Bantleon-Chefvolkswirt: „Die EZB liegt mal wieder falsch“

BANTLEON | 28.06.2023 10:11 Uhr
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON / © e-fundresearch.com / BANTLEON
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Einmal mehr verwundern die Makro-Prognosen der EZB, die sie während ihrer jüngsten Sitzung neu justiert hat. Die Währungshüter rechnen im laufenden Jahr weiterhin mit einer konjunkturellen Erholung, die sich 2024 verfestigen werde. Das BIP-Wachstum liegt demnach 2023 bei 0,9% und 2024 bei 1,5%. Die Inflation werde sich zwar abschwächen, im Durchschnitt des Jahres 2024 aber immer noch 3,0% betragen und selbst 2025 mit 2,2% über dem Inflationsziel der EZB liegen.

Die EZB-Projektionen stehen damit nicht nur in diametralem Gegensatz zu unserem eigenen Ausblick, sondern weisen auch einige Ungereimtheiten auf. Es beginnt damit, dass die Fachleute der EZB, die für die Prognoseerstellung verantwortlich sind, beim BIP die jüngste Abwärtskorrektur für das 1. Quartal nicht berücksichtigt haben. Statt mit -0,1% wurde mit +0,1% gerechnet (im Vergleich zum Vorquartal). Allein wenn hier der mittlerweile korrekte Wert verwendet wird, reduziert sich die Prognose für das BIP-Wachstum im Jahr 2023 von 0,9% auf 0,7%.

Für das laufende 2. Quartal unterstellt die EZB in ihrem detaillierten Ausblick einen BIP-Zuwachs von 0,3%. Die bislang bekannten Aprildaten aus dem Einzelhandel und der Industrie decken dies jedoch nicht. Der jüngste Datenflow spricht vielmehr für einen erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Eurozone.

Die Zuversicht für das 2. Halbjahr 2023 zieht die EZB ausgerechnet aus der fallenden Inflation. Diese würde die Kaufkraft der Konsumenten stärken und den privaten Verbrauch beleben. Kleinere Impulse von dieser Seite dürfte es tatsächlich geben. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Inflation eine nachlaufende Größe im Konjunkturzyklus ist. In den jüngsten Rückgängen der globalen Teuerung spiegelt sich nicht zuletzt die weltweit rückläufige Nachfrage, was mit Blick auf den Export der Eurozone kein gutes Omen ist.

Eine Größe, die dem Konjunkturzyklus vorausläuft, ist dagegen die Zinsentwicklung – und hier ist der Befund eindeutig: Mit den seit Mitte 2022 anhaltenden Leitzinsanhebungen hat die EZB den größten Zinsschock der Nachkriegszeit ausgelöst. Für die Notenbank resultiert daraus aber nur ein leicht dämpfender Effekt auf die Investitionen. Das sehen wir ganz anders. Im Baugewerbe ist der bevorstehende Einbruch bereits unübersehbar und bei Maschinen und Anlagen dürften sich die negativen Wirkungen noch entfalten.

Die optimistische Sicht der EZB auf die Konjunktur überträgt sich schließlich auch auf ihre Inflationsprognose. Die Notenbank rechnet mit einem weiter brummenden Arbeitsmarkt und kräftigem Lohnwachstum. Wir gehen zwar ebenfalls von anziehendem Lohndruck aus, aber er dürfte nicht ausreichen, um die Inflation 2024 nochmals bei 3,0% zu halten. Vielmehr hat sich mittlerweile ein enormer Abwärtsdruck bei den Energie- und Nahrungsmittelpreisen eingestellt. Zudem dürften sich bei zahlreichen anderen Komponenten wie Gebrauchtwagen, Hotelübernachtungen, Flugtickets die coronabedingten Preissteigerungen nicht wiederholen. Außerdem sollte es den Unternehmen immer schwerer fallen, Preisüberwälzungen durchzusetzen. Unserer Prognose zufolge wird die Teuerungsrate der Eurozone daher bereits 2024 im Durchschnitt leicht unter dem Inflationsziel der EZB liegen.

Alles in allem gehen wir davon aus, dass die EZB schon im September 2023 bei der BIP-Prognose eine spürbare Abwärtskorrektur vornehmen muss. Auch bei der Inflation sollten sich in den nächsten Monaten die Disinflationssignale verstärken. Allerdings werden technische Faktoren dazu führen, dass die Kerninflation bis August 2023 über 5,0% verharrt. Wer allein hierauf den Blick richtet, könnte daher im Herbst weitere Leitzinsanhebungen rechtfertigen. Allerdings würde die EZB damit extrem rückwärtsgewandt agieren und die Wirtschaft der Währungsunion immer tiefer in die Rezession treiben. Nach ihrem ersten Fehler, den expansiven Kurs 2021/2022 zu lange fortgeführt zu haben, droht im 2. Halbjahr 2023 der zweite Fehler: ein zu langes Festhalten am restriktiven Kurs.

Von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON

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