem Trend ein leichtes Aufatmen zu sehen (offensichtlich wegen den Zollsenkungen in China). Umso schärfer war die Stimmungseintrübung aber in den übrigen Branchen.
Insgesamt unterstreicht die Ifo-Umfrage, dass die deutsche Wirtschaft mit wenig Schwung ins neue Jahr geht und die vielfältigen Einmaleffekte keineswegs die einzigen Störfaktoren sind.
Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON