Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den zweiten Nachtragshaushalt des Jahres 2021 für nichtig zu erklären, ist ein Paukenschlag. Mit einem Federstrich wurden dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) 60 Mrd. EUR entzogen. Viele Mitglieder der deutschen Regierung waren zwar schnell um Beschwichtigung bemüht. Die geplanten Ausgaben des KTFs seien schließlich nicht sofort fällig, sondern würden sich über vier Jahre erstrecken. Dennoch dürfte die Entscheidung aus Karlsruhe für die Zukunft Deutschlands und der Währungsunion weitreichende Konsequenzen haben.
Zunächst fehlen in der Finanzplanung des nächsten Jahres rund 20 Mrd. EUR – und es dürften noch mehr werden, denn weitere Sondervermögen (Wirtschaftsstabilisierungsfonds) sowie frühere Umbuchungen in den KTF könnten sich ebenfalls als verfassungswidrig erweisen. Da der reguläre Bundeshaushalt auf Kante genäht ist, müssten zur Kompensation an anderer Stelle Ausgaben gekürzt oder Steuern erhöht werden. Beides dürfte in der Ampelkoalition schwierig werden. Es wird somit nichts anderes übrigbleiben, als einen Teil der Förderprogramme für den Klimaschutz zu streichen oder die Ausgaben zu strecken. Die deutsche Fiskalpolitik wird in der Folge 2024 restriktiver ausfallen als bislang geplant. Die ohnehin angeschlagene Konjunktur erfährt hierdurch einen weiteren Dämpfer, zumal viele Unternehmen aufgrund der entstandenen Unsicherheit eigene Investitionen zurückstellen werden.
Damit aber nicht genug. Das Urteil hat all diejenigen bestätigt, die eine enge Auslegung der deutschen Schuldenbremse und ein Ende der Schattenhaushalte fordern. Mithin ist auch für die nächsten Jahre eine restriktive Fiskalpolitik vorgezeichnet. Die Schuldenbremse lässt über den Konjunkturzyklus hinweg pro Jahr lediglich ein Haushaltsdefizit von 0,35% des BIP zu. Eine solch enge Fiskalregel hat sich kaum ein anderes Land in Europa auferlegt.
Frankreich und Italien planen z.B. in den nächsten Jahren mit Haushaltsdefiziten zwischen 3% und 5% des BIP. Dies wird nicht zuletzt als notwendig erachtet, um im Bereich des Klimaschutzes Fortschritte zu machen. Die südeuropäischen Länder erhalten überdies noch umfangreiche Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Allein Italien hat daraus bereits in den vergangenen Jahren über 80 Mrd. EUR bezogen – weitere gut 100 Mrd. EUR stehen noch aus.
Deutschland wird hingegen seine ehrgeizigen Pläne zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Transformation der Wirtschaft abspecken müssen. Größere Sprünge sind hier aufgrund des – selbst auferlegten – Sparens in den nächsten Jahren kaum möglich. Die größte Volkswirtschaft der Währungsunion droht damit im Bereich des Klimaschutzes, der Digitalisierung und des Ausbaus der Infrastruktur weiter ins Hintertreffen zu geraten.
Manche werden einwenden, dass Deutschland im Gegenzug zum fiskalischen Musterschüler wird. Die Staatsschuldenquote sollte schon bald wieder unter 60% fallen. Daraus dürften aber nur wenige Vorteile resultieren. Stattdessen werden die übrigen Euroländer bei der Verteilung künftiger EU-Mittel noch stärker die Hand aufhalten. Darüber hinaus hat sich die No-Bailout-Klausel der Eurozone in den vergangenen Jahren als Papiertiger erwiesen. Im Zweifelsfall muss Deutschland einspringen, wenn andere Mitgliedsländer in Schieflage geraten.
Der unterschiedliche Kurs in der Fiskalpolitik dürfte überdies die Spannungen in der Eurozone weiter verschärfen. So wird angesichts der deutschen Sparpolitik die Knappheitsprämie für Bundesanleihen wachsen. Der Spread zu Italien dürfte somit in den nächsten Jahren noch stärker unter Ausweitungsdruck geraten.
Alles in allem ist die strikte Auslegung der deutschen Schuldenbremse ein Weg in die Sackgasse. Deutschland läuft damit Gefahr, einen überalterten Kapitalstock zu konservieren und dennoch Zahlmeister in der EU zu bleiben.
Von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON