Bantleon-Chefvolkswirt zur aktuellen Entwicklung in der Ukraine

Putin hat ernst gemacht. Noch bleibt indes abzuwarten, ob Russland die gesamte Ukraine erobern will oder nur einen Teil (im Osten und Süden). Davon hängt vieles ab. Kommt es nur zu einer kleinen Invasion, könnte der militärische Konflikt schnell vorbei sein. Eine grosse Invasion dürfte sich hingegen über Monate hinziehen. Schenkt man Militärexperten Glauben, ist die gesamte Einnahme der Ukraine selbst für Russland nicht ganz trivial – man denke nur an mögliche Strassenkämpfe in der Millionenstadt Kiew. Auch wenn Putin die Welt nunmehr schon mehrfach eines Besseren belehrt hat, scheint uns ein begrenzter Einmarsch in die Ukraine als das wahrscheinlichere Szenario. BANTLEON | 24.02.2022 17:53 Uhr
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon / © BANTLEON & e-fundresearch.com
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Putin hat ernst gemacht. Noch bleibt indes abzuwarten, ob Russland die gesamte Ukraine erobern will oder nur einen Teil (im Osten und Süden). Davon hängt vieles ab. Kommt es nur zu einer kleinen Invasion, könnte der militärische Konflikt schnell vorbei sein. Eine grosse Invasion dürfte sich hingegen über Monate hinziehen. Schenkt man Militärexperten Glauben, ist die gesamte Einnahme der Ukraine selbst für Russland nicht ganz trivial – man denke nur an mögliche Strassenkämpfe in der Millionenstadt Kiew. Auch wenn Putin die Welt nunmehr schon mehrfach eines Besseren belehrt hat, scheint uns ein begrenzter Einmarsch in die Ukraine als das wahrscheinlichere Szenario.

  • Die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Eurozone bewerten wir wie folgt: Die Verflechtung zwischen der Eurozone und Russland hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren (mit Ausnahme des Energiesektors). Der gesamte Güterexport nach Russland betrug 2021 71 Mrd. EUR, das sind gerade einmal 0,6% des BIP der Eurozone. Selbst wenn die Ausfuhr ganz zum Erliegen käme, wäre der wirtschaftliche Schaden für die Gesamtwirtschaft somit vergleichsweise gering.
  • Bei einem kurzen Krieg sollten auch die negativen Auswirkungen auf das Verbraucher- und Unternehmensvertrauen in der Eurozone begrenzt bleiben. Sobald die Waffen schweigen, dürfte der Schreck nachlassen.
  • Wie stark die Öl- und Gaspreise zulegen werden, ist heute noch nicht abzuschätzen. Die erste Reaktion (Sprung von 98 auf 105 USD bei Brent-Öl) fällt noch relativ verhalten aus. Nach einer Faustformel ist davon auszugehen, dass ein Ölpreisschock um 10% das BIP-Wachstum der Eurozone um 0,1- bis 0,2%- Punkte dämpft. Um einen namhaften Konjunkturrücksetzer zu verursachen, müsste der Ölpreis somit mindestens Richtung 120/130 USD marschieren. Gemildert werden sollten die Belastungen durch anziehende Energiepreise jedoch dadurch, dass die Konsumenten in der Eurozone auf grossen Sparrücklagen (rund 750 Mrd. EUR) sitzen. Daneben wurden von der Bundesregierung bereits gestern Massnahmen getroffen, um den Energiepreisanstieg abzufedern.
  • Die schwerwiegendste potenzielle Gefahr dieser Krise betrifft die Energieversorgung der Wirtschaft. Die EU bezieht 40% (Deutschland 50%) seines Gasbedarfs aus Russland. Gleichzeitig sind die Gasspeicher unterdurchschnittlich gefüllt. Müsste Energie rationiert werden, würde die Wirtschaft ihre Produktion zwangsweise einschränken, was den Konjunkturaufschwung abwürgen würde. Vertraut man jedoch den Aussagen von Politikern und den Vertretern der Gasspeicher, ist die Energieversorgung auch bei einem kompletten Lieferstopp Russlands bis September 2022 gesichert. Wie es langfristig weitergeht, bleibt abzuwarten. Europa muss zwangsläufig seinen Energieimport stärker diversifizieren und neue Quellen erschliessen (allen voran zusätzliche LPG-Terminals bauen).

Alles in allem sehen wir bei einer kurzen kriegerischen Auseinandersetzung keine nachhaltigen Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung in der Eurozone. Dies gilt umso mehr, als die Aufschwungskräfte, die sich derzeit entfalten, in unseren Augen sehr mächtig sind. Das Abflauen der Pandemie sollte die Konsumnachfrage erkennbar beflügeln. Gleichzeitig zeichnet sich eine Entspannung bei den Lieferengpässen ab. Die hohen Auftragsbestände in der Industrie können damit mehr und mehr abgearbeitet werden.

Die Unsicherheit der Ukraine-Krise wird indes nicht spurlos an den Notenbanken vorbeigehen. Die Währungshüter werden kein zusätzliches Öl ins Feuer giessen wollen und sich daher mit aggressiven Massnahmen zurückhalten. Die Fed dürfte im Zweifelsfall im März den Leitzins nur um 25 Bp anheben und auch mit Blick auf die Zeit danach ein massvolles Vorgehen unterstreichen. Ins gleiche Horn wird aller Voraussicht nach die EZB stossen und betonen, man werde den geldpolitischen Stimulus nur langsam zurückführen. Eine Leitzinsanhebung bereits im 3. Quartal ist mithin unwahrscheinlicher geworden.

Was die Finanzmärkte anbetrifft, ist in den nächsten Tagen von extrem hoher Volatilität auszugehen. Es dürfte noch einige Tagen dauern, bis Klarheit über das russische Vorgehen besteht. Ein Rückschlag des DAX auf 13.000 Punkte (= 20%-Korrektur) ist vor diesem Hintergrund nichtauszuschliessen. Wer Vorsicht walten lassen will, sollte sich daher auf eine neutrale Position zurückziehen. Zusätzlich könnte – dort wo möglich – auch die Gold- oder Rohstoffquote angehoben werden. In Multi-Asset-Mandaten kann die Absicherung auch durch eine Erhöhung der Duration bei hochqualitativen Staatsanleihen erfolgen.

Dessen ungeachtet überwiegen in unseren Augen in der längerfristigen Perspektive weiterhin die Argumente für ein Festhalten an der gegenwärtigen Ausrichtung (leichtes Übergewicht von Risikoassets). Denn ebenso schnell wie die Kurse jetzt fallen, können sie sich auch wieder erholen. Nur bei einer sehr langen kriegerischen Auseinandersetzung ist eine lange Baisse plausibel.

Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon

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