"Die Blase ist geplatzt", "Das SPAC-Ende ist nah", "Aus und vorbei". So oder ähnlich titeln aktuell viele Finanzmedien hierzulande zur umstrittenen sowie oft unverstandenen Assetklasse SPACs (Special Purpose Acquisition Vehicles). Im Gegensatz zum Tenor der Überschriften sind SPACs bisher die wohl beste Art, Geld im Jahr 2022 anzulegen. SPACs haben bekanntlich im Jahr 2021 etliche Milliarden US-Dollar eingesammelt, die für Übernahmen von privaten Unternehmen vorgesehen sind. Derzeit sind fast 600 solcher Börsenmäntel mit einem Treuhandvermögen von zusammen fast 160 Milliarden US-Dollar auf der Suche nach Kaufobjekten à la Lucid Motors und Virgin Galactic. Der atemberaubende Zuwachs an SPACs hat auch damit zu tun, dass damals niemand mit Rang und Namen den SPAC-Boom verpassen wollte – egal ob Richard Branson, Bill Ackman oder Jay-Z.
Tatsächlich tickt die Uhr nun gegen die SPACs: Die Börsenmäntel haben in der Regel nur ein kurzes Zeitfenster, um mit dem aufgenommenen Geld entweder ein Unternehmen zu kaufen – 12 bis 18 Monate plus kurze Verlängerungen – oder das Geld an ihre Investoren zurückzugeben. Die spekulative Phase an den Märkten ist allerdings vorbei und es wird in diesem Jahr schwieriger sein, willige und würdige Fusionspartner zu finden. Mit fast 100 SPACs, die in diesem Jahr auslaufen und weiteren 300, die in der ersten Hälfte 2023 vor dem Auslaufen stehen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es zu einem Stau bei neuen SPAC-Übernahmen kommt und Rückgaben des aufgenommenen Geldes an die Investoren von der Ausnahme zur Regel werden.
Bei De-SPACs schnitten vor allem Wachstumsunternehmen schlecht ab
Eher durchwachsen sieht es bei bisher über SPACs an die Börse gekommenen Zielunternehmen, den sogenannten De-SPACs, aus. Vielerorts hatte man sich weitaus mehr erhofft von den Börsenparkettneulingen à la HomeToGo und Draftkings. Aber das lag nicht an der Art des Börsengangs, also am SPAC-Vehikel. Wenn man sich die Performance von regulären Börsengängen im Jahr 2021 ansieht – zum Beispiel THG -78%, Auto1 -70%, Robinhood -69% und Deliveroo -60% –, dann scheint die (ehemalige) SPAC-Struktur keineswegs der Grund für die schlechte Wertentwicklung zu sein. Vielmehr war das Umfeld für Börsenneulinge aus dem Wachstumsbereich in den vergangenen Monaten generell schwierig – egal ob sie via traditionellen IPO oder ein SPAC an die Börse gingen. Die Gründe liegen auf der Hand: eine Kombination aus Zinswende, Value-Rotation und genereller Bewertungskompression beziehungsweise Stimmungswandel.
Und wie sieht es mit der vermeintlichen Blase bei SPACs aus? Selbstverständlich wird nicht jedes SPAC einen guten Deal finden. Natürlich wird es Rückzahlungen an die Investoren geben. Und das ist auch gut so. Wir sprechen nicht umsonst seit den Anfängen von SPACs von "Private Equity mit Ausstiegsklausel". Die aktuelle Performance jedenfalls lässt keine Blase erkennen. Fakt ist, dass SPACs seit Jahresanfang die wohl beste Aktiengattung sind. Der Bloomberg-Index "SPACs without Deals" hat in 2022 bislang nur -0,12% eingebüßt, während der MSCI World bei -7,6% steht, der NASDAQ bei -14,1% und die meisten US-Anleihensegmente mit mehr als -3% ebenfalls tiefrot sind. Investoren in reinen SPAC-Strategien haben seit der Auflage meist keinen Cent verloren. Wenn also irgendwo Blasen geplatzt sind, dann an anderer Stelle.
Quasi garantierte annualisierte Renditen von 2% bis 4%
Fakt ist aber auch, dass SPACs im Frühjahr 2020 im Fokus von US-Kleinanlegern standen und dabei ungewollt zum Spekulationsobjekt wurden. Diese Welle ist inzwischen ausgelaufen, der Adrenalinkick vorbei. Damit hat die Institutionalisierung von SPACs begonnen. Unabhängig davon müssen Anleger sich aber fragen, wie hoch die realistische Rendite für ein nahezu risikoloses Investment ist, bei dem Geld auf einem Treuhandkonto sicher verwahrt wird. Wir sprechen von einem Risikoprofil, das dem von Staatsanleihen ähnelt und überhaupt nicht zu NASDAQ & Co. passt. Aktuell bieten SPACs quasi garantierte annualisierte Renditen zwischen 2% und 4% – oft ohne oder mit extrem niedrigem Zinsänderungsrisiko. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um sich mit der derzeit wohl sichersten Assetklasse genauer zu befassen. Aus gutem Grund ist aktuell in den USA das Interesse an SPACs gerade bei eigentlich auf Anleihen fokussierten Investoren groß.
Denn egal, ob Aktien oder Anleihen: Das Fahrwasser am Kapitalmarkt wird in diesem Jahr rauer. Die Finanzmarktteilnehmer preisen beinahe im Wochentakt mehr Zinserhöhungen ein, die Ukraine-Krise rüttelt an den Märkten und bei vielen Aktien würde man sich ein Rückforderungsrecht wie bei SPACs wünschen. Es bleibt ein Rätsel, wie die aktuell sicherste Kajüte auf dem schaukelnden Boot derart missverstanden bleiben kann, während andere Assets auf der Reling balancieren. Das Wall Street Journal nannte SPACs jüngst "Die neuen Geldmarktfonds", die perfekt den "Zeitgeist des aktuellen Marktes spiegeln". Die Financial Times sprach in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit SPACs von der "Sicherheit von Cash, höherer Verzinsung bei gleichzeitiger Upside", eine Kombination die "fast zu schön klingt, um wahr zu sein". Wann die lauten Rufe der Wall Street und der Londoner Square Mile auch deutsche Ufer erreichen, bleibt abzuwarten. Wachsame Anleger sollten aber auf jeden Fall gut hinhören.
Nicht auf eigene Faust investieren
Wenn Anleger an eine Fortsetzung des SPAC-Booms glauben, sollten sie von Direktinvestments die Finger lassen. Nur Profi-Investoren haben das Know-how für die komplexe rechtliche Analyse dieser Vehikel und die hohen Mindestvolumina, um bereits zum IPO das Wunschvehikel zu zeichnen. Besser beraten sind Anleger mit Event-Driven-Fonds, deren Manager die nötige Erfahrung im komplexen Handel mit den SPAC-Units und -Warrants haben. Passive Lösungen wie ETFs, die einen Mix aus SPACs auf der Suche und ehemaligen SPACs anbieten, sind wegen des fehlenden Sicherheitsnetzes in Form des Treuhandvermögens tückischer und im besten Fall hochriskante Anlagen.
Oliver Scharping, Portfolio Manager, Bantleon