Zunächst sah es nach der Veröffentlichung der einseitigen Erläuterung zum gestrigen Zinsentscheid danach aus, als ob die US-Notenbank eine dovishere Haltung eingenommen hätte. So betonten die Währungshüter erneut, dass Konsum und Investitionen an Schwung verloren haben. Gleichzeitig passten sie die Beschreibung des Inflationsumfelds deutlich nach unten an. Neu heißt es nicht mehr, dass sich die Kerninflation nahe des 2%-Ziels bewege, sondern dass sie darunter liege.
Bereits in seinen einleitenden Ausführungen zur anschließenden Pressekonferenz transportierte Fed-Präsident Jerome Powell dann aber eine andere Botschaft. Der jüngste Rückgang der Kerninflation sei wahrscheinlich durch vorübergehende Faktoren begünstigt worden. Entsprechend hält er an der Erwartung einer im Laufe des Jahres wieder anziehenden Teuerung fest.
Des Weiteren wies Powell darauf hin, dass die konjunkturellen Abwärtsrisiken vom Jahresanfang (globale Wachstumsschwäche, Verschärfung der Finanzierungskonditionen, Brexit, Handelskonflikt) etwas abgenommen hätten. Darüber hinaus würden die neusten Daten auf eine wieder anziehende Konsum- und Investitionsdynamik hindeuten. Der Ausblick für die US-Wirtschaft bleibe damit freundlich. In diesem Umfeld fühle sich die Fed mit der aktuellen geldpolitischen Ausrichtung wohl und könne geduldig die weitere Entwicklung abwarten.
Der Frage der Journalisten, wie weit die Kerninflationsrate noch fallen müsste oder was notwendig wäre, um die Fed zu einer Zinssenkung zu bewegen, wich Powell mehrfach aus. Damit unterstrich er die neutrale, abwartende Haltung. Vonseiten des FOMC gibt es somit aktuell keine neuen Hinweise, ob der nächste Zinsschritt nach oben oder nach unten gerichtet sein wird, bzw. wie lange die Leitzinsen unverändert bleiben.
Anders sieht es dagegen bei den neusten Wirtschaftsdaten aus. Gestern wurde für das wichtigste US-Konjunkturbarometer – den ISM-Einkaufsmanagerindex der Industrie – ein überraschend deutlicher Rückgang im April von 55,3 auf 52,8 Punkte bekanntgegeben, den tiefsten Wert seit über zwei Jahren. Das Ausmaß der Abschwächung fiel stärker aus als vom Konsensus erwartet und fügt sich in das Bild einer spürbar nachlassenden Konjunkturdynamik ein, das zuvor bereits von einer Reihe regionaler Stimmungsindikatoren gezeichnet wurde (z.B. Philadelphia-Fed- und New York-Fed-Geschäftsklima oder der MNI-Einkaufsmanagerindex für die Region Chicago). Die Aussichten für die Unternehmensinvestitionen, die von der Fed zuletzt noch positiv bewertet wurden, trüben sich damit immer mehr ein (vgl. Abb. 1).
Unsere Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich der Abwärtstrend des ISM-Index bis zum Ende dieses Jahres fortsetzen wird. Ausgehend vom jetzt schon vergleichsweise niedrigen Niveau von knapp 53,0 Punkten dürfte das Konjunkturbarometer dabei auch die Expansionsschwelle von 50,0 Punkten unterschreiten (vgl. Abb. 2). Spiegelbildlich sollte das Wirtschaftswachstum – gebremst durch schwächere Investitionen – nachgeben und unter die inflationsneutrale Potentialrate fallen, die von der Fed auf knapp 2,0% veranschlagt wird.
Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass die Währungshüter in einem derartigen Umfeld wachsender Konjunktursorgen nicht lange zögern, sondern mit einer Zinssenkung gegensteuern (vgl. Abb. 3). Dies wird erst recht dann der Fall sein, wenn die Kerninflationsrate in den kommenden Monaten nicht wie von der Fed erwartet wieder merklich anzieht.
Vor diesem Hintergrund nehmen wir den jüngsten Rückgang des ISM-Einkaufsmanagerindex zum Anlass, unseren Leitzinsausblick anzupassen. Anstatt wie bisher von unveränderten Leitzinsen auszugehen und Zinssenkungen nur als Risikoszenario zu betrachten, sehen wir darin inzwischen das wahrscheinlichere Szenario. Wir rechnen entsprechend im Laufe des 2. Halbjahrs mit einer Reduktion des Zielbands für die Fed-Funds-Rate um 25 Bp auf 2,00% bis 2,25%.
Andreas Busch, Senior Analyst, Bantleon