Die wichtigsten Ergebnisse der EZB-Sitzung:
- Anhebung der Leitzinssätze um 25 Bp
- Weitere Zinsanhebungen sind unwahrscheinlich
- Inflationsprojektionen werden nach oben, BIP-Projektionen nach korrigiert
Unsere Einschätzung
Die EZB Zinsentscheidung stand auf Messers Schneide: taubenhafte Zinspause oder falkenhafte Zinsanhebung. Wir hatten im Vorfeld einer taubenhaften Zinspause eine etwas größere Wahrscheinlichkeit beigemessen. Nun haben sich aber doch noch einmal die Falken im EZB-Rat durchgesetzt: Der Einlagensatz steigt um 25 Bp auf 4,00%, der Hauptrefinanzierungssatz um 25 Bp auf 4,50%. Ausschlaggebend war die Anhebung der Inflationsprognose für das kommende Jahr von 3,0% auf 3,2%. Die Entscheidung fiel anders als im Juli jedoch nicht mehr einstimmig. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sprach von einer soliden Mehrheit für eine Zinsanhebung, was wir in etwa mit 60:40 einordnen würden. Um den Frieden im EZB-Rat zu sichern, wurde den Tauben durch die Quasi-Ankündigung des Endes der Zinsanhebungsphase entgegengekommen. Denn so interpretieren wir die Formulierung aus der geldpolitischen Stellungnahme, die Zinsen hätten ein ausreichend restriktives Niveau erreicht und würden daher wesentlich zu einer zeitnahen Rückkehr der Teuerungsrate zum Inflationsziel beitragen. Der künftige Zinspfad soll zwar von Sitzung zu Sitzung in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Daten bestimmt werden, die Latte für weitere Zinsanhebungen liegt aber sehr hoch. Lagarde machte mehrfach deutlich, dass weitere Zinsanhebungen bei Eintreten des Konjunktur- und Inflationsszenarios nicht zu erwarten sind.
Inklusive der letzten Entscheidung wurden die Leitzinsen seit Juli 2022 um 450 Bp nach oben geführt. Damit kommt die aktuelle Zinsanhebungsphase der schärfsten geldpolitischen Straffung seit 1999 bzw. unter Einbeziehung der Bundesbank sogar der vergangenen 50 Jahre gleich (vgl. folgende Abbildung). Verstärkt wird die Wirkung der höheren Zinsen durch den gleichzeitigen Liquiditätsentzug über das Abschmelzen des APP sowie das Auslaufen der TLTRO-III- Geschäfte. Eine derartige Verschärfung der Finanzierungskonditionen kann nicht ohne Auswirkungen auf die Konjunktur bleiben. Das stellen inzwischen auch die Währungshüter fest. Sie konstatieren, dass die Binnennachfrage zunehmend unter der Straffung der Geldpolitik leidet. Zugleich wird eine Abschwächung der globalen Nachfrage anerkannt. Die BIP-Projektionen für das laufende Jahr und 2024 wurden entsprechend nach unten angepasst (vgl. Tabelle unten). Zugleich betonte die EZB-Präsidentin, dass die Risiken für den Konjunkturausblick weiterhin abwärtsgerichtet sind. Auch, weil die Transmission der verschärften Finanzierungskonditionen auf die wirtschaftliche Aktivität schneller und stärker erfolge als in früheren Zinsanhebungsphasen. Das ist ein Grund, weshalb die Projektionen für das 3. und 4. Quartal 2023 nur noch einen BIP-Zuwachs von 0,0% bzw. 0,1% gegenüber dem Vorquartal unterstellen. Im Juni waren es noch 0,3% bzw. 0,4%. Für 2024 wird aber weiterhin ein Anstieg der quartalsweisen Zuwachsraten auf 0,4% erwartet.
Mit Blick auf ein mögliches Vorziehen des Endes der Reinvestitionen des PEPP vom Ende des kommenden Jahres sagte Lagarde, dies sei nicht diskutiert worden. Ebenso wenig eine Beschleunigung des Abbaus des APP-Portfolios durch Anleihenverkäufe. Es bleibt daher bis auf Weiteres beim Abschmelzen des Anleihenportfolios durch den Verzicht auf die Reinvestition fälliger Anleihen aus dem APP.
Unser Ausblick
Die Zinsentscheidung stellt unserer Einschätzung nach das Ende der Zinsanhebungsphase dar. Die (Kern-)Inflation dürfte in den kommenden Monaten stärker zurückgehen als von den Währungshütern unterstellt. Weitere Zinserhöhungen werden daher nicht nötig sein. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass die Zinsen schon im 1. Halbjahr 2024 wieder sinken. Zwar betonte die EZB-Präsidentin mehrfach, die Leitzinsen müssten hinreichend lang auf dem erreichten restriktiven Niveau gehalten werden, allerdings schätzen wir die Konjunkturprognose der Notenbank weiterhin als zu optimistisch ein. Wir gehen davon aus, dass das BIP 2024 nur um 0,3% wächst und die Wirtschaft im 2. Halbjahr 2023 schrumpft. Behalten wir Recht, dürfte es mit Zinssenkungen schneller gehen als derzeit von den Währungshütern in Aussicht gestellt – unabhängig davon, was die aktuell sagen. Denn wie rasch der EZB-Rat seine eigenen Vorgaben über den Haufen werfen kann, hat er in den vergangenen Quartalen mehrfach bewiesen.
Von Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG