Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine führt indirekt zu einer radikalen Neuorientierung des europäischen Energiesystems, stammen doch mehr als 40% des in Europa benötigten Erdgases aus Russland. So ist die Energiesicherheit ein wesentlicher Treiber der Zeitenwende am Energiemarkt: Riesige Investitionen in neue Eckpfeiler der Energie-Infrastruktur müssen im Eiltempo erfolgen. Gleich mehrere Infrastruktur-Nischen ziehen dadurch auf die Überholspur und werden auf Jahre hinweg nahezu unabhängig von der Konjunktur wachsen. Dies führt zu attraktiven, langfristigen Chancen für Anleger. In anderen Bereichen hingegen besteht Einsturzgefahr.
Eigentlich galt Erdgas für Europa als beste Brückentechnologie, bis genug Windräder und Solaranlagen gebaut sind. Doch dieser Plan basierte maßgeblich auf russischen Erdgaslieferungen. Der Krieg in der Ukraine lässt diese Brücke nun einstürzen, denn die EU will bereits bis Ende 2022 auf zwei Drittel der russischen Gasimporte verzichten. Nun wird nach Alternativen zu russischem Erdgas gesucht. Ein Import von Flüssiggas aus Regionen wie Nordafrika macht das europäische Energiesystem weder aus geopolitischer noch aus Umweltsicht langfristig wesentlich nachhaltiger. Flüssiggas aus anderen Teilen der Welt ist zwar kurzfristig eine Alternative, kann die europäischen Energieprobleme aber lediglich lindern. Die aktuellen Kapazitäten von Biomethan können die Gasimporte aus Russland allenfalls geringfügig ersetzen, dürften wegen des CO2-Einsparpotenzials und der Energiesouveränität aber an Bedeutung gewinnen. Durch die genannten Alternativen kann kurzfristig insgesamt maximal ein Drittel der russischen Erdgaslieferungen ersetzt werden.
Der Fokus der Energiewende hat sich jüngst gravierend vom Klimaschutz in Richtung der Energiesicherheit verschoben. Investoren dürfen nicht außer Acht lassen, dass Europa nur über geringe eigene Gasressourcen verfügt. Außerdem wird Gas auf Dauer vor allem ein Notfallersatz für Erneuerbare Energien sein. Die Nichtinbetriebnahme von Nord Stream 2 führt in diesem Zusammenhang das Risiko von wertlos gewordenen Vermögenswerten (Stranded Assets) abermals deutlich vor Augen. Der Energieriese Uniper musste seinen Anteil an der Pipeline komplett abschreiben und verlor dadurch quasi über Nacht mehr als ein Drittel seiner Marktkapitalisierung. Außerdem sollten An-leger sich nicht von unvorhergesehenen Gewinnen bei konventionellen Energieversorgern blenden lassen. Zwar beschert die jüngste Energiepreisexplosion diesen Unternehmen einen unerwarteten Geldsegen. Ebenso wird die Laufzeit von Kohlekraftwerken aufgrund der aktuellen Engpässe womöglich verlängert werden. Diese Entwicklungen dürften jedoch nicht nachhaltig sein.
Sinnvoller ist schnellerer Umstieg auf alternative Energiequellen
Ein schnellerer Umstieg auf alternative Energiequellen erscheint insgesamt sinnvoller. Die Transformation des Energiesektors stand aufgrund hoher CO2-Emissionen bereits vor Beginn des Ukraine-Kriegs im Rampenlicht und ist auch weiterhin entscheidend für das Erreichen der Pariser Klimaziele Während vorausschauende Investoren schon länger die Anlagechancen der Energie-wende nutzen, wird ein Eiserner Vorhang der Energiewirtschaft zu einer Investitionswelle im Bereich Erneuerbare Energien in Europa führen. Bereits jetzt zeigt sich, dass die Entschlossenheit beim Ausbau der Kapazitäten von erneuerbaren Energien zugenommen hat: Baugenehmigungen werden schneller bewilligt und die Zahl neuer Auktionen für Wind- und Solarenergie steigt. Während die jährlichen Investitionen in die globale Energiewirtschaft in der jüngsten Dekade um 35% geschrumpft sind, ist bis zum Jahr 2030 mit einem Anstieg von mehr als 60% zu rechnen. Unternehmen werden aber nur dann investieren, wenn dies auch zu einer Steigerung der Profitabilität führt. Die Rahmenbedingungen dürften sich durch die geopolitischen Spannungen nicht verschlechtern. Versorger, die ausschließlich auf Erneuerbare Energien setzen, wie PNE, Grenergy und Verbio, zählen schon jetzt zu den Profiteuren. Bei den Schwergewichten aus dem Bereich der erneuerbaren Energien wie Enel und Iberdrola hat die Angst vor möglichen regulatorischen Eingriffen seit Kriegsausbruch zu übertriebenem Druck auf deren Aktienkurse geführt, weshalb es hier jetzt attraktive Einstiegsniveaus gibt.
Wachsender Bedarf an kritischen Metallen ist gut für Recyclingunternehmen
Ein beschleunigter Umstieg auf saubere Energiequellen hat weitreichende Folgen und wird einige Schattenseiten der Energiewende schneller ans Licht bringen: Ein radikaler Wechsel der Energiequellen geht nämlich mit einem ebenso radikalen Wandel von einem brennstoffintensiven zu einem metallintensiven Energiesystem einher. Zu den größten Herausforderungen zählt, dass kritische Metalle wie Nickel, Kupfer, Kobalt und Lithium in extrem großen Mengen gebraucht werden. Für die Produktion von Elektrofahrzeugen sind beispielsweise sechsmal so viele kritische Metalle wie für Autos mit Verbrennungsmotor notwendig. Bei Windturbinen ist der Bedarf an diesen Metallen sogar neunmal so hoch wie bei Gaskraftwerken, um dieselbe Menge an Energie zu produzieren. Daraus ergeben sich neue Lieferketten, neue geopolitische Abhängigkeiten und neue Anforderungen an die Infrastruktur. Das Schicksal der westlichen Welt liegt dann zwar nicht mehr in den Händen der russischen Regierung, dafür entstehen neue Abhängigkeiten – beispielsweise von der Re-publik Kongo (Kobalt) und von Chile (Lithium). Der wichtigste Lieferant für mehrere dieser Metalle ist aber nach wie vor China.
Die USA haben sich bereits auf die neuen Herausforderungen eingestellt und die Lieferketten für diese wichtigen Rohstoffe sowie die dafür notwendige Infrastruktur erst jüngst zur Frage der nationalen Sicherheit erklärt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Öl und diesen Metallen liegt in der Wiederverwendbarkeit. Im Gegensatz zum Brennstoff Öl können die kritischen Metalle und Mineralien mit der richtigen Infrastruktur wiederverwendet werden. Ein neuer Plan der EU verlangt deshalb beispielsweise, dass bis zum Jahr 2030 zwischen 50% und 80% der Materialien in Batterien recycelt werden sollen. Einige Umweltdienstleister wie das französische Unternehmen Veolia und der nordamerikanische Anbieter für Metallrecycling Li-Cycle werden deshalb nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen an Bedeutung gewinnen, sondern tragen auch zur Energiesouveränität bei.
Investitionen über nachhaltige Infrastruktur-Fonds zu empfehlen
Wenn Anleger an eine Beschleunigung der Energiewende in Europa glauben, lohnt sich eine Investition in die neuen Eckpfeiler der Energie-Infrastruktur. Doch Anleger sollten bei der Auswahl von Einzeltiteln im aktuellen Umfeld besonders wählerisch sein. Die geopolitischen Entwicklungen
machen deutlich, dass die Energie-Infrastruktur auf Basis fossiler Brennstoffe gerade in Europa das Risiko birgt, eher früher als später unbrauchbar zu werden. Außerdem wird die Entwicklung des konventionellen Energiesektors künftig noch volatiler und schwerer prognostizierbar sein. Auf der anderen Seite bedeutet der neu gewonnene Rückenwind für einige Infrastruktur-Nischen prognostizierbares Wachstum in Zeiten großer Unsicherheit. Ferner lohnt sich eine Investition für Investoren mit Nachhaltigkeitsfokus nicht mehr nur wegen des Umweltgedankens, sondern auch aufgrund des Beitrags zur Stabilität der Gesellschaft.
Johannes Maier, Portfolio Manager Globale Infrastruktur-Aktien, Bantleon