Die Entscheidungen im Einzelnen:
Die Bank of Japan hat zum Abschluss ihrer jüngsten geldpolitischen Sitzung am 20. Dezember überraschend die Schwankungsbandbreite der Rendite 10-jähriger Staatsanleihen (JGB) erhöht. Gegenüber den bisher geltenden ±25Bp wurde sie auf ±50Bp verdoppelt (vgl. Abbildung 1). Seit 2016 verfolgt die Bank of Japan eine Zinskurvensteuerung, bei der neben dem Leitzins auch eine Zielgrösse für die Rendite 10-jähriger JGBs festgelegt wird, die seither 0,0% beträgt. Sowohl diese Marke als auch der Leitzins blieben heute unverändert. Darüber hinaus wurde die Forward Guidance beibehalten, wonach die Notenbank erwartet, dass die kurz- und langfristigen Zinsen auf den aktuellen Niveaus verharren werden.
Begründet wurde die Ausweitung der Bandbreite mit technischen Faktoren. Unter anderem hatte die Renditeobergrenze bei 10-jährigen JGBs dazu geführt, dass die Renditestrukturkurve in diesem Bereich immer mehr verzerrt wurde (vgl. Abbildung 2).
In den Erläuterungen zur jüngsten Anpassung machte Notenbankpräsident Haruhiko Kuroda klar, dass es sich nicht um eine geldpolitische Straffung handelt. Das wurde allein schon dadurch unterstrichen, dass die monatlichen Anleihenkäufe von 7,3 Bio. Yen auf 9 Bio. Yen erhöht werden sollen (ca. 64 Mrd. EUR). Ausserdem betonte Kuroda einmal mehr, es dauere noch einige Zeit, bis das 2%-Inflationsziel dauerhaft erreicht sei und anschliessend der geldpolitische Stimulus zurückgefahren werden könne.
Unsere Einschätzung und unser Ausblick:
Im Zuge des Post-Corona-Booms und der weltweit anziehenden Teuerung hat auch in Japan die Inflation merklich Fahrt aufgenommen. Die Headline-Inflationsrate stieg im Oktober auf 3,7% an. Die Kernrate (ohne frische Lebensmittel und Energie) erreichte mit 2,5% den höchsten Stand seit über 30 Jahren (vgl. Abbildung 3). Parallel dazu ist auch bei den Löhnen eine anziehende Dynamik zu beobachten. Mit +1,5% legten die Tariflöhne im Sommer so deutlich gegenüber dem Vorjahr zu, wie seit immerhin gut 25 Jahren nicht mehr (vgl. Abbildung 4). Übergeordnet befindet sich Japan damit auf dem Weg, die jahrzehntelange Disinflations- bzw. Deflationsphase zu überwinden. Nicht zuletzt auch deswegen, weil die strukturellen globalen Disinflationskräfte infolge des demografischen Wandels und der nachlassenden Globalisierung an Kraft verlieren. Entsprechend scheinen in einer langfristigen Perspektive die Tage der ultraexpansiven Geldpolitik durchaus gezählt und die Ausweitung der Bandbreite für die 10-Jahres-Rendite könnte als ein Schritt in diese Richtung verstanden werden.
Bis die Geldpolitik in Japan tatsächlich gestrafft wird, dürfte indes noch einige Zeit vergehen. Denn kurzfristig spricht in unseren Augen vieles dafür, dass die exportorientierte japanische Wirtschaft als Folge der zu erwartenden Rezession in weiten Teilen der Welt (u.a. USA und Eurozone) deutlich unter Druck kommt. Zusätzlich dürften auch die binnenwirtschaftlichen Wachstumskräfte schwächer werden. Zum einen wegen der abklingenden Nachholeffekte im Zuge des Post-CoronaBooms. Zum anderen haben sich auch in Japan die Finanzierungskonditionen aufgrund des seit über zwei Jahre andauernden Renditeaufwärtstrends verschärft und erzeugen damit konjunkturelle Bremseffekte (vgl. Abbildung 4).
Wenn die japanische Wirtschaft aber weiter an Fahrt verliert, dürfte sowohl das Lohnwachstum erneut schwächeln als auch die Inflation wieder deutlicher nach unten drehen. Dem bisherigen Vorgehen der Notenbank entsprechend ist daher zu erwarten, dass auch 2023 an der ultraexpansiven Ausrichtung der Geldpolitik festgehalten wird. Dafür spricht nicht zuletzt, dass Kuroda im Anschluss an die Zinsentscheidung einmal mehr betont hat, die Notenbank sehe das Ziel der Reflationierung als noch nicht erreicht an. Alles in allem stellt mithin die jüngste Entscheidung nach unserer Einschätzung nicht den Auftakt für einen fundamentalen Kurswechsel dar. Folglich schätzen wir den Rendite-Aufwärtsdruck, der derzeit von Japan auf die Weltwirtschaft ausgeht, als begrenzt an.
Risiken zum Ausblick:
Wenngleich somit in den kommenden Quartalen wichtige Argumente gegen geldpolitische Straffungen in Japan sprechen, sehen wir zwei Risiken für diesen Ausblick. Zum einen endet im Frühjahr 2023 Haruhiko Kurodas Amtszeit als Notenbankpräsident. Zwei der acht weiteren Positionen des geldpolitischen Entscheidungsgremiums sind ebenfalls neu zu besetzen. Dieser personelle Wechsel könnte mit einer Verschiebung der geldpolitischen Prioritäten einhergehen. Anstatt des bislang klar dominierenden Ziels, die Inflation anzukurbeln, könnten stärker die unerwünschten Nebenwirkungen, wie z.B. die Yen-Abwertung in den Fokus rücken.
Als zweites Risiko ist eine dynamischere wirtschaftliche Erholung in China als von uns bislang unterstellt im Auge zu behalten. Sie könnte den konjunkturellen Abschwung in Japan mildern und damit einem erneuten Anstieg der Inflationsraten im Reich der aufgehenden Sonne begünstigen.
Sollten in der Folge die Renditen in Japan anders als von uns veranschlagt deutlich anziehen, würden daraus jedoch erhebliche Gefahren für die Finanzmarktstabilität erwachsen. Allein schon die Rekordverschuldung Japans (Unternehmen: 115% des BIP, Staat: 263% des BIP) birgt dabei erhebliche Risken. Die sich ohnehin abzeichnende globale Rezession könnte dadurch noch verschärft werden.
Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist der BANTLEON BANK AG