Der Composite-EMI der Eurozone führt in die Irre

Der kräftige Anstieg des Composite-Einkaufsmanagerindex seit vergangenem Herbst hat bei vielen Prognostikern die Hoffnung auf einen Aufschwung in der Eurozone geschürt. Wir sind allerdings skeptisch. So geht der jüngste Anstieg ausschließlich auf den Dienstleistungssektor zurück. Das verarbeitende Gewerbe steckt dagegen in einer Krise. Zudem geht die Verbesserung im Servicesektor nur auf eine Handvoll Branchen aus dem Bereich Tourismus zurück. Hier scheinen aber weniger eine überbordende Nachfrage, als vielmehr teils drastische Preiserhöhungen für gute Stimmung zu sorgen. Unserer Einschätzung nach gibt der Composite-EMI somit ein Fehlsignal in Sachen Konjunktur. Die Zeichen für die Eurozone stehen mithin nach wie vor auf Rezession und nicht auf Aufschwung. BANTLEON | 13.06.2023 10:55 Uhr
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG / © e-fundresearch.com / BANTLEON
Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG / © e-fundresearch.com / BANTLEON

Von Rezessionssorgen im Herbst …

Im Herbst 2022 schien eine Rezession in der Eurozone unausweichlich: Die Großhandelspreise für Gas und Strom lagen teils 10-mal so hoch wie vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine und es ging die Furcht vor einer Gasmangellage um. Die befürchtete Energiekrise blieb jedoch aus. Im Endeffekt schwächte sich die Konjunktur im Winterhalbjahr zwar merklich ab, zu einem Einbruch kam es aber nicht. Sowohl im Schlussquartal 2022 als auch im 1. Quartal 2023 ging das BIP um 0,1% gegenüber dem Vorquartal zurück.

… hin zu Aufschwungshoffnungen, …

Angesichts der seit Herbst massiv gesunkenen Energiepreise in Kombination mit den Corona-Nachholeffekten sowie der Entspannung bei den globalen Lieferketten geht die Mehrheit der Prognostiker nun davon aus, dass die Eurozone wirtschaftlich das Schlimmste hinter sich hat. Viele erwarten sogar einen Aufschwung. Die Mehrzahl der von Bloomberg befragten Analysten rechnet für die kommenden Quartale beispielsweise mit Zuwachsraten von 0,2%. Noch optimistischer sind die EZB und die EU-Kommission. Beide Institutionen haben ihre BIP-Prognose für das laufende Jahr zuletzt nach oben revidiert und unterstellen BIP-Zuwachsraten von 0,3% bis 0,4% pro Quartal (vgl. Abbildung 1).

… die vor allem der Composite-EMI schürt

Diese Zuversicht wird nicht zuletzt durch die Entwicklung des Composite-Einkaufsmanagerindex (EMI) gestützt (vgl. Abbildung 2). Ein Indikator, der in der Vergangenheit recht zuverlässig die Entwicklung des BIP-Wachstums abgebildet hat. Bis April hatte das Konjunkturbarometer von seinem zyklischen Tiefstwert im Oktober 2022 (47,3 Punkte) um 6,8 auf 54,1 Punkte zugelegt. Im Mai gab es zwar auf 52,8 Punkte nach, in der Vergangenheit ging ein solcher Wert jedoch mit einem durchschnittlichen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 0,4% gegenüber dem Vorquartal einher. Wir sind allerdings der Meinung, dass es dieses Mal anders kommt.

Dienstleistungen hui, Industrie pfui

Die Verbesserung des Composite-Index geht ausschließlich auf den rasanten Anstieg des Dienst­leistungs-EMI zurück, der seit vergangenem November 6,6 Punkte in die Höhe geschnellt ist. Im verarbeitenden Gewerbe hat sich die Lage dagegen nicht aufgehellt – im Gegenteil: Im Mai rutschte der Industrie-EMI auf 44,8 Punkte und damit den niedrigsten Stand seit Mai 2020 ab (vgl. Abbildung 2). Inzwischen spiegelt sich dieser Absturz auch in den realwirtschaftlichen Daten wider. So ging die Industrieproduktion in der Eurozone im März merklich zurück (-4,1% gegenüber dem Vormonat) und die deutschen Auftragseingänge brachen im März und im April in Summe um 11,3% ein. In Kombination mit dem bis zuletzt rückläufigen EMI zeichnet sich damit ein Rückgang des Outputs im verarbeitenden Gewerbe der Eurozone im laufenden Quartal ab.

Partystimmung im Tourismussektor, …

Anders als der überwiegende Teil der Prognostiker gehen wir nicht davon aus, dass der Dienstleistungssektor die Schwäche in der Industrie überkompensiert. Unserer Einschätzung nach geht der Höhenflug des Service-EMI nämlich nicht auf eine überbordende Nachfrage, sondern lediglich auf die teils massiven Preisanhebungen in einigen Dienstleistungsbranchen zurück. Das betrifft in erster Linie konsumnahe Bereiche wie Tourismus und Beherbergung. Tatsächlich hatte S&P Global in jüngster Zeit mehrfach darauf verwiesen, dass der kräftige Anstieg des Dienstleistungs-EMI in der Eurozone in den vergangenen Monaten auf den Sektor Reise und Tourismus konzentriert war.

Der Blick auf das von der EU-Kommission erhobene Dienstleistungsvertrauen bestätigt das. Während sich die Nachfrageerwartungen in den drei Branchen (Kreuz-)Schifffahrt, Beherbergung und Reiseveranstalter vor der Pandemie im Großen und Ganzen parallel zum restlichen Servicesektor entwickelt haben, hat sich das seit März 2020 drastisch verändert (vgl. Abbildung 3). Die Tourismusbranchen weisen seit drei Jahren eine viel stärker ausgeprägte Zyklik auf. Darüber hinaus verläuft die Bewegung der Nachfrageerwartungen in den Tourismusbranchen im genannten Zeitraum nahezu deckungsgleich mit dem Dienstleistungs-EMI (vgl. Abbildung 4).

Unsere erste Schlussfolgerung lautet daher: Der starke Anstieg des EMI im Servicesektor seit vergangenem Herbst geht offenbar weitgehend auf den Freizeitsektor zurück. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich diese Erholung in den entsprechenden harten Konjunkturdaten in dem Ausmaß, wie vom Service-EMI suggeriert, gar nicht beobachten lässt.

… obwohl die Fluggast- und Touristenzahlen seit einem Jahr stagnieren

So bewegen sich beispielsweise die Fluggastzahlen und die Übernachtungszahlen in der Eurozone seit Sommer 2022 im Prinzip seitwärts, bestenfalls lässt sich hie und da ein sehr flacher Aufwärtstrend erkennen (vgl. Abbildungen 5 und 6). Der Umsatz in deutschen Hotels und Gaststätten ist seit Juni 2022 real sogar rückläufig. Bis März 2023 belief sich das Minus auf knapp 9,0%.

Die Nachfrage nach Reisen, Freizeitaktivitäten und Hotelübernachtungen ist also gar nicht über die Masse in die Höhe geschossen. Dieser Eindruck entsteht nur, weil viele Anbieter ihre Kapazitäten während der Pandemie reduziert haben bzw. zahlreiche Anbieter infolge der Pandemie ganz vom Markt verschwunden sind. Somit führt die bloße Annäherung der Nachfrage an das Vor-Pandemie-Niveau bereits zu Kapazitätsengpässen und dem Eindruck eines Nachfragebooms.

Kapazitätsengpässe führen zu kräftigen Preissteigerungen

Die derzeitige Situation bietet mithin den Anbietern das optimale Umfeld, starke Preisanhebungen durchzusetzen. Dass sie dies auch tun, zeigt der Blick auf den Harmonisierten Verbraucherpreisindex für die Eurozone. Die Preise für Pauschalreisen lagen im April 10,7% höher als vor einem Jahr, Hotelübernachtungen verteuerten sich um 11,1% und für Flugtickets wurden 20,3% mehr fällig.

Die Gegenüberstellung der Preisentwicklung für Hotelübernachtungen mit dem Dienstleistungs-EMI erhärtet unsere Vermutung. Seit Beginn der Pandemie entwickeln sich beide Datenreihen nahezu im Gleichschritt des typischen Saisonmusters der Preise für Hotelübernachtungen (vgl. Abbildung 7). Die Preiseffekte schlagen mittlerweile also so stark durch, dass sie die Entwicklung des Service-EMI maßgeblich bestimmen. Vor 2020 war dieses Muster dagegen nicht zu beobachten, da die Preisbewegungen weniger ausgeprägt ausfielen.

In den Jahren 2020 und 2021 lässt sich die auffällige Achterbahnfahrt des Dienstleistungs-EMI noch durch die Pandemie-Restriktionen erklären: In den Lockdownphasen ging das Barometer stark zurück, die Lockerung von Beschränkungen führte dagegen zu einem Anstieg des EMI. Seit Mitte 2022 hat sich die Nachfrage aber stabilisiert, weder der starke Rückgang des Einkaufsmanagerindex im Herbst 2022 noch der kräftige Anstieg seither lassen sich damit erklären.

Auch die Energiekrise scheidet als Erklärung für die Bewegungen des EMI aus. Sie kann zwar den Einbruch im Sommerhalbjahr 2022 erklären, den starken Anstieg seit dem Herbst des vergangenen Jahres dagegen nicht. Denn wie gezeigt, gab es dieses Auf und Ab bei der Nachfrage nicht. Zugleich hat sich die Lage im verarbeitenden Gewerbe seither eingetrübt, sodass der Anstieg des Service-EMI auch nicht mit einer Aufhellung bei den industrienahen Dienstleistungen erklärt werden könnte.

Unsere zweite Schlussfolgerung lautet daher: Der starke Anstieg des EMI im Dienstleistungssektor seit vergangenem Herbst ist nicht auf eine entsprechend größere Nachfrage zurückzuführen. Vielmehr scheinen sich die Unternehmen im Tourismussektor in erster Linie über stark gestiegene Umsätze infolge kräftiger Preisanhebungen zu freuen.

Das BIP wird nicht wachsen, der Composite-EMI schon bald wieder sinken

Liegen wir mit dieser Einschätzung richtig, hat das eine äußerst wichtige Implikation: Der starke Anstieg des Service-EMI und damit des Composite-EMI signalisiert keine kräftige Konjunkturbelebung, sondern lediglich einen Preiseffekt. Der Output im Dienstleistungsbereich ist nur nominal, nicht jedoch real gestiegen. Man kann aus diesen Indikatoren daher nicht auf ein mehr oder weniger deutliches Plus des BIP im laufenden Quartal schließen. Stattdessen dürfte die Wirtschaftsleistung infolge eines rückläufigen Industrieausstoßes sowie einer nachlassenden Bautätigkeit sogar erneut schrumpfen.

Auch mit Blick auf das 2. Halbjahr bleiben die konjunkturellen Perspektiven eingetrübt. Die massive Straffung der Geldpolitik in der Eurozone und im Rest der Welt spricht gegen die Entfaltung eines Aufschwungs (vgl. Abbildung 8). Stattdessen dürfte sich die Rezession in der Eurozone verfestigen. Wir prognostizieren daher unverändert einen leichten BIP-Rückgang im laufenden Jahr um 0,1% (Konsensus: +0,6%).

Davon abgesehen sollte der Dienstleistungs-EMI im Einklang mit dem üblichen Saisonmuster der Preise für Hotelübernachtungen in den kommenden Monaten wieder spürbar sinken (vgl. Abbildung 7).

Fazit

Der Höhenflug des Composite-EMI seit vergangenem Herbst ist unseres Erachtens kein Zeichen eines beginnenden Aufschwungs. Die Lage im verarbeitenden Gewerbe hat sich bis zuletzt erheblich eingetrübt und das Stimmungshoch im Dienstleistungsbereich dürfte im Wesentlichen auf eine Handvoll Branchen mit Tourismusbezug zurückzugehen. Die scheinen wiederum vornehmlich von den kräftigen Preisanhebungen, nicht aber einer übermäßig stark gestiegenen realen Nachfrage zu profitieren. Der Composite-EMI gibt somit ein klares Fehlsignal in Sachen Konjunktur.Die Zeichen für die Eurozone stehen mithin nach wie vor auf Rezession und nicht auf Aufschwung. Wir gehen daher davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden und in den kommenden Quartalen schrumpft.

Auch die EZB wird bald erkennen, dass der Anstieg des Composite-EMI in erster Linie auf nominalen Faktoren beruht und es sich nicht um eine reale Erholung handelt. Eine weitere Straffung der Geldpolitik ist unseres Erachtens damit nicht angezeigt. Mit jeder weiteren Zinsanhebung riskiert die EZB eine Verschärfung der Rezession und damit ein erneutes Unterschiessen des eigenen Inflationsziels.

Von Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG

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