US-Inflation: Totgesagte leben länger

Ähnlich wie bei den US-Wachstumsprognosen herrscht auch beim Inflationsausblick derzeit weitgehend Einigkeit. Es wird 2021 mit einer dynamischen Erholung der Wirtschaft gerechnet, die allerdings kaum Teuerungsdruck erzeugt. Während wir die Zuversicht beim Konjunkturausblick teilen – wir liegen hier sogar über dem Konsensus – halten wir die Inflationsskepsis hingegen für nicht gerechtfertigt. Unsere Analysen zeigen, dass der oftmals gezogene Vergleich mit der Entwicklung nach früheren Rezessionen gegenwärtig wenig hilfreich ist. Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld unterscheidet sich deutlich von einer »normalen« Rezession. Unter anderem sollten die umfangreichen staatlichen Finanzspritzen in den kommenden Quartalen einen merklichen Teuerungsschub auslösen. Das hat Konsequenzen für die Geldpolitik: Die Fed dürfte früher als derzeit von vielen erwartet den Fuss vom Gaspedal nehmen. BANTLEON | 04.02.2021 07:51 Uhr
Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist, Bantleon / © Bantleon
Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist, Bantleon / © Bantleon
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Weit verbreitete Inflationsskepsis

Bei den Prognosen zum Wirtschaftswachstum in den USA besteht derzeit eine seltene Einigkeit unter den Analysten. Von der Richtung her wird allenthalben 2021 mit einer dynamischen Erholung gerechnet, sobald die Coronavirus-Pandemie einigermassen unter Kontrolle ist. Lediglich beim Ausmass der Belebung gibt es Unterschiede – wir liegen hier mit unserer Erwartung eines BIP-Wachstums von 5,0% bis 5,5% im laufenden Jahr am oberen Ende der Spannweite.

Abb. 1: Sehr zurückhaltender Inflationsausblick der Fed

Quellen: Fed, BEA, Bantleon

Was die Inflation anbetrifft, herrscht unter den Prognostikern ebenfalls eine relativ grosse Eintracht. Es wird von einer nur langsam anziehenden Teuerung ausgegangen. Der prominenteste Vertreter dieser Auffassung ist die US-Notenbank. Demnach wird der von der Fed präferierte Kerndeflator der privaten Konsumausgaben – der aktuell 1,5% über dem Vorjahr liegt – das avisierte 2%-Ziel erst Ende 2023 erreichen, also in knapp drei Jahren (vgl. Abb. 1). Wir teilen diese Vorhersage einer lange Zeit lethargischen Inflationsentwicklung nicht.

Zur Erläuterung unserer abweichenden Einschätzung werfen wir zunächst einen Blick auf die Faktoren, die von den Inflationspessimisten als Grund für ihre Skepsis angeführt werden. Im Zentrum der Argumentation steht die starke Unterauslastung der Wirtschaft, wie sie typischerweise nach einer Rezession auftritt. Am Ende von Boomphasen kommt es häufig zu Übertreibungen, wie z.B. 2008 am US-Immobilienmarkt. Um diese Ungleichgewichte wieder abzubauen, sind üblicherweise ausgedehnte Abschwungphasen nötig. Die in diesem Zuge entstehende Unterauslastung der Wirtschaft wird anschliessend aufgrund einer sich lediglich zögerlich erholenden Nachfrage meist nur schleppend wieder abgebaut. Nicht zuletzt am Arbeitsmarkt vergeht viel Zeit, bis knappheitsbedingter Aufwärtsdruck auf die Preise entstehen kann.

Abb. 2: Kein kräftiger lohninduzierter Inflationsdruck in Sicht

Quellen: BEA, Bantleon

Diese Sicht kommt unter anderem in einem Phillipskurven-Inflationsmodell zum Ausdruck, wie es auch die Fed verwendet und auf das die neue US-Finanz­ministerin Janet Yellen in ihrer Zeit als Notenbankpräsidentin hingewiesen hat 1. Ein zentraler Einflussfak­tor in diesem Modell ist die Unterauslastung am Arbeitsmarkt. Selbst wenn hier eine relativ zügige Normalisierung unterstellt wird (die Fed sieht die Arbeitslosenquote ähnlich wie wir Ende 2023 wieder nahe am Vorkrisenniveau von 3,5%), folgt daraus, dass die Kerninflation lange braucht, um sich dem 2%-Ziel anzunähern (vgl. Abb. 2).

Aktueller Wirtschaftseinbruch ist nicht vergleichbar mit einer »normalen« Rezession

Aus unserer Sicht vernachlässigen diese Überlegungen jedoch, dass sich das aktuelle konjunkturelle Umfeld in zwei Punkten deutlich von einer »normalen« Rezession unterscheidet.

Abb. 3: Historisch beispiellose Ausweitung des US-Staatsdefizits

Quellen: Bloomberg, Bantleon

So wurde erstens der BIP-Einbruch im Frühjahr nicht durch den notwendigen Abbau einer zuvor entstandenen Übertreibung ausgelöst, sondern durch einen exogenen Schock – den Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. Anders als in früheren Rezessionen hat der Staat daraufhin zweitens umfangreicher und schneller eingegriffen. Unter anderem mit direkten Geldzahlungen an die US-Bürger und einer beispiellosen Aufstockung der Arbeitslosenhilfe konnte die normalerweise in Abschwungphasen einsetzende sich selbst verstärkende Abwärtsspirale verhindert werden. Das beherzte staatliche Eingreifen spiegelt sich auch in der schlagartigen Ausweitung des Staatsdefizits wider, das innerhalb kürzester Zeit in bisher nie da gewesenem Ausmass auf 15% des BIP in die Höhe schoss (vgl. Abb. 3).

Beides zusammen verschafft der bevorstehenden Erholung beispiellos gute Startbedingungen. Im Zuge der ab dem Frühjahr zu erwartenden Lockerungen der Lockdown-Massnahmen dürfte sich die Wirtschaft ausgesprochen dynamisch erholen. Das Wachstum wird kräftig anziehen. Begonnen hatte diese Belebung bereits im 3. Quartal 2020, als das Bruttoinlandsprodukt mit einem annualisierten Plus von 33,4% gegenüber dem Vorquartal schon zwei Drittel des vorangegangenen Einbruchs wettgemacht hatte. Zuletzt sorgte die Zunahme der Neuinfektionen zwar dafür, dass die Erholung merklich an Schwung verlor. Wenn die Pandemie in den kommenden Monaten unter Kontrolle gebracht wird, sollte sich der Aufschwung jedoch mit hohem Tempo fortsetzen.

Abb. 4: Riesige Ersparnisse, weil die US-Bürger das viele Geld gar nicht ausgeben konnten

Quellen: BEA, NBER, Bantleon

Dafür wird vor allem der private Konsum sorgen. Bei den privaten Haushalten ist dank der umfangreichen staatlichen Hilfen ein aussergewöhnlich hoher Sparüberschuss aufgelaufen. Stand Dezember 2020 belief sich dieser auf knapp 1.700 Mrd. USD, was rund 8% des BIP entspricht (vgl. Abb. 4).

Abb. 5: Viel schnellere Erholung als normalerweise nach Rezessionen

Quellen: BEA, Bantleon

In Anbetracht der Ende Dezember auf den Weg gebrachten zusätzlichen Stützungsmassnahmen (u.a. erneute Aufstockung bzw. Verlängerung der Arbeits­losenhilfe sowie nochmalige Einkommensschecks für die US-Bürger) und des angekündigten weiteren Hilfspakets der Regierung unter Joe Biden, werden diese Ersparnisse weiter anwachsen. Sobald die Kontaktbe­schränkungen gelockert werden, dürften die US-Bürger einen grossen Teil der Ersparnisse auflösen und einen regelrechten Konsumboom auslösen. Das Bruttoinlandsprodukt sollte entsprechend Mitte 2021 wieder auf das Ausgangsniveau zurückkehren. Die Gegenüberstellung dieses BIP-Pfades mit dem nach der Finanzkrise 2008/2009 in Abb. 5 unterstreicht, wie untypisch der aktuelle Konjunkturverlauf mithin für eine »normale« Rezessionsphase ist.

Betrachtung einzelner Inflationskomponenten

Die vergleichsweise schnelle Wiederbelebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wird der Preisentwicklung ihren Stempel aufdrücken. Das zeigt sich allein, wenn einzelne Güter- bzw. Dienstleistungsgruppen betrachtet werden. So werden von den Vertretern eines inflationsskeptischen Ausblicks unter anderem die Mieten – die einen grossen Anteil von über 30% am Warenkorb der privaten Haushalte haben – als Argument für einen erst spät anziehenden Preisdruck angeführt. Wegen der aktuell immer noch hohen Arbeitslosigkeit und der Erwartung einer nur langsamen Besserung wird hier in Anlehnung an frühere Rezessionen mit noch lange Zeit niedrigen Steigerungsraten gerechnet. Im Nachgang der Finanzkrise 2008/2009 dauerte es beispielsweise mehrere Jahre, bis die Mieten wieder so kräftig zulegten wie vor der Krise.

Abb. 6: Gute Gründe für bald wieder deutlich steigende Mieten

Quellen: BLS, Bantleon

Werden aber die speziellen Gegebenheiten der aktuellen Situation berücksichtigt, ist dieses Mal von schnelleren Mietpreissteigerungen auszugehen. So wird der genannte Sparüberhang ungeachtet der immer noch relativ hohen Arbeitslosigkeit die Nachfrage nach Wohnraum merklich anschieben. An den deutlich gestiegenen Hausverkäufen ist abzulesen, dass dieser Prozess bereits in Gang gekommen ist. Die Preise befinden sich daher schon jetzt deutlich im Aufwind. Ausgehend von rund +6% im Vorjahresvergleich Ende 2019 ist die Teuerung im landesweiten Durchschnitt innerhalb kürzester Zeit auf bis zu 15% in die Höhe geschossen.

Unser Prognosemodell für die Mieten, das auf der Entwicklung der Hauspreise, der Haushaltseinkommen und der Arbeitslosenquote in den zurückliegenden Monaten basiert, zeigt entsprechend, dass eine deutliche Beschleunigung des Preisauftriebs bei den Mieten in den kommenden Monaten absehbar ist (vgl. Abb. 6). Kurzfristig könnten die Mieten zwar noch unter Druck bleiben, unter anderem weil die von der Regierung Biden verlängerten Möglichkeiten von Mietstundungen bei der Erfassung der Daten einen technischen Dämpfer erzeugen. Mittelfristig sollte es jedoch dynamisch nach oben gehen.

Erweiterung des Standard-Inflationsmodells

Nicht nur für einzelne Ausgabenkategorien lässt sich modellieren, dass die Teuerung wieder zügig anziehen wird. Auch für den Kerndeflator der privaten Konsumausgaben, der im Fokus der Fed steht, kann das bereits erwähnte Phillipskurven-Inflationsmodell erweitert werden, um so die aktuellen Gegebenheiten besser abzubilden. Wir haben das Modell um die Entwicklung des staatlichen Haushaltssaldos und der Immobilienpreise ergänzt. Damit können auch preissteigernde Effekte erfasst werden, die nicht vom Arbeitsmarkt, sondern von der Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ausgehen.

Wie in Abb. 7 zu erkennen ist, sorgen diese Erweiterungen zum einen dafür, dass die Entwicklung des Kerndeflators in der Vergangenheit noch besser erklärt werden kann als durch das Standard-Phillipskurven-Modell. Das Bestimmtheitsmass Rerhöht sich von 0,64 auf 0,82. Das Haushaltsdefizit und die Immobilienpreise erweisen sich mithin als hochsignifikante Erklärungsvariablen.

Zum anderen liegen die Werte im bis Mitte 2023 reichenden Prognosezeitraum deutlich höher. Hierfür ist vor allem der kräftige Anstieg des Haushalts­defi­zits in den vergangenen Quartalen verantwortlich. Das zeigt nochmals die enorme Wucht der Fiskal­po­litik, die einen Nachfrageeinbruch verhindert hat und die einen gewaltigen Konjunkturschub auslösen wird – ein Faktor, der von vielen unterschätzt wird. Daneben schlagen sich die beschleunigten Hauspreissteigerungen inflationstreibend nieder. Auch hier gilt es nochmals zu betonen, dass Hauspreise in Rezessionen normalerweise fallen. Beide Grössen gehen mit Verzögerungen von mindestens zehn Quartalen in die ökonometrische Schätzung ein, sodass keine Annahmen zum weiteren Verlauf dieser Einflussfaktoren unterstellt werden müssen. Allein die bislang zu beobachtende Ausweitung der Staatsverschuldung und die bisherigen Immobilienpreissteigerungen kündigen eine merklich höhere Inflationsdynamik in den kommenden Jahren an.

Abb. 7: Inflationsskepsis ist mit Vorsicht zu geniessen

Quellen: BEA, Bantleon

Fazit

Wie unsere Analysen gezeigt haben, sehen wir gute Gründe für die Annahme, dass sich die Inflationsrate in den kommenden Quartalen anders als nach »normalen« Rezessionen entwickeln wird. Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei den ungewöhnlich umfangreichen fiskalischen Hilfsmassnahmen zu. Hier hat sich ein beispielloser Nachfrageschub aufgebaut, der die Teuerung merklich befeuern wird. Daneben spielt der spezielle Charakter der jüngsten Rezession eine Rolle, die keine langjährige Vertrauenskrise nach sich zieht. Die Erwartung der Fed, wonach der Kerndeflator der privaten Konsumausgaben erst Ende 2023 das 2%-Ziel erreichen wird, können wir daher nicht teilen. Wir gehen stattdessen davon aus, dass diese Marke schon im Laufe des kommenden Jahres erreicht wird. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Kurs der Geldpolitik. Die Fed dürfte früher als von den meisten erwartet den Fuss vom Gaspedal nehmen und mit der Rückführung der Anleihenkäufe beginnen. Auch der Zeitpunkt für die erste Leitzinserhöhung rückt nach vorne.

Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist, Bantleon

Janet Yellen, »Inflation, Uncertainty, and Monetary Policy«, 26. September 2017

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