Die wichtigsten Ergebnisse der heutigen Sitzung:
- Die EZB hat sich bei ihrer heutigen Entscheidung voll und ganz auf die Forward Guidance der Leitzinsen fokussiert. Die Voraussetzungen, um die Leitzinssätze von ihrem aktuellen Niveau anzuheben, wurden nochmals erheblich verschärft. Die Inflation soll nicht nur dem Zielwert von 2% zustreben, sondern ihn spätestens zur Mitte des Prognosehorizonts von zwei bis drei Jahren erreichen und dann auf diesem Niveau verharren. Schliesslich muss der Preisanstieg auch noch breit abgestützt sein, sprich sich in der Kerninflationsrate widerspiegeln.
- In Sachen Anleihenkaufprogramme gab es keine Änderungen im Vergleich zur zurückliegenden EZB-Ratssitzung am 10. Juni. Die PEPP-Käufe werden in erhöhtem wöchentlichen Volumen bis mindestens Ende September fortgesetzt. Von einer nochmaligen Aufstockung oder Verlängerung über März 2022 hinaus ist keine Rede, geschweige denn von einem Nachfolgeprogramm.
Unsere Einschätzung:
Die EZB hat die Latte für Zinsanhebungen ein gutes Stück höher gelegt. Vor allem da die Notenbank nun sogar ein zeitweiliges Überschiessen der Inflationsrate nicht mehr als Handlungszwang ansieht, sofern der Teuerungsdruck zu einem späteren Zeitpunkt des Prognosehorizonts wieder unter 2% sinkt. Insgesamt suggeriert die neue Forward Guidance, die EZB könne die Inflationsrate feinsteuern. Das widerspricht allerdings jeder Erfahrung. In der Regel sind inflationäre Episoden sich selbst verstärkend, d.h. ohne Einschreiten der Geldpolitik neigen sie dazu, an Dauer und Dynamik zuzunehmen. Das bedeutet, die Währungshüter könnten bei einer Fehleinschätzung der Inflationsentwicklung in zwei oder drei Jahren dazu gezwungen werden, stärker auf die geldpolitische Bremse zu treten als bei vorausschauendem Handeln. Das würde zu einer Verstärkung konjunktureller Auf- und Abschwungphasen führen, statt diese zu glätten.
Etwas überraschend gab es keinerlei neue Informationen zum PEPP. Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde wurde während des heutigen Treffens nicht einmal über die Anleihenkäufe diskutiert. Eine Entscheidung, wie es mit den PEPP-Käufen weitergeht, soll erst auf der nächsten EZB-Ratssitzung am 9. September beschlossen werden. Das ist insofern überraschend, als Lagarde noch vor wenigen Tagen sogar ein neues Anleihenkaufprogramm ins Spiel gebracht hatte. Damit bleibt die Forward Guidance zu den Anleihenkäufen im Gegensatz beispielsweise zur Federal Reserve diffus. Die von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos vor einiger Zeit genannten Kriterien für eine Rückführung der PEPP-Käufe wie eine spürbare konjunkturelle Erholung und eine Impfquote von 70% der erwachsenen Bevölkerung der Eurozone scheinen zumindest nicht mehr zu gelten. Denn obwohl Lagarde heute eine sehr zuversichtliche Einschätzung zum BIP-Wachstum im 2. und 3. Quartal abgab und die angegebene Impfquote aller Voraussicht nach bereits im August erreicht wird, wollte sie sich nicht zu einer möglichen Reduzierung der Anleihenkäufe äussern. Die EZB-Präsidentin zog sich stattdessen auf den Standpunkt zurück, die PEPP-Käufe seien so lange nötig, bis die Pandemie vorüber ist. Woran der EZB-Rat das festmachen wird, sagte sie nicht.
Angesichts der gestiegenen Risiken im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Delta-Variante gehen wir inzwischen davon aus, dass das PEPP-Volumen von 1.850 Mrd. EUR voll ausgeschöpft wird. Nach dem voraussichtlichen Ende des PEPP im März 2022 werden die Anleihenkäufe wahrscheinlich in einer anderen Form in reduziertem Umfang fortgesetzt. Vor dem Hintergrund einer zu erwartenden robusten Konjunkturentwicklung im nächsten Jahr sowie unserer Einschätzung eines stärkeren Inflationsanstiegs als von der EZB unterstellt, gehen wir davon aus, dass die Anleihenkäufe im Verlauf des 2. Halbjahres 2022 spürbar zurückgefahren werden. Eine erste Zinsanhebung im Jahr 2023 ist nach wie vor möglich, wenn die EZB ihre langfristigen Inflationsprognosen anhebt. Davon gehen wir im nächsten Jahr aus.
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON BANK AG