Schwer getroffen von der Pandemie
Die USA wurden von der Coronavirus-Pandemie schwer getroffen. Weil die Politik zunächst nur zögerlich mit Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen reagierte, konnte sich das Virus stark verbreiten. Die Vereinigten Staaten sind in der Folge mit inzwischen knapp 2,3 Mio. bestätigten Infektionsfällen trauriger Spitzenreiter in der Welt. Auch in Relation zur Bevölkerungsgrösse liegen die USA mit 6.800 gemeldeten Infizierten pro 1 Mio. Einwohner ganz weit vorne (zum Vergleich: jeweils rund 4.000 in den europäischen Hotspots Italien und Grossbritannien).
Abb. 1: Coronavirus-Pandemie klingt in den USA nur langsam ab
Quellen: Johns Hopkins University, Bantleon
Trotz der anfänglichen Versäumnisse gehen die Infektionszahlen seit Mitte April dank der schliesslich verhängten Lockdown-Massnahmen wieder zurück. Verglichen mit den Fortschritten, die in den meisten Ländern Europas gemacht wurden, fällt die Besserung zwar nur moderat aus und ist zuletzt sogar ins Stocken geraten (vgl. Abb. 1). Verantwortlich dafür sind eine Reihe von Bundesstaaten, in denen die Fallzahlen wieder zunehmen (z.B. Kalifornien, Texas, Florida). Die Behörden liessen sich dadurch aber nicht davon abhalten, in fast allen Landesteilen die Kontaktbeschränkungen Schritt für Schritt zu lockern.
Abb. 2: Noch nie ist die Arbeitslosigkeit in den USA so schnell und so stark gestiegen
Quellen: BLS, Bantleon
Die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns waren gravierend. Weltweites Aufsehen erregte die Arbeitslosenquote, die in einer ersten Reaktion im April in nie dagewesenem Ausmass auf 14,7% in die Höhe schoss – auf den mit Abstand höchsten Wert in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Abb. 2)[1]. Besonders betroffen waren dabei Geringqualifizierte bzw. Bezieher niedriger Einkommen.
Nicht zuletzt, weil die sozialen Sicherungssysteme in den USA weit weniger gut ausgebaut sind als in Europa, wuchs daher die Sorge, viele US-Bürger könnten selbst bei einem Abklingen der Pandemie wirtschaftlich auf der Strecke bleiben. Wenn sich die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verfestigt, würden der US-Wirtschaft bleibende Schäden zugefügt und die Erholung in die Länge gezogen. Unter anderem hat Notenbankpräsident Jerome Powell mehrfach vor dieser Gefahr gewarnt.
Gute Chancen für einen nur temporären Einbruch
So erschreckend die Rekordarbeitslosigkeit auch erscheint – nichts wird so heiss gegessen, wie es gekocht wird. Im Zuge der inzwischen vorgenommenen Lockerungen bestehen nämlich gute Chancen auf eine dynamische Arbeitsmarkterholung. Das zeigt allein ein genauerer Blick auf die Details der US-Beschäftigungsstatistik, die eine Besonderheit aufweist. So wird in den Zahlen des Bureau of Labor Statistics (BLS) unterschieden, ob ein Arbeitsplatz endgültig oder nur vorübergehend verloren gegangen ist. Werden die lediglich temporär Entlassenen herausgerechnet, schmilzt die Arbeitslosenquote auf magere 3,2% zusammen (vgl. Abb. 2).
Abb. 3: Der Jobmotor ist schon im Mai wieder in Gang gekommen
Quellen: OpenTable, Bantleon
Darüber hinaus zeigt der Arbeitsmarktbericht für den Monat Mai, dass die Rückkehrwelle bereits begonnen hat. Überraschend gab das BLS hier eine Zunahme der Beschäftigung um 2,5 Mio. (nach -20,7 Mio. im April) und einen Rückgang der Arbeitslosenquote auf 13,3% bekannt. Offensichtlich ist die viel zitierte Hire-and-Fire-Mentalität – die im März und April innerhalb kürzester Zeit rund jeden siebten Beschäftigten den Job gekostet hatte – schnell ins Gegenteil umgeschlagen und wirkt jetzt über alle Branchen hinweg positiv (vgl. Abb. 3).
Umfangreiche staatliche Hilfen für private Haushalte schon auf den Weg gebracht
Seinen Schrecken verliert die historisch hohe Arbeitslosigkeit auch dadurch, dass der Staat in die Bresche gesprungen ist. Zwar gibt es in den USA kein Kurzarbeitergeld, das vor allem in Deutschland ein probates Mittel zur Krisenbewältigung ist. Dafür kamen aber viele andere Massnahmen zum Einsatz. So hat die Regierung in Washington die Arbeitslosenhilfe, die in normalen Zeiten allein Aufgabe der Bundesstaaten ist, mit drei unterschiedlichen Programmen kräftig ausgeweitet. Zum einen können neu auch Selbstständige Unterstützungsgeld beziehen. Zum anderen wird die Laufzeit der regulären Programme um 13 Wochen auf bis zu 52 Wochen verlängert. Drittens stockt Washington die Hilfszahlungen bis Ende Juli zusätzlich um 600 USD pro Woche auf, was für den durchschnittlichen Unterstützungsempfänger (ca. 370 USD pro Woche) mehr als eine Verdopplung der erhaltenen Hilfen bedeutet. Dadurch entsteht die paradoxe Situation, dass einige Arbeitslose nun sogar über mehr Geld verfügen, als sie vorher in ihrem Job verdient haben. Zusammengenommen fliessen den Arbeitslosen auf diese Weise knapp 290 Mrd. USD zu (entspricht rund 1,4% des BIP).
Damit aber nicht genug. Obendrauf bekommen die privaten Haushalte auch direkte Hilfe vom Staat. Im April hat das Finanzministerium damit begonnen, jedem Erwachsenen 1.200 USD und zusätzlich pro Kind 500 USD per Scheck auszuzahlen. Rund 170 Mio. steuerpflichtige US-Bürger werden auf diese Weise finanziell unterstützt, in der Summe mit weiteren 290 Mrd. USD.
Abb. 4: Die US-Bürger erhalten vom Staat mehr Geld, als sie ausgeben können
Quellen: BEA, Bantleon
Die kräftigen staatlichen Finanzspritzen spiegeln sich inzwischen in der Einkommensstatistik wider. So wird für die privaten Konsumausgaben im März und April infolge der Ausgangssperren zwar ein Rückgang um knapp 3.000 Mrd. USD ausgewiesen (annualisiert). Gleichzeitig sind die Ersparnisse dank der umfangreichen staatlichen Einkommenshilfen aber um knapp 4.800 Mrd. USD in die Höhe geschossen (vgl. Abb. 4). In einem ersten Schritt ist es somit dem Staat offensichtlich gelungen, die negativen finanziellen Folgen der Coronavirus-Krise für viele US-Bürger abzufedern und damit weite Teile der Bevölkerung vor der Armut zu bewahren.
In den kommenden Monaten dürften weitere Finanzspritzen folgen
Wie schon erwähnt, wird ein Teil der zusätzlichen Arbeitslosenunterstützung lediglich bis Ende Juli gewährt und die meisten der 1.200 USD- bzw. 500 USD-Schecks sind inzwischen verschickt worden. Deswegen schläft der staatliche Rückenwind aber nicht gleich wieder ein. Ganz im Gegenteil: Schon wird an der nächsten Finanzspritze gearbeitet. Das Repräsentantenhaus hat unter demokratischer Führung bereits ein weiteres vielschichtiges Konjunkturpaket im Umfang von über 3.000 Mrd. USD entworfen. Der republikanisch dominierte Senat erteilte diesem Vorschlag zwar umgehend eine Absage. Gänzlich abgelehnt werden von der kleinen Kammer aber vor allem die darin enthaltenen zusätzlichen Hilfen für die privaten Haushalte nicht.
Auch das Weisse Haus hat bereits die Möglichkeit weiterer Direktzahlungen für die US-Bürger in den Raum gestellt, was in Anbetracht der bevorstehenden Präsidentschaftswahl wenig überrascht. Wir halten es daher für sehr wahrscheinlich, dass im Sommer eine neue Runde an Stimulus-Schecks beschlossen wird. Darüber hinaus dürften die zusätzlich gewährten Unterstützungszahlungen für Arbeitslose fortgesetzt werden, wenn auch in geringerem Umfang, um den Anreiz zur Wiederaufnahme einer regulären Beschäftigung zu erhöhen.
Gute Aussichten für den privaten Konsum
Alles in allem ist also zu erkennen, dass die Taschen der US-Bürger in ihrer Gesamtheit – ungeachtet aller zweifellos bestehenden Härtefälle – prall gefüllt sind und wahrscheinlich auch gut gefüllt bleiben.
Abb. 5: In den Augen der Konsumenten ist die Lage am Arbeitsmarkt gar nicht so schlimm
Quellen: Conference Board, Bantleon
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Konsumenten die aktuelle Lage als gar nicht so kritisch wahrnehmen. Zum Ausdruck kommt diese Gelassenheit unter anderem in der Verbrauchervertrauensumfrage des Conference Board. Verglichen mit dem historisch einmalig kräftigen Anstieg der Arbeitslosenquote hat sich die Einschätzung der Befragten zu den Beschäftigungsperspektiven nur wenig verschlechtert (vgl. Abb. 5).
Die entspannte Sicht auf die aktuellen Geschehnisse trägt auch dazu bei, dass die Verbraucher zuversichtlich in die Zukunft blicken. Anders als in Rezessionen üblich, ist in der Erhebung des Conference Board der Teilindex zu den Erwartungen im April und Mai nicht in die Tiefe gerauscht, sondern angestiegen (vgl. Abb. 6). Die historisch beispiellose Wirtschaftskrise ist damit in der Umfrage kaum sichtbar – welch ein Unterschied zur Finanzkrise 2008/2009. Wir sehen uns deshalb in unserer Einschätzung bestätigt, wonach die US-Wirtschaft trotz Rekordarbeitslosigkeit nicht in eine konjunkturelle Abwärtsspirale rutschen wird.
Abb. 6: Die Verbraucher bleiben trotz historischem Konjunktureinbruch optimistisch
Quellen: Conference Board, Bantleon
Nicht nur die Stimmungsindikatoren machen Hoffnung
Die US-Konsumenten bringen ihren Optimismus aber nicht nur in unverbindlichen Umfragen zum Ausdruck. Auch ihr Handeln spiegelt die Zuversicht wider. So hat die Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen – nach einem kurzen Taucher im April – in den vergangenen Wochen wieder kräftig angezogen. Der entsprechende Index des Hypothekenbanken-Verbands erreichte dabei den zweithöchsten Stand in den zurückliegenden elf Jahren. Daraus kann nicht nur auf eine schnelle Wiederbelebung der Bauwirtschaft geschlossen werden (vgl. Abb. 7). Vielmehr zeigt sich, dass es die Verbraucher mit ihren positiven Einschätzungen durchaus ernst meinen.
Gleichzeitig spiegelt die Erholung am Immobilienmarkt einen Wandel im Ausgabenverhalten der US-Bürger wider. Diejenigen Aktivitäten, die sie wegen anhaltender Kontaktbeschränkungen oder andauernder Verunsicherung zurückschrauben (z.B. Restaurantbesuche, gewisse Freizeitaktivitäten), werden durch Mehrausgaben an anderer Stelle ausgeglichen.
Abb. 7: Wer Angst vor der Zukunft hat, würde kein Haus kaufen wollen
Quellen: MBA, Census Bureau, Bantleon
Das zeigte sich jüngst in den Einzelhandelsumsätzen für Mai. So sind die Verkäufe in Baumärkten im April weit weniger zurückgegangen als in anderen Branchen und im Mai gab es sogar einen kräftigen Satz nach oben auf ein neues Allzeithoch (vgl. Abb. 8). Angesichts der guten finanziellen Lage können es sich die US-Bürger offensichtlich leisten, den Zwangsurlaub in den eigenen vier Wänden so schön wie möglich zu gestalten. Je länger dieser Trend anhält, umso mehr wird er auch die Beschäftigungsentwicklung beeinflussen. Zumindest ein Teil der für längere Zeit verloren gegangenen Jobs dürfte in der Folge durch neue Arbeitsplätze in den jetzt boomenden Sektoren kompensiert werden.
Abb. 8: Restaurants unter Druck – Baumärkte im Aufwind
Quellen: Census Bureau, Bantleon
Fazit
Unbestritten wird die US-Wirtschaft durch die Coronavirus-Pandemie schwer gebeutelt, was die historisch hohe Arbeitslosigkeit eindrucksvoll vor Augen führt. Allerdings ist der Staat schnell in die Bresche gesprungen. Bislang ist es ihm gelungen, die aus den Massenentlassungen resultierenden Einkommensverluste vollständig auszugleichen. In den kommenden Monaten dürften weitere staatliche Hilfen folgen. Damit wird gewährleistet, dass der private Konsum eine wichtige Stütze des Wirtschaftswachstums bleibt und keine selbstverstärkende konjunkturelle Abwärtsspirale entsteht. Im Gegenteil: Mit der wieder anziehenden Beschäftigung werden die Amerikaner weitere Zuversicht gewinnen und die zurückgelegten Ersparnisse in Konsum verwandeln. Wir halten daher an unserer Erwartung fest, wonach das BIP-Wachstum nach dem Absturz im laufenden Quartal wieder mächtig anzieht. Bis Ende kommenden Jahres sollte der Einbruch komplett wettgemacht werden.
[1] Laut Statistikamt ist die Arbeitslosenquote sogar genau genommen auf rund 19% angestiegen – wegen Schwierigkeiten bei der Erhebung wird jedoch offiziell ein Wert von »nur« 14,7% ausgewiesen.