Dieses Sammelsurium an Indikatoren kann jedoch auf eine Kerngröße reduziert werden: die anziehende Konjunktur. Mithin hat es sich in den vergangenen zwei Jahren einmal mehr bewährt, im Dschungel der vielfältigen Einflussfaktoren auf einen konjunkturbasierten Ansatz bei der Renditeprognose zu setzen. Die Logik dahinter lässt sich auf einen einfachen Dreiklang herunterbrechen: Zieht 1. die Konjunktur an, nehmen 2. die Inflationsgefahren zu beziehungsweise Deflationsgefahren ab, was 3. die Notenbanken veranlasst, den Fuß vom Gas zu nehmen. Daraufhin steigen die Leitzinserwartungen und die Renditen. Genau das ist in den vergangenen zwei Jahren passiert. Nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie stürzte die Weltwirtschaft im März 2020 auf einen konjunkturellen Tiefpunkt ab. Exakt zu diesem Zeitpunkt haben auch die Renditen von Staatsanleihen ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. 10-jährige US-Treasuries bei +0,31% und 10-jährige Bundesanleihen bei -0,91%. Seitdem befinden sich die Renditen im Einklang mit der konjunkturellen Erholung im Aufwärtstrend.
Renditen bewegen sich in Wellen nach oben
Natürlich gab es bei dieser Aufwärtsbewegung Rückschläge. Die heftigsten fanden im Juli 2021 und im November 2021 statt. Auslöser waren jeweils neue Pandemie-Ängste (zuerst die Delta-, dann die Omikron-Welle), welche die Furcht vor einem nochmaligen weltwirtschaftlichen Absturz schürten. Letztendlich behielt aber der konjunkturelle Aufwärtstrend die Oberhand und damit drehten auch die Renditen wieder nach oben. Dass bis zuletzt Symmetrie zwischen dem Rendite- und dem Konjunkturtrend bestand, ist aus zahlreichen Gegenüberstellungen ersichtlich – etwa zwischen dem Einkaufsmanagerindex und den 10-jährigen Bund-Renditen.
Die Konjunktur gibt seit Jahrzehnten den Takt vor
Wie geht es mit der Renditeentwicklung weiter? War die jüngste Aufwärtsbewegung nur ein kurzes Gastspiel über der Nulllinie? Um dies abzuschätzen, muss man nach den Erfahrungen der Vergangenheit nur wissen, wie sich der Konjunkturtrend entwickelt. Wir gehen davon aus, dass es mit der Abschwächung der Omikron-Welle im Frühjahr nochmals zu einer kräftigen weltwirtschaftlichen Erholung kommt. Diese sollte Staatsanleihen weiter unter Druck setzen und somit spiegelbildlich die Bund-Renditen noch deutlicher über die Nulllinie befördern. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte ZEW-Index für Januar deutet bereits auf ein solches Szenario hin und gibt die Renditerichtung der kommenden Monate vor.
ZEW-Index signalisiert nochmalige Konjunkturbelebung
Im Laufe des 2. Halbjahrs dürfte der konjunkturelle Rückenwind zwar nachlassen, jedoch sollte die Wirtschaft der Eurozone immer noch robust expandieren. Der Rendite-Aufwärtstrend wird sich somit aller Voraussicht nach fortsetzen. Alles in allem müssen Anleger sich bis ins Jahr 2023 hinein auf steigende Renditen einstellen. Die Zeit der Negativzinsen neigt sich damit tatsächlich dem Ende zu. Dies werden die Sparer mit einem lachenden und die Schuldner mit einem weinenden Auge sehen.
Das größte Risiko für eine gegensätzliche Entwicklung ist derzeit die Ukraine-Krise: Marschiert Russland in das Nachbarland ein, wird dies eine Flucht in Top-Staatsanleihen als sichere Häfen auslösen. Die Renditen könnten dann nochmals einen bedeutenden Rücksetzer machen. Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass solche politischen Krisen den übergeordneten Konjunkturtrend am Ende doch nicht aushebeln können. Selbst im Fall einer Eskalation der Ukraine-Krise dürfte eine Renaissance der Negativzinsen nur von kurzer Dauer sein.
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon