Die Briten lieben das Wetten. Ganz in diesem Sinne bleibt das Rennen um den Brexit offen. Nach der historischen Niederlage von Theresa May im Unterhaus (selbst ein Drittel der eigenen Partei verweigerte die Zustimmung) ist der aktuelle Austrittsvertag mit der EU wohl endgültig gestorben. Ob sich die Premierministerin halten kann, lässt sich heute noch nicht sagen. In einer ersten Reaktion zeigte sich May einmal mehr unbeeindruckt. Es spricht jedoch zumindest viel dafür, dass frischer Wind erforderlich ist, um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Aber auch für einen möglichen neuen Premier tun sich keine neuen Lösungswege auf:
- Hard Brexit: Diese ökonomisch unvernünftige Option besitzt nach wie vor keine Mehrheit – weder in der Bevölkerung noch unter den Parlamentariern. Der Austrittsvertrag scheiterte nicht nur an den Hard Brexiteers, sondern auch an den Remain-Befürwortern und denjenigen, die sich einen anderen weichen Brexit wünschen. Die EU will ebenfalls nach wie vor einen Hard Brexit vermeiden. Alles in allem ist ein ungeordneter Brexit weiterhin unwahrscheinlich. So sehen es offenbar auch die Märkte. Nach kurzem Schwanken hat sich das britische Pfund wieder stabilisiert und inzwischen sogar leicht aufgewertet.
- Weicher Brexit: Kann ein zweiter Austrittsvertrag ausgehandelt werden? Die EU hat stets verlauten lassen, dass sie Nachverhandlungen ablehnt – verständlicherweise. Nach zwei Jahren zäher Debatten sind sämtliche Argumente ausgetauscht. Es hat sich außerdem gezeigt, dass bei der Irland-Frage offenbar keine für alle Seiten tragbare Lösung zu finden ist. Ein weicher Brexit ist mit dem jüngsten Parlamentsbeschluss nicht einfacher geworden.
- Zweites Referendum: In Anbetracht dessen scheint es fast zwangsläufig auf eine nochmalige Befragung des Volkes hinauszulaufen, obwohl dies der politischen Glaubwürdigkeit schadet. Die mögliche Lancierung eines Referendums wird indes nicht unmittelbar zur Beruhigung der Lage beitragen. Schließlich ist keineswegs sicher, dass die Mehrheit der Briten im zweiten Anlauf einen Brexit ablehnt.
Unabhängig davon, ob ein neuer Austrittsvertrag angestrebt oder ein Referendum abgehalten wird – beides benötigt Zeit. Die Briten dürften daher aller Voraussicht nach um eine Verschiebung des Austrittsdatums bitten, wozu sämtliche EU-Länder zustimmen müssen. Denkbar ist ein neuer Termin am Ende des Jahres. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Briten nochmals an den Europawahlen im Mai teilnehmen müssten.
Alles in allem wird die Unsicherheit über den Brexit-Prozess fortbestehen. In den nächsten Wochen müssen sich Regierung und Opposition zunächst neu sortieren. Zu einer vorrübergehenden Beruhigung dürfte es kommen, wenn das Austrittsdatum verschoben wird. Die heiße Wahlkampfphase im Vorfeld einer möglichen Volksabstimmung würde die Unruhe dann aber erneut schüren.
Die wirtschaftlichen Folgen dieser fortwährenden Hängepartie dürften die gleichen wie in den vergangenen Monaten sein. Das Vertrauen unter den britischen Unternehmen und Verbrauchern ist bereits im Abwärtstrend und wird weiter schwinden. Investitionen werden hinausgeschoben. Das Wachstum wird entsprechend in den nächsten Quartalen einen zusätzlichen Dämpfer erfahren (siehe Abb.) und damit gleichzeitig die Exportnachfrage in der Eurozone belasten. Unser Konjunkturausblick für Deutschland und die Währungsunion wird dadurch indes kaum beeinträchtigt. Wir hatten ohnehin anhaltenden Gegenwind von der britischen Wirtschaft unterstellt. Nicht zuletzt deswegen rechnen wir auch kurzfristig mit einer weiteren konjunkturellen Abkühlung in Europa.
Ob es ab dem Frühjahr zu einer Wiederbelebung kommt, hängt weniger vom Vereinigten Königreich als vielmehr von China ab, dessen Wirtschaft für den globalen Konjunkturzyklus von weitaus größerer Bedeutung ist. Einzig wenn es zu dem nach wie vor unwahrscheinlichen Fall eines Hard Brexit kommt, wird dies ein Schock sein, der jegliche konjunkturelle Erholungstendenz im Keim erstickt.
Die Finanzmärkte sehen die jüngste Entwicklung mit Gelassenheit. Sie rechnen offenbar fest mit einer Verschiebung des Austrittsdatums. Auch wir gehen davon aus. Der Weg dorthin ist aber steinig und zwischendurch dürften sich erneut Ängste vor einem Hard Brexit in Risk-off-Schüben an den Börsen entladen. Die Brexit-Debatte bleibt daher vorerst einer von vielen Risikofaktoren, der für eine defensive Ausrichtung der Asset Allocation spricht.
Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON