Sowohl Aktien als auch Anleihen aus den Emerging Markets haben seit November und vor allem im neuen Kalenderjahr sehr stark an Wert gewonnen. Bis Ende Oktober 2020 hatten beide Anlageklassen – gemessen am MSCI Emerging Markets für Aktien und am Bloomberg Barclays EM USD Aggregate Total Return Index für Anleihen – mit 1,13% beziehungsweise 1,81% nur ein mageres positives Jahresergebnis erzielt. Insbesondere im Dezember und im laufenden Jahr folgte ein Kursfeuerwerk, das bis Mitte Februar die Aktienkurse um 30% und die Anleihenkurse um 4% gegenüber dem Stand von Ende Oktober nach oben katapultierte. Jetzt stellt sich die Frage, ob die Zeit für eine Verschnaufpause gekommen ist oder ob weitere Kursgewinne zu erwarten sind.
Auffallend ist derzeit die einseitige Positionierung der Marktteilnehmer, gemessen an den Zuflüssen in Emerging-Markets-Fonds: Seit Ende Oktober sind – unabhängig von der Anlageklasse – enorme Zuflüsse zu verzeichnen. Besonders Investments in China und im asiatischen Raum standen auf den Orderzetteln der Anleger, gefolgt von Anlagen im Rest der Welt und hier besonders Rohstoffproduzenten. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sich diese dynamische Entwicklung fortsetzen wird. Allein schon aus saisonalen Gründen flachen Mittelzuflüsse am Ende des 1. Quartals ab.
Bei den Staatsanleihen werden vor allem höher rentierende Märkte nachgefragt, was mit den tiefen Zinsen in den Industriestaaten zusammenhängt. Jedoch hat der Rückenwind infolge sinkender Zinsen in den Emerging Markets zuletzt etwas nachgelassen. Am Beispiel der Renditen von US-Treasuries wird deutlich, dass der Nachholbedarf von Emerging-Markets-Staatsanleihen bereits deutlich geschrumpft ist: Seit dem Jahreswechsel haben sich die US-Renditen oberhalb von 1% für 10-jährige Laufzeiten etabliert. Damit ergibt sich zwar für Emerging-Markets-Staatsanleihen noch ein Risikoaufschlag von durchschnittlich 270 Basispunkten gegenüber US-Staatsanleihen, aber bis zu den Tiefständen aus dem Jahr 2018 wäre das Einengungspotenzial mit 60 Basispunkten überschaubar. Auch gemessen an den vorausgelaufenen Konjunkturindikatoren haben die Renditeaufschläge aufgeholt, sodass Staatsanleihen aus den Emerging Markets nun im Durchschnitt fair bewertet sind. Gleichzeitig hat die Unterstützung aus der Abwertung des US-Dollars nachgelassen. Wurden Anfang Januar noch Wechselkurse oberhalb von 1,23 gegenüber dem Euro verzeichnet, so tendiert der Greenback nunmehr um die Marke von 1,21 seitwärts.
Es gibt also eine Reihe von Faktoren, die dafür sprechen, dass die Emerging Markets als Anlageklasse den Einbruch im vergangenen Jahr hinter sich gelassen und wieder zu den etablierten Finanzmärkten aufgeschlossen haben. Auch wenn die Rallye bereits weit gelaufen ist, bleiben sowohl Anleihen als auch Aktien aus den Emerging Markets mittelfristig gut unterstützt. Dafür spricht insbesondere, dass der eigentliche Aufschwung der Weltwirtschaft noch aussteht. Dies wird generell Risikoassets weiteren Auftrieb verschaffen. Insbesondere der Aktienindex MSCI World Emerging Markets weist eine sehr enge Korrelation zu den Rohstoffmärkten und hier vor allem zu Kupfer auf. Trifft also unsere Konjunkturprognose zu, so dürften die Kurse von Schwellenländeraktien im Einklang mit den Rohstoffpreisen steigen und sich besser als der breite Index MSCI World entwickeln.
Anleger, die diese Ansicht teilen, können bestehende Positionen halten und bei nachgebenden Kursen ausbauen. Solange das Umfeld tiefer beziehungsweise negativer Zinsen in den Industriestaaten vorherrscht, bleiben die Emerging Markets ein attraktives Anlagesegment.
Alexander Posthoff, Senior Portfolio Manager bei Bantleon