In den USA vermitteln die historisch tiefe Arbeitslosenquote und umfangreiche Stellenschaffungen den Eindruck eines weiterhin brummenden Jobmotors. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch Risse in diesem erfreulichen Bild. Erstens spiegeln einige Details der genannten Statistiken – unter anderem die Entwicklung der Teilzeitbeschäftigten – bereits eine nachlassende Beschäftigungsdynamik wider. In die gleiche Richtung deuten zweitens auch andere Arbeitsmarktkennzahlen, wie beispielsweise die von den Firmen angekündigten Entlassungen. Werden drittens vorausschauende Konjunkturindikatoren herangezogen – wie die Kreditvergabestandards – trübt sich der Ausblick noch mehr ein. Wir sehen es daher ungeachtet der Diskussionen um einen strukturellen Arbeitskräftemangel als sehr wahrscheinlich an, dass die Beschäftigung in den kommenden Quartalen sinkt und die Arbeitslosenquote entsprechend steigt.
US-Arbeitsmarkt als Fels in der Brandung?
Wenn es darum geht, die aktuelle Verfassung der US-Wirtschaft zu beurteilen, wird von vielen Beobachtern auf den robusten Arbeitsmarkt verwiesen. Kräftige Stellenschaffungen von zuletzt 517 Tsd., eine rekordtiefe Arbeitslosenquote von 3,4% und eine geringe Zahl an Neuanträgen auf Arbeitslosenunterstützung würden belegen, dass der Jobmotor weiterhin brummt (vgl. Abb. 1 und Abb. 2). Das Abrutschen in eine Rezession scheint vor diesem Hintergrund in weiter Ferne zu liegen.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch erstens, dass die genannten Daten einige Ungereimtheiten aufweisen. Zweitens zeichnet eine ganze Reihe anderer Beschäftigungsstatistiken ein kritischeres Bild der aktuellen Lage. Drittens deuten wichtige vorauslaufende Indikatoren darauf hin, dass die Beschäftigung in den USA in den kommenden Quartalen merklich unter Druck kommen dürfte.
Details der Statistiken mahnen zur Vorsicht
Bei den wöchentlich veröffentlichten Erstanträgen auf Arbeitslosenunterstützung handelt es sich neben der Arbeitslosenquote und dem Stellensaldo um einen der prominentesten Beschäftigungsindikatoren. Sie überraschten zuletzt damit, dass sie sich seit rund einem Jahr auf aussergewöhnlich tiefem Niveau bewegen (vgl. Abb. 2). Auf den ersten Blick spiegelt das einen weiterhin auf hohen Touren laufenden Jobmotor wider. Diese Schlussfolgerung muss indes mit Vorsicht betrachtet werden, weil Abfindungszahlungen dem Bezug von Hilfsleistungen entgegenstehen oder ihn zumindest verzögern können. Die Regelungen sind hier in den einzelnen Bundesstaaten zwar unterschiedlich, schränken den Kreis der Berechtigten jedoch grundsätzlich ein. Isoliert betrachtet kann daher aus einer seitwärts tendierenden Zahl an Neuanträgen nicht automatisch auf einen stabilen Arbeitsmarkt geschlossen werden.
Blickt man auf den Gesamtbestand an Hilfsempfängern, gelangt man sogar zu dem gegenteiligen Schluss. Hier ist eine deutliche Zunahme zu beobachten die darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Bezugsdauer zuletzt gestiegen ist. Mit aktuell knapp 1,7 Mio. bewegt sich der Gesamtbestand inzwischen um 30% über dem 50-jährigen Tiefststand vom vergangenen Sommer und spiegelt damit eine beginnende Abschwächung wider (vgl. Abb. 3, dort invertiert abgetragen).
Nicht nur in der Statistik zur Arbeitslosenhilfe zeichnen Details ein kritischeres Bild der Lage. Ähnliches findet sich in den beiden Umfragen, aus denen der Stellensaldo und die Arbeitslosenquote stammen. Demnach hat die Zahl der Zeitarbeitskräfte im Dienstleistungssektor im März vergangenen Jahres einen Höhepunkt erreicht und sinkt seither. Weil der Personalabbau in Unternehmen üblicherweise damit beginnt, dass temporäre Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr verlängert werden, kann diese Grösse als Frühindikator für die Beschäftigung insgesamt herangezogen werden. Wie in Abb. 4 zu erkennen ist, zeichnet sie eine deutlich nachlassende Beschäftigungsdynamik in den kommenden Monaten vor.
Eine ungünstige Entwicklung ist des Weiteren bei den Teilzeitbeschäftigten auszumachen. Deren Zahl hat gemäss der Umfrage des BLS unter privaten Haushalten (auf deren Basis die Arbeitslosenquote ermittelt wird) in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen. Offensichtlich reagieren die Unternehmen auf die wirtschaftliche Abschwächung zunächst mit einer Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen, bevor der Personalbestand absolut verkleinert wird. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass eine Zunahme der Teilzeitbeschäftigten – ähnlich wie die sinkende Zahl an Zeitarbeitskräften – mithin als Vorbote einer breit angelegten Verschlechterung des Arbeitsmarktumfelds anzusehen ist. Entsprechend ist in den kommenden Monaten mit einem sinkenden Stellensaldo zu rechnen, der schliesslich sogar ins Negative drehen sollte (vgl. Abb. 5, dort ist die Entwicklung der Zeitarbeitskräfte invertiert abgetragen).
Hinsichtlich der überraschend kräftigen Stellenschaffungen im Januar ist schliesslich zu beachten, dass sie durch einige Sonderfaktoren künstlich angekurbelt wurden. Rechnet man allein die ungewöhnlich milde Witterung und das Ende eines Streiks in Kalifornien heraus, reduziert sich der Beschäftigungszuwachs von 517 Tsd. bereits auf 320 Tsd. (vgl. FMM vom 13. Februar 2023).
Andere Arbeitsmarktstatistiken zeichnen ebenfalls ein trüberes Bild
Wird der Blick geweitet und werden neben dem Stellensaldo, der Arbeitslosenquote und den Erstanträgen auf Arbeitslosenhilfe weitere Statistiken zur Beschäftigungsentwicklung herangezogen, bekommt das freundliche Bild noch mehr Kratzer.
So haben Grossunternehmen laut Zahlen eines prominenten Personalvermittlers in den vergangenen Monaten immer mehr Entlassungen angekündigt. Im Dezember wurde sogar die höchste Zahl seit über sieben Jahren gemeldet (wenn die Corona-Krise Anfang 2020 ausgeklammert wird). Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass die Personalfreisetzungen nicht unmittelbar, sondern erst im Laufe der folgenden Monate umgesetzt werden. Folglich warnt auch diese Entwicklung vor einem bald deutlich nach unten drehenden Stellensaldo (vgl. Abb. 6).
Bedenklich ist des Weiteren, dass die Verbraucher die Arbeitsmarktlage inzwischen nicht mehr so rosig bewerten wie noch vor einigen Quartalen. Der entsprechende Diffusionsindex aus der Umfrage des Conference Board hatte vor rund einem Jahr ein Allzeithoch markiert, tendiert seither aber nach unten und vermittelt damit den Eindruck eines sich langsam eintrübenden Beschäftigungsumfelds. Üblicherweise ist diese Grösse negativ mit der Entwicklung der Arbeitslosenquote korreliert und mahnt damit ebenfalls zur Vorsicht (vgl. Abb. 7).
Vorlaufende Indikatoren kündigen sogar deutliche Verschlechterung an
Zieht man zusätzlich vorausschauende Konjunkturindikatoren zurate, trübt sich der Ausblick noch mehr ein. Zunächst fällt hier die Entwicklung in der Bauwirtschaft ins Auge. Die Wohnbauinvestitionen gehen schon seit knapp zwei Jahren zurück und haben inzwischen den tiefsten Stand seit sieben Jahren erreicht. Gleichzeitig hat die Beschäftigung in diesem Sektor jedoch bis zuletzt zugenommen. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, ist ein solcher Versatz keineswegs unüblich. Folglich muss davon ausgegangen werden, dass es in der Bauwirtschaft zu einer namhaften Entlassungswelle kommen wird, die den Arbeitsmarkt in den nächsten Quartalen empfindlich belastet (vgl. Abb. 8).
Noch wichtiger für den Arbeitsmarkt als die Bauinvestitionen sind die Investitionen der Unternehmen. Deren Anteil am BIP ist rund fünf Mal so gross und gleichermassen stärker ist auch der Einfluss auf die Beschäftigung. Wir haben bereits seit Längerem darauf hingewiesen, dass deutliche Rückgänge bei den Unternehmensinvestitionen bevorstehen. Zuletzt wurde diese Einschätzung durch die neuste Umfrage der Fed unter den Geschäftsbanken zu den Kreditvergabestandards bestätigt.
Demnach haben die Finanzinstitute die Vergabestandards bis zuletzt weiter verschärft. Der entsprechende Diffusionsindex taucht damit immer tiefer auf Rezessionsniveaus ab und kündigt schon für die erste Hälfte dieses Jahres einen merklichen Rückgang der Kapitalgüternachfrage an (vgl. Abb. 9).
Damit aber nicht genug. Werden zusätzlich die Bremswirkungen der gestiegenen Zins-, Lohn- und Rohstoffkosten berücksichtigt, kann der Blick noch weiter in die Zukunft gerichtet werden. Dann zeigt sich, dass die Unternehmensinvestitionen sogar bis Anfang kommenden Jahres sinken dürften (vgl. Abb. 10).
Für den Arbeitsmarkt sind das sehr schlechte Nachrichten. Wenn die Unternehmen ihre Investitionen deutlich zurückfahren, wird dies voraussichtlich mit einem umfangreichen Stellenabbau einhergehen (vgl. Abb. 11).
Fazit: Der letzte Fels in der Brandung dürfte bald verschwinden
Die prominenten Arbeitsmarktindikatoren zeichnen für sich genommen ein aussergewöhnlich freundliches Bild der Beschäftigungslage. Eine umfassendere Analyse aller zur Verfügung stehenden Arbeitsmarktkennzahlen vermittelt jedoch einen differenzierteren Eindruck. Demnach ist bereits bei vielen der üblicherweise leicht vorauslaufenden Indikatoren – wie z.B. den Teilzeitbeschäftigten – eine merkliche Verschlechterung der Lage zu erkennen.
Werden zusätzlich weiter in die Zukunft blickende Grössen hinzugezogen, trübt sich der Ausblick noch stärker ein. Eine besondere Rolle spielen hier die Kreditvergabestandards, die einen deutlichen Rückgang der Investitionen ankündigen.
Alles in allem sind somit dunkle Wolken über dem US-Arbeitsmarkt aufgezogen. Wir sehen es daher ungeachtet der Diskussionen um einen strukturellen Arbeitskräftemangel als sehr wahrscheinlich an, dass die Beschäftigung in den kommenden Quartalen sinkt und die Arbeitslosenquote entsprechend steigt. Der letzte Fels in der Brandung der US-Konjunktur dürfte damit verschwinden und die weltweit grösste Volkswirtschaft in eine Rezession abrutschen.
Von Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist des Asset Managers BANTLEON