Der Abschluss des Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU im Dezember 2020 beseitigte einen politischen Unsicherheitsfaktor, der das britische Pfund (GBP) belastete, und vergrößerte wieder das Vertrauen der Investoren in das Vereinigte Königreich. Zudem bestellte Großbritannien nicht nur zeitig genügend Coronavirus-Impfstoff, sondern traf mit der frühen Notfallzulassung und der Priorisierung der Erstimpfung wichtige Entscheidungen, die zu einer schnellen Immunisierung eines Großteils der Bevölkerung führten. In Verbindung mit dem Lockdown-Ausstiegsplan verleiht dies der Wirtschaft bereits im laufenden Quartal einen kräftigen Aufschwung. Entsprechend wertete das britische Pfund gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn um fast 5% auf und die Renditen 10-jähriger britischer Staatsanleihen stiegen deutlich schneller und kräftiger als beispielsweise die Renditen 10-jähriger deutscher Bundesanleihen.
Großbritannien musste zwar infolge der Pandemie im vergangenen Jahr mit fast -10% einen der schwersten Einbrüche des Wirtschaftswachstums verkraften, dürfte aber mit rund 8% in diesem Jahr eine der höchsten Wachstumsraten aller Industrieländer ausweisen. Insbesondere in diesem und im kommenden Quartal sollte Großbritannien gegenüber der Eurozone und den USA positiv überraschen, für deren Wirtschaftswachstum wir in diesem Jahr 5,2% respektive 7,0% erwarten.
Bank von England dürfte vor Fed und EZB den Leitzins anheben
Die Bank von England, die im Gegensatz zu Fed und EZB in der Vergangenheit nicht mit dauerhaft zu tiefen Inflationsraten zu kämpfen hatte, steht jetzt auch weniger unter Druck, die Inflation überschießen zu lassen. Sie prognostiziert ebenfalls gegen Jahresende ein temporäres Überschreiten der 2%-Marke, sieht dies aufgrund gestiegener Energiepreise jedoch als vorübergehend an. In ihrer jüngsten Sitzung gab die Notenbank bekannt, die wöchentlichen Käufe von Staatsanleihen um 1 Milliarde GBP auf 3,4 Milliarden GBP zu senken. Allerdings hielt sie am Volumen der quantitativen Lockerung von insgesamt 895 Milliarden GBP fest und betonte, dass die Reduzierung der Wertpapierkäufe nicht als Straffung der Geldpolitik zu verstehen sei. Für einen Ausstieg benötigt die Bank von England »eindeutige Beweise, dass es signifikante Fortschritte bei der Beseitigung von Kapazitätsreserven und beim nachhaltigen Erreichen des Inflationsziels gibt«. Damit legt sie die Hürden für einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik deutlich tiefer als Fed und EZB, weshalb sie als erste Notenbank bereits Ende 2022 den Leitzins um 25 Basispunkte anheben dürfte.
Trotz des daraus resultierenden Rückenwinds für das britische Pfund scheint der EUR/GBP-Wechselkurs aktuell in einer Spanne zwischen 0,85 und 0,87 gefangen zu sein. Belastend wirken die wieder steigenden Fallzahlen von Coronavirus-Infektionen aufgrund der Ausbreitung der indischen Variante. Deshalb hat die Regierung den letzten Schritt des Lockdown-Ausstiegsplans um vier Wochen auf den 19. Juli verschoben und die Zeitspanne zwischen Erst- und Zweitimpfung von zwölf auf acht Wochen verkürzt, um mehr Menschen vollständig zu schützen.
Ein weiterer Belastungsfaktor für das britische Pfund ist das Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags. Diese Regelung soll verhindern, dass zwischen Nordirland und der Republik Irland, welche Teil des EU-Binnenmarktes ist, wieder eine Grenze entsteht und so das Karfreitagsabkommen gefährdet wird, das seit 23 Jahren Frieden zwischen den Bevölkerungsgruppen in Nordirland garantiert. Großbritannien hat sich verpflichtet, in seinen Häfen Waren zu kontrollieren, die für den Export nach Nordirland bestimmt sind. Zum 30. Juni läuft eine 6-monatige Übergangsfrist ab, jedoch zeigen sich schon jetzt erste Versorgungsengpässe in nordirischen Supermärkten. Während Großbritannien der EU vorwirft, bei der Implementierung der Kontrollen nicht genügend lösungs-orientiert zu arbeiten, beharrt die EU auf der Integrität des Binnenmarktes und droht mit Sanktionen. Die Situation wird sich in den nächsten Wochen wahrscheinlich verschärfen und temporär das britische Pfund belasten – mittelfristig ist jedoch eine Lösung wahrscheinlich.
Mögliches neues Unabhängigkeitsreferendum belastet längerfristig
Ein längerfristiger Belastungsfaktor ist dagegen ein mögliches neues schottisches Unabhängigkeitsreferendum. Die Schotten entschieden sich 2014, im Vereinigten Königreich zu bleiben. Mit dem Brexit, den die Schotten mehrheitlich abgelehnt hatten, flammte das Thema jedoch wieder auf und die Scottish National Party als stärkste Partei treibt ein Referendum voran, gegen das sich der britische Premierminister Boris Johnson heftig wehrt. Eine erneute Abstimmung in den nächsten zwei bis drei Jahren ist aber wahrscheinlich – bis dahin wird das britische Pfund belastet werden. Die Risikoprämie auf das britische Pfund dürfte jedoch deutlich geringer sein als beim Brexit, da der Anteil Schottlands an der Wirtschaftsleistung Großbritanniens gerade einmal 10% beträgt und die schottische Wirtschaft zudem stark von der Erdölindustrie abhängt, die aufgrund des globalen Bestrebens nach Klimaneutralität unter Druck steht.
Sobald sich die kurzfristigen Belastungen von der indischen Variante des Coronavirus und der Implementierung des Nordirland-Protokolls gelegt haben, sollte das britische Pfund um 2% bis 3% gegenüber dem Euro auf circa 0,83 EUR/GBP aufwerten. Auf diesem Niveau wird die Luft jedoch bereits dünn für das britische Pfund, da es unklar ist, wie die Wirtschaft mittelfristig den Brexit verkraftet. Ist doch der Austritt Großbritanniens aus der EU ein struktureller Umbruch, der in seinen historischen Dimensionen der De-Industrialisierung zu Beginn der Thatcher-Ära ähnelt. Da aber auch die Eurozone vor Herausforderungen steht, bleibt das mittelfristige Rennen zwischen beiden Währungen offen.Tobias Frei Senior Portfolio Manager.
Tobias Frei, Senior Portfolio Manager, Bantleon