Unter Kapitalmarktprognosen sind Wechselkursvorhersagen zweifelsohne mit den größten Herausforderungen verbunden. Wie schwierig dieses Unterfangen ist, zeigt sich beispielsweise bei der Konsensusprognose für das Währungspaar EUR/USD zum Ende nächsten Jahres. In den vergangenen elf Monaten haben die Währungsexperten das Ziel kontinuierlich von 1,25 auf 1,15 nach unten geschraubt. Fundamental mögen die Prognostiker die richtigen Maßstäbe angelegt haben. Sowohl die Erwartung über divergierendes Wachstum als auch die Entwicklung des Nominal- respektive Realzinsdifferenzials hätten einen schwächeren US-Dollar zur Folge haben sollen. Doch beide Faktoren, welche normalerweise mittelfristig die Entwicklung zwischen Währungsräumen einigermaßen verlässlich bestimmen, lagen falsch und lassen vermuten, dass im Devisenmarkt anscheinend nur auf eine alte Händlerweisheit dauerhaft Verlass ist: Der Konsensus liegt meistens falsch.
Die globale Verunsicherung durch einen möglichen Brexit, den Handelsstreit zwischen den USA und China sowie die Unruhen in Hongkong ließen den US-Dollar als sicheren Hafen profitieren. Zudem haben die USA im internationalen Vergleich der entwickelten Länder seit dem Jahr 2018 das höchste Zinsniveau. Ideal für ungesicherte Fremdwährungspositionen ist zudem die weltweite expansive Geldpolitik der Zentralbanken, welche auch in EUR/USD die erwartete 1-Jahres-Volatilität auf das Rekordtief von unter 6% aus der Zeit vor der Finanzkrise gedrückt hat. Es bedarf daher einiger makroökonomischer Überraschungen, um die seit Anfang 2018 dauernde Aufwertung des US-Dollars zu beenden.
Einen ersten Vorgeschmack gab es Anfang Oktober, als die Investoren begannen, extreme Risikoszenarien auszupreisen und der Euro um knapp 3% aufwertete. Mit Blick voraus legen die jüngste Veröffentlichung der US-Einzelhandelsumsätze, schrumpfende Unternehmensinvestitionen und negative Wachstumsbeiträge vom Außenhandel nahe, dass das US-BIP-Wachstum im 4. Quartal unter 1,0% sinken wird. Gleichzeitig zeigen mehrere Frühindikatoren aus der Eurozone vermehrt eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in der Eurozone an. Somit könnte sich der Wachstumsimpuls zugunsten der Eurozone wenden, sofern es in irgendeiner Form zu einem Abkommen im Handelskonflikt kommt. Daraus jedoch auf eine unmittelbare Aufwertung des Euros zu schließen, ist zu kurz gegriffen. Vielmehr ist zu befürchten, dass die Anleger aufgrund der Entwicklung in den USA wieder die Furcht vor der Rezession ergreift und der US-Dollar aufgrund seines Status als sicherer Hafen nochmals die Tiefstände des Jahres bei 1,0880 testet. Weil wir eine US-Rezession für unwahrscheinlich halten, gehen wir von einer Bodenbildung unterhalb der Marke von 1,10 aus. Für ein begrenztes Aufwertungspotenzial des US-Dollars sprechen auch die permanenten Verbalinterventionen der US-Regierung sowie die laufende Anklage wegen Amtsvergehen gegen Präsident Donald Trump, die zusehends an Dynamik gewinnt.
Positiv für den Euro dürfte sein, dass sich die Wirtschaft der Eurozone im kommenden Jahr beleben wird. Das zeigen zumindest unsere weit in die Zukunft blickenden Frühindikatoren an. Das Feld hierfür ist aufgrund der ultraexpansiven Politik der EZB bereits bestellt. Während in der Eurozone die Binnennachfrage mittlerweile die Wirtschaft stützt und in Deutschland maßgeblich half, eine technische Rezession im 3. Quartal 2019 zu vermeiden, dürfte eine Wiederbelebung des Exports das Wachstum im kommenden Jahr beschleunigen. Damit einhergehend wird die Notwendigkeit für die ultraexpansive Geldpolitik der EZB vermehrt infrage gestellt werden, während die US-Notenbank höchstwahrscheinlich am aktuellen Zinsniveau festhalten wird und sich das US-Wachstum der Mittelmäßigkeit im Rest der Welt angleichen sollte. Dies hätte das Potenzial, die Aufwertung des US-Dollars gegenüber dem Euro Anfang 2020 zu beenden. Im weiteren Verlauf des Jahres 2020 ist das Erreichen der Marke von 1,18 in EUR/USD gut möglich.
Tobias Frei, Senior Portfolio Manager, Bantleon