Eckpunkte der EZB-Zinsentscheidung:
- EZB positioniert sich deutlich weniger falkenhaft als noch im Dezember
- Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung werden betont
- Tür für Zinssenkung im April bleibt offen
Unsere Einschätzung
Die Währungshüter scheinen zuversichtlicher zu werden, ihr Inflationsziel trotz des bis zuletzt starken Lohnwachstums in absehbarer Zeit zu erreichen. Das zeigt die Wortwahl mit Blick auf den Verbraucherpreisanstieg. So wird hervorgehoben, dass sich der unterliegende Preisauftrieb, d.h. die Kerninflation weiter abgeschwächt hat. Zudem findet sich – anders als noch im Dezember – kein Verweis mehr auf erhöhten binnenwirtschaftlichen Preisdruck als Folge der stark gestiegenen Lohnstückkosten. Stattdessen sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, es gebe beim Thema Löhne erste Anzeichen für eine Entspannung. Zusätzlich betonte sie, die kurzfristigen Inflationserwartungen seien jüngst merklich gefallen, während die mittel- und langfristigen fest bei 2% verankert seien. Als Grund für den Erfolg bei der Inflationsbekämpfung sehen die Währungshüter die von ihnen umgesetzten geldpolitischen Maßnahmen. Die Finanzierungskonditionen werden nun als »straff« charakterisiert und nicht mehr nur als »gestrafft«. Dies dämpfe die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit den Preisdruck. Davon abgesehen konstatierte Lagarde eine anhaltende wirtschaftliche Schwächephase und sagte, es gebe mehr Abwärtsrisiken für die Konjunktur als Aufwärtsrisiken.
Besonders hervorzuheben ist unserer Meinung nach ein Satz der EZB-Präsidentin. Sie sagte, die Inflationsrate würde deutlich schneller sinken, wenn sich die Preise für Gas und Rohöl entsprechend der jüngst stark gesunkenen Markterwartungen entwickelten. Wir gehen schon seit einiger Zeit davon aus, dass genau das der Fall sein wird. Daher liegt unsere Inflationsprognose für das laufende Jahr bereits seit Monaten deutlich unter derjenigen der EZB (vgl. Tabelle unten). Wir verstehen Lagardes Kommentar als Hinweis darauf, dass sich der EZB-Rat bereits auf eine erneute deutliche Abwärtsrevision der eigenen Inflationsprojektionen im März vorbereitet. Da wir zudem auch eine Abwärtsrevision der BIP-Projektionen für 2024 erwarten, wäre die Tür für eine Zinssenkung im April geöffnet. Lagarde nannte zwar weiterhin den Sommer als wahrscheinlichsten Zeitpunkt einer ersten Zinssenkung, allerdings wollte sie einen früheren Zeitpunkt nicht ausschließen und wich entsprechenden Fragen mehrfach aus.
Fazit
Es riecht nach Zinssenkungen. Mit ihren Ausführungen bereitet die EZB unserer Ansicht nach eine baldige Lockerung der Geldpolitik vor. Die Frage ist nun, ob der erste Zinsschritt im Juni oder schon im April erfolgt. Sollten wir mit unserer Erwartung eines deutlichen Inflationsrückgangs im Januar und Februar richtig liegen, liefe es wohl auf eine erste Zinssenkung im April hinaus. Da die Teuerungsrate unseren Berechnungen zufolge in der zweiten Jahreshälfte 2024 unter 2,0% sinken wird, dürften die Leitzinsen bis zum Herbst um mindestens 100 Bp gesenkt werden (je 25 Bp im April, Juni, Juli und September).
Von Jörg Angelé, Senior Economist der BANTLEON AG