Seit einigen Monaten dominieren die Inflation, steigende Zinsen und Rohstoffpreise die Finanzmärkte. Bei Anleihen führten der heftige Zinsanstieg sowie die explodierenden Energiekosten zu steigenden Risikoprämien und Kursverlusten. Dies gilt für die Industriestaaten und die Emerging Markets gleichermaßen. Inzwischen bieten die breiten Anleihenmärkte für Anleger wieder sehr attraktive Renditen – vor allem in den Emerging Markets. Gemessen am »Bloomberg Emerging Markets Hard Currency Aggregate Index«, der im Durchschnitt noch ein Investment-Grade-Rating von »Baa3« aufweist, sind wieder Renditen von durchschnittlich 7% möglich. Gegenüber US-Staatsanleihen als Vergleichsmaßstab sind so fast 390 Basispunkte mehr Rendite zu erzielen. Anleger sollten jedoch genau hinsehen, da in einem solchen Index auch viele Krisenstaaten (zum Beispiel Ukraine, Libanon) vertreten sind. Seit Jahresanfang hat der »Bloomberg Emerging Markets Hard Currency Aggregate Index« 16% verloren. Anleger, die am Kurstiefpunkt während der Corona-Krise im März 2020 und damit aus heutiger Sicht bestmöglich gekauft haben, konnten ihr Kapital seitdem gerade mal bewahren.
Nur in ausgewählte Regionen und Länder investieren
Kurzfristig ist an den Finanzmärkten weiter mit Volatilität zu rechnen. Auch wenn der größte Teil des Zinsanstiegs wohl bereits hinter den Investoren liegt, würden stark steigende Zinsen bei allen Emerging-Markets-Anleihen zu weiteren Kursverlusten führen. Auch geopolitisch bleibt die Lage äußerst instabil. Gerade diese Gemengelage spricht eher für punktuelles Investieren in ausgewählten Regionen und Ländern. Zudem ist die Selektion der Titel sehr wichtig.
Chancen vor allem in Asien und Afrika
Unabhängig davon sollten auch die Schwellenländer wieder zu alter Stärke zurückfinden. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat die Energie- und Rohstoffpreise weiter steigen lassen. Deshalb sind aktuell Länder zu bevorzugen, die geopolitisch weniger betroffen sind und von der Preisentwicklung profitieren. Dazu zählt Südamerika mit Brasilien, Chile und Mexiko als stabilste Vertreter. Auch Anleihen aus dem Nahen Osten, zum Beispiel Oman und Vereinigte Arabische Emirate, bleiben attraktiv. Aus dem südlichen Afrika sind vor allem die Emittenten Südafrika und Namibia zu empfehlen: Beide Staaten müssen zwar Erdöl importieren, können aber die gestiegenen Preise durch die Mehreinnahmen aus der eigenen Rohstoffproduktion kompensieren. In Asien sind Indonesien, die Philippinen und Vietnam attraktiv. Obwohl eine Konjunkturabkühlung in Europa auch diese exportorientierten Länder treffen würde, bleiben sie innerhalb Asiens konkurrenzfähig. Je nach Laufzeit und Bonität sind somit für Anleger wieder auskömmliche Renditen möglich: Während Südafrika beispielsweise bei drei Jahren Laufzeit und einem High-Yield-Rating von »BB-« knapp 6% Rendite bietet, sind in Indonesien bei gleicher Laufzeit und mit einem Investment-Grade-Rating von »BBB« noch etwa 4% Rendite pro Jahr möglich.
Osteuropa und Mittelasien eher meiden
Staaten aus Osteuropa und Mittelasien hingegen sollten risikobewusste Anleger zunächst meiden. Das wirtschaftliche Anlagerisiko wurde dort schon länger nicht mehr adäquat bezahlt. Nun kommen politische Risiken hinzu. Es ist für Investoren zudem kaum abzuschätzen, ob nicht noch andere Staaten aus der Region direkt in den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hineingezogen werden. Jeder Staat, der sich dem russischen oder dem westlichen Einflussbereich anschließt, muss entweder mit Sanktionen (betrifft auch Investoren) oder aber mit steigenden Energie- und Rohstoffpreisen rechnen. Beide Möglichkeiten dürften die wirtschaftliche Entwicklung stark dämpfen. Auch Staaten, die sowohl stark von Rohstoffimporten als auch von der Konjunkturentwicklung in Europa und den USA abhängig sind, weil sie dorthin exportieren, empfehlen wir nicht. Prominentestes Beispiel ist derzeit Sri Lanka, wo steigende Preise für Energie und Nahrungsmittel auf eine sehr instabile Haushaltslage treffen. Politische Unruhen und Zahlungsausfälle sind die Folge. Aber auch Nord-, West- und Ostafrika (Ghana, Kenia, Tunesien) sowie Mittelamerika könnten aus denselben Gründen mittelfristig sehr negativ beeinflusst werden.
Fazit: Emerging-Markets-Anleihen bleiben eine sehr interessante Anlageklasse. Die Auswahl der Emittenten ist jedoch derzeit noch wichtiger als in den vergangenen Jahren. Anleger müssen sich zwar der aktuell hohen Volatilität und Risiken bewusst sein, sollten aber die mittelfristigen Chancen nicht aus den Augen verlieren.
Alexander Posthoff, Senior Portfolio Manager bei BANTLEON BANK AG