Bantleon-Ökonom Angelé: EZB erhöht die Leitzinsen kräftig und sendet taubenhafte Untertöne

BANTLEON | 27.10.2022 17:52 Uhr
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG / © e-fundresearch.com / Bantleon
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Die wichtigsten Ergebnisse der heutigen Sitzung:

  • Anhebung der Leitzinssätze um 75 Bp
  • Wortwahl hinsichtlich weiterer Zinsanhebungen wird entschärft
  • Anpassung der TLTRO-Zinssätze
  • Entscheidung zu Quantitative Tightening im Dezember
 

Unsere Einschätzung:

Die erneute kräftige Anhebung der Leitzinssätze wurde durch die Wortwahl in der Pressemitteilung zur Zinsentscheidung entschärft. Hieß es im September explizit noch, die Leitzinsen sollten auf den nächsten EZB-Ratstreffen weiter angehoben werden, ist nun nur noch davon die Rede, die Zinsen weiter anzuheben. Zudem stellt die EZB fest, dass man bereits »erhebliche Fortschritte beim Zurückfahren des geldpolitischen Akkommodationsgrads« erzielt habe. EZB-Präsidentin Christine Lagarde verstärkte diesen Eindruck mit ihren Ausführungen. Sie sagte zwar, man habe noch einen gewissen Weg zu gehen und werde die Zinsen weiter anheben. Sie betonte allerdings auch, das Ausmaß der noch ausstehenden Normalisierung hänge im Wesentlichen von drei Faktoren ab. Erstens dem Inflationsausblick, zweitens den bereits umgesetzten Straffungsmaßnahmen und drittens der zeitlichen Verzögerung, mit der die Geldpolitik ihre Wirkung entfaltet. Alles in allem kehrt die Notenbank ihrer bisherigen Forward Guidance, eine Reihe kräftiger Zinsanhebungen in Aussicht zu stellen, damit den Rücken und geht zu einem datenabhängigen Vorgehen über.

Dabei sprechen alle drei aufgezählten Faktoren für eine Rücknahme des Tempos der Normalisierung. Der Inflationsausblick hängt stark von den Konjunkturperspektiven ab. Diese haben sich gemäß Lagarde spürbar eingetrübt. So sei das im September vorgestellte Basisszenario eines BIP-Zuwachses um 0,9% im Jahr 2023 bereits überholt. Die Nachfrage sinke infolge des massiven Kaufkraftentzugs, die Exporte litten unter der globalen Konjunkturabkühlung und die Frühindikatoren hätten sich stark eingetrübt. Wir gehen daher davon aus, dass die Währungshüter ihre Projektionen für 2023 im Dezember sowohl für das BIP als auch die Inflation nach unten anpassen.

Der zweite von Lagarde genannte Faktor kommt einer automatischen Bremse gleich, da die Notwendigkeit weiterer Zinsanhebungen mit jedem erfolgten Zinsschritt per Definition kleiner wird. Interessant ist auch der erstmalige Verweis auf die Wirkungsverzögerung geldpolitischer Entscheidungen. Diese liegt bei mehreren Quartalen. Die bisherigen Zinserhöhungen im Ausmaß von 200 Bp plus weitere etwaige Anhebungen sind nicht zuletzt wegen des raschen Tempos, mit dem sie erfolgten sowie der jahrelangen Null- und Negativzinsphase zuvor als substanziell zu bezeichnen. Ihre volle Wirkung werden sie jedoch erst im kommenden Jahr entfalten. Ein vorsichtigeres Vorgehen ist daher angebracht, um nicht zu überziehen und die Zinsen schon bald wieder senken zu müssen.

Im Sachen TLTRO III wird die EZB die Rahmenbedingungen anpassen, sprich den zugrunde liegenden Zinssatz rückwirkend zu erhöhen. Zudem sollen Banken ermuntert werden, ihre über TLTRO-III-Geschäfte aufgenommenen Gelder frühzeitig zurückzubezahlen. Die Notenbank verspricht sich von diesem Schritt eine Unterstützung bei ihrem Bemühen, die Geldpolitik zu straffen.

Über das Thema Quantitative Tightening, d.h. das Abschmelzen des gigantischen Anleihenportfolios wurde heute nicht beraten. Eine Entscheidung mit Blick auf die im Rahmen des APP gekauften Wertpapiere soll im Dezember fallen. Fällige Wertpapiere und Zinszahlungen im Rahmen des PEPP gekaufter Anleihen sollen ohnehin mindestens bis Ende 2024 reinvestiert werden.

Fazit:

Die EZB zeigt sich entschlossen, die Leitzinsen nach ihrem bis Mitte 2022 zu zögerlichen Agieren nun rasch nach oben zu führen. Allerdings tritt man rhetorisch bereits auf die Bremse. Die vorgenommenen Anpassungen in der Wortwahl halten wir für signifikant. Offenbar haben inzwischen auch die EZB-Ratsmitglieder erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, den Leitzins in die sich abzeichnende Rezession hinein kräftig anzuheben. Wir bleiben daher bei unserer Einschätzung, dass die EZB nach einer weiteren Zinsanhebung im Dezember um 50 Bp eine Zinsanhebungspause einlegt und die Leitzinsen 2023 nicht weiter anhebt.

Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG

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