Der Goldpreis erreichte im August 2020 ein neues Allzeithoch bei 2075 US-Dollar je Unze. Hierfür waren eine Reihe von Faktoren verantwortlich, insbesondere die gestiegene Risikoaversion im Zuge der Coronavirus-Pandemie, die Liquiditätsschwemme der Notenbanken und die damit verbundenen rekordtiefen Zinsniveaus. Im 2. Halbjahr ging die Risikoaversion der Investoren merklich zurück und machte einer Euphorie bei Aktien und anderen Risikoanlagen Platz. In der Folge rutschte der Goldpreis bis auf 1676 US-Dollar und konsolidiert seitdem oberhalb der Marke von 1700. Wie geht es in den nächsten Monaten weiter?
Generell ist bekannt, dass ein sehr enger Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Zinsniveau, der Inflationsrate und dem Goldpreis besteht: Fallende oder negative Realzinsen, also die Renditen lang laufender Staatsanleihen abzüglich der Inflationsrate, stützen den Goldpreis stark. Genau dieser Zusammenhang hat aber den Goldpreis zuletzt sinken lassen, denn seit Juli 2020 fielen die Realzinsen nicht mehr, sondern tendierten seitwärts und zuletzt – besonders seit Mitte Februar – sogar aufwärts. Deshalb führten die steigenden nominalen Renditen bei US-Staatsanleihen zu anziehenden realen Renditen und damit zu einer neuen Dynamik beim Goldpreisrückgang.
An diesem Umfeld dürfte sich bis Ende 2021 auch nichts ändern: Tendenziell ist mit weiter steigenden Renditen zu rechnen, weshalb die Realzinsen von einem immer noch historisch niedrigen Niveau weiter steigen sollten. Von dieser Seite geht weiter Gegenwind für den Goldpreis aus.
Allerdings gibt es gleichzeitig auch einige Argumente, die für eine kurzfristige Erholung des Goldpreises sprechen. Denn die Zentralbanken beobachten den Zinsanstieg sehr genau und die jüngsten Äußerungen der EZB deuten an, dass die Geldpolitik kein Interesse an unkontrolliert steigenden Zinsen in der Eurozone hat. Die Fed bestätigte ebenfalls ihr Festhalten an der aktuellen Niedrigzinspolitik. Daher wäre eine Verschnaufpause bei den Renditen denkbar – ein gutes Umfeld für moderat steigende Goldnotierungen.
Hinzu kommt, dass die Inflation weiter leicht steigen dürfte, weshalb der Realzins zumindest kurzfristig nicht weiter anziehen sollte. Darüber hinaus sprechen technische Faktoren für eine Erholung des Goldpreises, denn die weltweiten ETF-Volumina sind auf den niedrigsten Stand seit Juni 2020 gesunken. Somit ist auch die Risikoaversion des vergangenen Jahres weitgehend ausgepreist. Plötzlich auftretende Rückschläge an den Finanzmärkten könnten somit wieder zu einer Flucht in die sicheren Häfen führen, zu denen auch Gold zählt. Bei dieser komplexen Gemengelage sind Kursprognosen noch schwieriger als sonst. Tritt die Unterstützung durch die beschriebenen Faktoren ein, so ist jedoch ein Goldpreis von etwa 1850 US-Dollar bis zum Sommer möglich.
Ob der jüngste kometenhafte Aufstieg der Kryptowährungen dem gelben Edelmetall schadet, ist unklar. Zwar werden Bitcoin & Co gelegentlich als das neue digitale Gold bezeichnet, aber diese Aussage darf bezweifelt werden. Denn obwohl Gold wie auch die Kryptowährungen keinen Ertrag bringt, hat es immerhin einen praktischen Nutzen: In vielen industriellen Anwendungen und in der Schmuckindustrie ist es nicht zu ersetzen. Und während Anleger Gold seit Jahrhunderten als Mittel zum Schutz des Vermögens einsetzen, betrachten sie Bitcoin & Co häufig als rein spekulative Anlage.
Langfristig bleibt Gold als Sicherheitsanker ein wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Asset Allocation, denn neben den oben bereits genannten ist ein Treiber für den Goldpreis aktuell in Vergessenheit geraten: Die Zentralbanken haben sich 2020 mit Käufen zurückgehalten. War in den vergangenen Jahren vornehmlich ein Goldabfluss in Richtung Asien zu beobachten, so dürfte das Interesse an einem Ausbau der Goldreserven inzwischen breiter geworden sein. Auch deshalb könnte der Goldpreis in den nächsten Jahren wieder ein neues Allzeithoch anpeilen.
Alexander Posthoff, Senior Portfolio Manager, Bantleon