Bantleon-Ökonom Angelé: EZB läutet Zinswende ein

BANTLEON | 10.06.2022 08:00 Uhr
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON BANK AG / © e-fundresearch.com / Bantleon
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON BANK AG / © e-fundresearch.com / Bantleon
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Die wichtigsten Ergebnisse der heutigen Sitzung: 
  • Die EZB wird ihre Netto-Anleihenkäufe per 1. Juli beenden. Die Wiederveranlagung von Couponzahlungen und fällig werdender Wertpapiere soll aber im Fall des PEPP bis mindestens Ende 2024 bzw. im Fall des APP für einen langen Zeitraum nach Beginn der Leitzinsanhebungen fortgesetzt werden.
  • Darüber hinaus stellt die Notenbank eine erste Anhebung des Einlagensatzes um 25 Bp für das kommende Ratstreffen am 21. Juli in Aussicht, sowie in der Folge weitere Leitzinsanhebungen. Für September wird ein Zinsschritt um 50 Bp avisiert, sollte die Inflationsprognose für 2024 auch dann noch über 2,0% liegen. Danach ist beabsichtigt in 25-Bp-Schritten vorzugehen.
  • Betont wird zudem, dass eine Fragmentierung innerhalb der Eurozone in jedem Fall verhindert werden wird, da eine solche den geldpolitischen Transmissionsmechanismus beeinträchtigen bzw. untergraben würde. Wenn nötig werden neue Instrumente geschaffen, um eine solche Fragmentierung zu verhindern.

Unsere Einschätzung:

Wir werten das Ergebnis der heutigen EZB-Ratssitzung als falkenhaft. Zum einen wegen des klaren Bekenntnis zu einer langen Reihe an Zinserhöhungen, im Gegensatz zu einem diskretionären Vorgehen mit Zinsanhebungspausen. Zum anderen wegen des Einräumens der Möglichkeit eines grossen Zinsschritts im September. Das alles basiert auf den neuen Projektionen zu Inflation und BIP (vgl. Tabelle unten). Die EZB rechnet nun bis 2024 mit einem Überschreiten ihres Inflationsziels. Die Prognosen für den Anstieg der Wirtschaftsleistung wurden 2022 und 2023 zwar nach unten revidiert, für 2024 dagegen nach oben. In allen drei Jahren läge der BIP-Zuwachs mithin über dem Potenzialwachstum von 1,50% bis 1,75%. Einen starken Abschwung oder gar eine Rezession sehen die Währungshüter somit trotz der mannigfaltigen Belastungen (Ukraine-Krieg, gestörte Lieferketten, hohe Energiepreise) nicht. 

Das von EZB-Präsidentin Christine Lagarde in ihrem jüngsten Blog-Beitrag erläuterte Konzept der graduellen Zinsanhebungen deutet zwar darauf hin, den Leitzins auch über den Juli hinaus in 25-Bp-Schritten anzuheben, allerdings schliesst es grössere Schritte nicht aus. Das gilt insbesondere für den Beginn der Leitzinsanhebungsphase. Die Sorge, mit zu grossen Zinsschritten über den neutralen Leitzins hinaus zu schiessen, greift hier nämlich noch nicht. Zwar ist Lagarde zufolge auch der EZB nicht klar, wie hoch das neutrale Zinsniveau liegt – die EZB-Ratsmitglieder schätzen es auf 1,00% bis 1,50% –, ausgehend von -0,50% bzw. 0,00% besteht zu Beginn der Leitzinsnormalisierung jedoch keine Gefahr über das Ziel hinauszuschiessen. 

Auf Basis unserer eigenen Inflationsprognose von 7,5% im laufenden Jahr bzw. 3,6% im nächsten Jahr sehen wir bei den EZB-Projektionen noch immer Revisionsbedarf nach oben. Das wird den Falken im EZB-Rat noch mehr Argumente an die Hand geben, auf eine raschere Anhebung der Leitzinsen zu drängen. Zudem wird sich der Arbeitsmarkt unserer Einschätzung nach robust entwickeln. Die Arbeitslosenquote dürfte sich von ihrem Rekordtief bei 6,8% weiter nach unten bewegen und somit einem kräftigen Lohnanstieg Vorschub leisten. Um eine Lohn-Preis-Spirale im Keim zu ersticken, liegt mithin eine rasche Anhebung des Zinsniveaus nahe – vermutlich über den neutralen Zinssatz hinaus. Grossen Einfluss auf das Vorgehen der EZB wird zudem die Entwicklung der Inflationserwartungen haben. Diese sind zwar noch nahe des Inflationsziels verankert, zuletzt gab es jedoch eine erkennbare Aufwärtsbewegung. Lagarde selbst hat die Bedeutung fest verankerter Inflationserwartungen zuletzt stark betont. Trotz des Wunsches nach graduellen Zinsanhebungen hält sich die EZB somit die Möglichkeit grösserer Zinsschritte offen (Optionalität). Der Gefahr einer Fragmentierung innerhalb der Eurozone, sprich des unerwünscht starken Anstiegs der Risikoaufschläge der Peripherieländer, allen voran Italiens, trägt die Notenbank durch ihr Konzept der Flexibilität Rechnung. Um ein Auslaufen der Spreads zu verhindern, ist man bereit, zunächst die wieder zu veranlagenden Zuflüsse aus dem APP und dem PEPP zu verwenden. Sollte das nicht ausreichen, lässt die EZB keinen Zweifel daran, bereits bestehende Instrumente wie das OMT einzusetzen oder neue Instrumente zu entwickeln, um einen reibungslosen geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu gewährleisten. Damit soll jeglicher Spekulation auf aus dem Ruder laufende Risikoaufschläge von Beginn an das Wasser abgegraben werden.

Unser Ausblick:

Aktuell spricht vieles dafür, dass die EZB den Leitzinssatz mindestens auf das von den Währungshütern als neutral betrachtete Niveau von 1,00% bis 1,50% wird anheben müssen, um dem enorm starken unterliegenden Preisauftrieb die Stirn zu bieten. Derzeit scheint eine Mehrheit im EZB-Rat das noch mit 25-Bp-Schritten tun zu wollen. Das neutrale Zinsniveau würde dann im Frühsommer 2023 übertroffen. Wir sehen dagegen inzwischen eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schnelleren Erreichens des neutralen Leitzinsniveaus durch eine oder mehrere Zinsanhebungen um 50 Bp. Für September scheint uns ein solcher Schritt aufgrund der von Lagarde formulierten Voraussetzungen so gut wie sicher: Wir halten es für nahezu ausgeschlossen, dass die Inflationsprognose für 2024 in drei Monaten wieder bei bzw. unter 2,0% liegt. Darüber hinaus sehen wir Spielraum für einen weiteren Schritt um 50 Bp im Oktober oder Dezember. Der Einlagensatz sollte Ende 2022 daher bei mindestens 0,75%, der Hauptrefinanzierungssatz bei 1,25% liegen. Das neutrale Leitzinsniveau sehen wir daher bereits schon im 1. Quartal 2023 erreicht. 

Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON BANK AG

Quelle: EZB, * Jahresdurchschnitt, in Klammern Projektionen vom März 2022


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