Nach einer Aufwertung von fast 8% im 2. Halbjahr 2020 ist mit einer unmittelbaren Fortsetzung des Trends trotz robuster Leistungsbilanzüberschüsse nicht zu rechnen, da sich neben dem Zinsvorteil auch die Kapitalzuflüsse in jüngster Zeit abgeschwächt haben. Einerseits sind die Zuflüsse in den Aktienmarkt rückläufig – China liegt gemessen an den Subindizes von MSCI seit Jahresbeginn 4% hinter dem breiten Emerging-Market-Index – andererseits stagnieren die Zuflüsse in den chinesischen Anleihenmarkt auf hohem Niveau. Eine Fortsetzung der Zuflüsse in festverzinsliche Wertpapiere, die im Jahr 2020 ein wesentlicher Treiber der Aufwertung waren, ist jedoch so gut wie sicher, da ab Ende Oktober eine dreijährige Aufnahmeperiode chinesischer Staatsanleihen in den FTSE Russel WGB Index beginnt. Kurzfristig belastend wirkt hingegen, dass China die Kreditvergabe bremst. Mittelfristig wird dies den Renminbi jedoch stärken, da sich China im Vergleich zu den westlichen Volkswirtschaften in der Krise nur maßvoll verschuldet hat.
Unter dem Strich dürfte der Renminbi im 2. Halbjahr gegenüber dem US-Dollar um 4% weiter aufwerten, sofern sich der politische Konflikt mit den USA nicht verschärft. Wesentlicher Faktor ist neben den Kapitalzuflüssen, dass die chinesische Wirtschaft im 4. Quartal 2021 und im 1. Quartal 2022 mit jeweils 1,3% gegenüber dem Vorquartal wieder stärker wachsen dürfte als die der USA, deren Quartalswachstum auf unter 1,0% zurückfallen sollte.
Euro ist nur auf den ersten Blick im Nachteil
Was bedeutet das für den Wechselkurs EUR/CNY? Eine direkte Prognose ist nicht möglich, da beide Währungen vornehmlich gegenüber dem US-Dollar gehandelt werden und der EUR/CNY-Kurs nur eine Funktion ist. Folglich ist es notwendig, zunächst die EUR/USD-Entwicklung zu prognostizieren. Auf den ersten Blick ist es um den Euro nicht gut bestellt. Während die Kernstaaten der Eurozone gerade mit der dritten Coronavirus-Welle kämpfen, planen die USA für den 4. Juli nicht nur die Feiern zu ihrem Unabhängigkeitstag, sondern auch die für die Befreiung vom Coronavirus. Aufgrund der Versäumnisse der EU bei der Impfstoffbeschaffung wird es in der Eurozone voraussichtlich zwei bis drei Monate länger dauern, bis eine Herdenimmunität eintritt. Darüber hinaus entsprechen die fiskalischen Impulse in der Eurozone nur einem Viertel derer in den USA und sind zudem über einen längeren Zeitraum verteilt. Somit werden die USA das Vorkrisenniveau des Bruttoinlandsproduktes bereits im 2. Quartal dieses Jahres erreichen, während die Eurozone bis zum Jahreswechsel 2021/2022 warten muss. Schließlich hat die EZB zuletzt die Anleihenkäufe nochmals hochgefahren. Die Fed hingegen wird schon bald über die Rückführung der Assetkäufe beraten. Die Märkte haben bereits ihr Urteil gefällt: Die Renditedifferenz 10-jähriger US-Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen ist seit Mitte 2020 auf 180 Basispunkte gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt.
US-Dollar gerät im 2. Halbjahr unter Druck
Dies ist jedoch nur der Blick in den Rückspiegel. Während die Frühindikatoren in den USA ab Jahresmitte ihren Hochpunkt erreichen sollten, ist für das 3. Quartal mit 3,1% und für das 4. Quartal mit 1,7% (jeweils gegenüber Vorquartal) ein wesentlich dynamischeres Wirtschaftswachstum in der Eurozone zu erwarten. Die EZB dürfte ihre Anleihenkäufe bis Ende Juni mit einem Volumen von circa 25 Milliarden Euro pro Woche fortführen und danach sukzessive zurückführen. Mit einer Einstellung der Nettokäufe des Pandemic Emergency Purchase Programme ist Ende März 2022 zu rechnen. Während die Investoren für die EZB bis Anfang 2024 keine Leitzinsänderungen erwarten, ist aus unserer Sicht die erste US-Leitzinserhöhung inzwischen korrekt in den Geldterminmärkten eingepreist. Somit hat der Euro eindeutig das größere Überraschungspotenzial. Zusätzlich dürfte die starke globale wirtschaftliche Erholung die Nachfrage nach dem US-Dollar als sicherem Hafen reduzieren. Belastend könnte zudem Joe Bidens Plan für höhere Unternehmenssteuern wirken, welche die Gewinne der S&P500-Unternehmen um bis zu 10% senken würden. Deshalb sollte der Euro sich im 2. Quartal in einer Handelsspanne von 1,18 bis 1,23 US-Dollar bewegen und danach bis Jahresende Richtung 1,26 US-Dollar steigen.
Insgesamt dürfte der Greenback in der zweiten Jahreshälfte sowohl gegenüber dem Euro als auch gegenüber dem Renminbi um circa 4% bis 5% abwerten. Für den Renminbi, der aktuell bei 7,81 gegenüber dem Euro notiert, bedeutet dies ein stabiles Niveau in der Handelsspanne von 7,70 bis 8,00. Angesichts dieser Prognose bleiben chinesische Staatsanleihen aus Euro-Sicht attraktiv: Mit Renditen auf Endfälligkeit von 2,7% bis 3,0% für 2- bis 5-jährige Laufzeiten wird der Investor für die Währungsschwankungen ausreichend kompensiert.
Tobias Frei, Senior Portfolio Manager, BANTLEON