Eckpunkte der heutigen EZB-Zinsentscheidung:
- Die Inflationsprognose für 2024 wurde deutlich von 2,7% auf 2,3% abgesenkt
- Sorge bereitet weiter der hohe heimische Preisdruck
- Lagarde hat dennoch unmissverständlich den Juni als Startpunkt für den Zinssenkungszyklus ins Spiel gebracht
Einschätzung: Notenbankpräsidentin Christine Lagarde hat im Rahmen der jüngsten EZB-Sitzung klar zum Ausdruck gebracht, dass der Disinflationsprozess in den vergangenen Monaten grosse Fortschritte gemacht hat. Nicht zuletzt habe der unterliegende Preisdruck weiter nachgegeben. Entsprechend sind die Währungshüter immer zuversichtlicher, in absehbarer Zeit das Inflationsziel zu erreichen. Dies spiegelt sich auch in den neuen EZB-Inflationsprognosen wider, die abwärtskorrigiert wurden (siehe Tabelle). Allerdings sei das Vertrauen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gross genug. Die EZB benötige weitere Daten. Innerhalb des EZB-Rats sei man sich darin einig, dass im Juni ausreichend Informationen zur Verfügung stehen, um eine Entscheidung zu treffen. Das war ein ziemlich klarer Hinweis, den Zinssenkungszyklus im Juni zu beginnen. Lagarde ergänzte schliesslich, dass im April vermutlich noch zu wenig neue Informationen vorhanden seien.
Sorge bereitet der EZB nach wie vor die vergleichsweise hohe Teuerung bei Dienstleistungen, deren Jahresrate im Februar bei 3,9% lag. Hier spielt wiederum der Lohndruck eine entscheidende Rolle. Um zusätzliches Vertrauen in den Disinflationsprozess zu erhalten, wollen die Notenbanker daher unter anderem noch weitere Hinweise für nachlassenden Lohndruck erhalten. Die Währungshüter setzen überdies darauf, dass ein Teil des Lohndrucks von den Unternehmen über das Abschmelzen der Gewinnmargen absorbiert wird.
Lagarde räumte offen ein, dass im Rahmen der Notenbanksitzung erstmals über geldpolitische Lockerungen gesprochen wurde und dass die EZB in den nächsten Monaten damit beginnen werde, den Restriktionsgrad zu reduzieren. Keine Angaben wollte sie aber über die Form des anstehenden Zinssenkungszyklus machen, also z.B. darüber, in welcher Geschwindigkeit die Leitzinsen gesenkt werden. Sie machte jedoch klar, dass man völlig unabhängig von der Fed handeln und gegebenenfalls auch der US-Notenbank voranschreiten werde.
Fazit: Die EZB-Präsidentin hat die Tür für Leitzinssenkungen weit aufgestossen und als Startpunkt den Juni ins Visier genommen. Ausschlaggebend dafür, ob der Schritt tatsächlich erfolgt, ist insbesondere die weitere Entwicklung der Kerninflation. Zuletzt hat sich hier die Abwärtsbewegung zwar etwas verlangsamt. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich der übergeordnete Trend in den nächsten Monaten fortsetzt. Eine Ausnahme stellt der März dar. Die frühe Lage des Osterfests wird die Jahresraten einiger Preiskomponenten (z.B. Pauschalreisen und Restaurantdienstleistungen) nach oben verzerren. In der Folge dürfte die Kerninflation im laufenden Monat nochmals ansteigen. Bereits im April sollte jedoch die Gegenbewegung folgen. Insgesamt dürfte die Kerninflation im 2. Quartal erkennbar unter 3,0% absacken und damit den Weg für geldpolitische Lockerungen ebnen. Wir rechnen ab Juni mit insgesamt vier Leitzinssenkungen in diesem Jahr. Die Depositenrate sollte Ende 2024 mithin bei 3,00% liegen. Ob 2025 weitere Schritte erfolgen, hängt von der konjunkturellen Entwicklung ab. In unserem Basisszenario erwarten wir eine vorsichtige Wachstumsbeschleunigung, weshalb es vermutlich bei einem kurzen Zinssenkungszyklus bleibt.
| 2024 | 2025 | 2026 |
Wachstum in %* | 0,6 (0,8) | 1,5 (1,5) | 1,6 (1,5) |
Inflation in %* | 2,3 (2,7) | 2,0 (2,1) | 1,9 (1,9) |
Kerninflation in %* | 2,6 (2,7) | 2,1 (2,3) | 2,0 (2,1) |
Quellen: EZB, BANTLEON; * Jahresdurchschnitt, in Klammern Dezember-Prognosen
Von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON