Ökonom Jörg Angelé: EZB erhöht die Leitzinsen und gibt sich äußerst falkenhaft

Lesen Sie die Einschätzungen von Jörg Angelé, Senior Economist des Asset Managers BANTLEON, zum aktuellen geldpolitischen Entscheid der EZB. BANTLEON | 15.12.2022 16:18 Uhr
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG / © e-fundresearch.com / Bantleon
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Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen Sitzung:

  • Anhebung der Leitzinssätze um 50 Bp
  • Weitere signifikante Zinsanhebungen werden in Aussicht gestellt
  • Der Abbau des Anleihenportfolios (Quantitative Tightening, QT) soll im März 2023 beginnen

Unsere Einschätzung:

Die EZB fährt in Sachen Geldpolitik einen Zickzackkurs. Hieß es im September noch, der EZB-Rat habe erhebliche Fortschritte beim Zurückfahren des geldpolitischen Akkommodationsgrads erzielt, werden nun weitere signifikante Zinsanhebungen in Aussicht gestellt. Es ist auch keine Rede mehr davon, dass man bei künftigen Zinsentscheidungen die bereits erfolgte Straffung sowie die Wirkungsverzögerung der Geldpolitik berücksichtigen wird.

Hintergrund ist die spürbare Anhebung der Inflationsprojektionen für 2023 und 2024, sowie die Erwartung, das Inflationsziel auch 2025 noch zu verfehlen (vgl. Tabelle unten). Ebenfalls falkenhaft ist die Ankündigung, mit dem Abbau des APP-Portfolios zu beginnen. Ab März bis zum Ende des 2. Quartals 2023 sollen monatlich 15 Mrd. EUR weniger wiederveranlagt werden als an Fälligkeiten anfallen. Über das QT-Tempo über das 2. Quartal hinaus soll zeitnah entschieden werden.

Unseres Erachtens waren die Währungshüter unzufrieden mit dem spürbaren Renditerückgang, den sie mit ihrer taubenhaften Kommunikation im Oktober selbst mitausgelöst hatten. Diese Vermutung bestätigte sich mit den Aussagen von Präsidentin Christine Lagarde. Ihr zufolge lagen die Markterwartungen mit Blick auf das Leitzinshoch vor der aktuellen Entscheidung zu niedrig. Außerdem betonte Lagarde mehrfach, die EZB sei mit ihren Zinsanhebungen noch lange nicht am Ende, der Wendepunkt (engl.: pivot) sei noch nicht in Sicht. Es seien daher weitere Zinsschritte um je 50 Bp notwendig.

Offenbar sieht der EZB-Rat wegen der lockereren Finanzierungsbedingungen seine Bestrebungen konterkariert, die Inflationsrate mittels einer weniger expansiven geldpolitischen Ausrichtung wieder auf das Inflationsziel zu führen. Allerdings hat die EZB ihre Inflationsprognosen unserer Einschätzung nach genau in die falsche Richtung revidiert. Unseren Berechnungen zufolge wird die Inflationsrate im kommenden Jahr schneller und stärker sinken als von den Währungshütern unterstellt. Gegen Jahresende dürfte sie in der Nähe des EZB-Inflationsziels von 2,0% liegen und im Jahresschnitt 5,1% betragen. Mithin halten wir auch die Inflationsprognose in Höhe von 3,4% für 2023 für zu hoch angesetzt. Darüber hinaus sind die Annahmen der Notenbank zur Konjunkturentwicklung in unseren Augen zu optimistisch. Der BIP-Rückgang im laufenden sowie in den kommenden Quartalen sollte stärker ausfallen als von der EZB veranschlagt, die nachfolgende wirtschaftliche Erholung dagegen schwächer. Vor diesem Hintergrund halten wir es für wenig wahrscheinlich, dass die EZB die Leitzinsen tatsächlich deutlich in den restriktiven Bereich führen wird, den wir jenseits der 2,5% sehen, da dies die erwartete Rezession verschärfen und verlängern würde. In der Folge könnte die EZB gezwungen sein, die Zinsen rasch wieder zu senken.

Fazit:

Da Lagarde klar gemacht hat, dass weitere Zinsanhebungen in 50-Bp-Schritten erfolgen werden, passen wir unsere Prognose für Februar entsprechend von 25 Bp auf 50 Bp an. Die bis dahin vorliegenden Daten dürften nicht ausreichen, um den EZB-Rat von einem 50-Bp-Schritt abzubringen. Das zyklische Leitzinshoch sollte mithin bei 2,50% liegen (Einlagensatz). Stellt sich unsere Einschätzung zu Konjunktur und Inflation als richtig heraus, dürften die Währungshüter darüber hinaus jedoch von weiteren Anhebungen absehen. Angesichts der verbalen Polterei der EZB-Präsidentin scheint das zum heutigen Zeitpunkt zwar schwer vorstellbar, allerdings fährt die EZB wie oben beschrieben einen geldpolitischen Zickzackkurs – sie hat in den vergangenen zwölf Monaten mehrfach bewiesen, wie schnell sie sicher geglaubte Standpunkte über Bord werfen kann.

Sollte dagegen die EZB mit ihrer Annahme eines moderaten Konjunkturabschwungs sowie eines nur zähen Rückgangs der Inflationsrate richtig liegen – wovon wir nicht ausgehen –, dürften die Leitzinsen im kommenden Jahr über 3,00% steigen.

Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG

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