Die wichtigsten Ergebnisse der heutigen Sitzung:
- Nachdem die – nahezu wortwörtlich vom 16. Dezember übernommene – Pressemitteilung zur Zinsentscheidung noch den Eindruck vermittelte, die jüngsten Inflationsdaten seien spurlos an den Währungshütern vorübergegangen, zeichnete EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz ein gänzlich anderes Bild der Lage.
- Lagarde sagte unter anderem, der EZB-Rat sei geeint in seiner Sorge hinsichtlich der zuletzt sehr hohen Inflation. Mehrfach betonte sie auch die Bedeutung der neuen Projektionen für Konjunktur und Inflation, die im Vorfeld der März-Sitzung erarbeitet werden. Diese hätten grossen Einfluss auf die weitere Ausrichtung der Geldpolitik.
- Das markanteste Ergebnis der Pressekonferenz war wohl die mehrfache Weigerung der EZB-Präsidentin, ihre Aussage von der Pressekonferenz im Dezember zu wiederholen, die Leitzinsen würden 2022 sehr wahrscheinlich nicht angehoben werden.
Unsere Einschätzung:
Während der Pressekonferenz brannte Christine Lagarde ein regelrechtes Feuerwerk an Argumenten ab, die ultraexpansive Geldpolitik bald neu zu adjustieren. Genau genommen schloss sie Leitzinsanhebungen im laufenden Jahr nicht nur nicht mehr aus, sondern zeigte stattdessen einen konkreten Weg zu diesen auf: mehrfach betonte sie die Aufwärtsrisiken mit Blick auf die Inflation, sie begrüsste den Rückgang der Arbeitslosenquote auf ein Rekordtief, sie bekräftigte die günstigen Konjunkturperspektiven und sie stellte klar, dass das Ergebnis der März-Projektionen entscheidenden Einfluss auf die künftige geldpolitische Ausrichtung haben wird. Explizit sagte sie, Ausmass und Dauer der Anleihenkäufe würden im Licht der im März vorliegenden Projektionen neu beurteilt. Damit hat sie deutlich gemacht, dass der im Dezember in Aussicht gestellte Pfad der Anleihenkäufe bis Ende des Jahres nicht in Stein gemeisselt ist.
Die Wahrscheinlichkeit einer rascheren Anhebung der Leitzinsen hat eindeutig zugenommen. Vor dem Hintergrund unserer eigenen Konjunktur- und Inflationsprognose erwarten wir nach Lagardesheutigem Auftritt einen ersten Zinsschritt bereits im 4. Quartal dieses Jahres. Hierfür müsste der EZB-Rat im März eine mögliche Beendigung sämtlicher Netto-Anleihenkäufe mit Ende des 3. Quartals in Aussicht stellen. Denn an der sogenannten Sequenzierung, sprich Leitzinsanhebungen erst nach Auslaufen der Netto-Anleihenkäufe, wird die EZB festhalten. Das hat die EZB-Präsidentin heute erneut klargestellt. Eine noch frühere Anhebung der Leitzinsen beispielsweise schon im September wäre theoretisch möglich, dafür müsste im März allerdings eine Einstellung der Netto-Anleihenkäufe bereits im Sommer beschlossen werden. Wir halten dies aktuell jedoch für ein Aussenseiterszenario. Schliesslich betonte Lagarde, man sei nicht in Eile was Entscheidungen angehe und werde sich auch nicht zu hastigen Schritten drängen lassen.
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON BANK AG