Eckpunkte der EZB-Zinsentscheidung
- EZB sieht sich durch die jüngsten Daten in ihrer Erwartung eines weiter nachlassenden Inflationsdrucks bestätigt
- Neu wird ein klarer Easing bias kommuniziert: Wenn die Inflation weiter nachgibt, sind Zinssenkungen angebracht
- Wann genau die Zinssenkungen beginnen, ließ Lagarde offen – vieles deutet aber auf Juni hin
Unsere Einschätzung
Im Zentrum der Pressekonferenz stand der neu in das schriftliche Statement aufgenommene Easing bias, wonach die Geldpolitik gelockert werden kann, wenn sich der Disinflationstrend fortsetzt. Welche Bedingungen genau erfüllt sein müssen, um die Leitzinsen zu senken, konkretisierte Notenbankpräsidentin Christine Lagarde indes nicht. Sie wollte sich auch nicht dazu äußern, ob das Vertrauen in den Disinflationstraned gegenüber ihrer letzten öffentlichen Ausführungen Mitte März zu- oder abgenommen hat. Stattdessen betonte sie mehrfach – was auch im Pressestatement genannt wird – dass künftige geldpolitische Maßnahmen datenabhängig sind. Die Frage, ob im Rahmen der nächsten EZB-Sitzung im Juni die Leitzinsen bereits gesenkt würden, ließ sie daher unbeantwortet.
Ungeachtet dieser Zurückhaltung sind indes einige entscheidende Veränderungen gegenüber der März-Sitzung auszumachen. So fällt die Beschreibung der jüngsten Inflationsentwicklung etwas günstiger aus. Die immer noch hohe Inflationsrate bei Dienstleistungen wurde in den Hintergrund gerückt und mit dem Verweis relativiert, die EZB werde mit Zinssenkungen nicht warten, bis in allen Bereichen das 2%-Ziel klar in Sichtweite ist. Außerdem wurde aus dem Pressestatement der Verweis gestrichen, wonach die Zinsen lange genug auf hohem Niveau bleiben müssten, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. In unseren Augen ist die Streichung dieser Passage ein weiterer Hinweis darauf, dass es mit den Zinssenkungen bald losgeht. Nicht zuletzt bestätigte Lagarde auf Nachfrage, dass bereits einige wenige Ratsmitglieder für Zinssenkungen plädiert hätten.
Angesprochen auf die enttäuschenden US-Inflationszahlen äußerte sich die EZB-Präsidentin abwehrend. Diese Zahlen würden natürlich in die Projektionen zum Inflationsausblick in der Eurozone einbezogen. Gleichwohl sei die Inflationsentwicklung in den USA eine komplett andere als in der Eurozone, weswegen sich am grundsätzlichen Ausblick nichts ändere.
Fazit
Die Tür für Zinssenkungen im Juni hat sich weiter geöffnet. Eine konkrete Ankündigung hat sich die EZB-Präsidentin zwar verkniffen. In unseren Augen spricht jedoch alles dafür, dass die Leitzinsen im Juni zum ersten Mal seit knapp fünf Jahren gesenkt werden – um 25 Bp. Wenn sich die Inflation im Sommer wie von uns erwartet deutlich dem 2%-Ziel annähert, würde die EZB positiv überrascht und könnte mit weiteren Senkungen nachlegen. In unserem Basisszenario rechnen wir daher bis Jahresende mit vier 25 Bp-Schritten – die Geldterminmärkte unterstellen nur rund drei Lockerrungen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Weltwirtschaft wie von uns unterstellt im Laufe des Jahres an Fahrt verliert und damit den Disinflationstrend zusätzlich antreibt. Sollte das nicht der Fall sein, muss das Risikoszenario einer schon bald wieder anziehenden globalen Inflationsdynamik im Auge behalten werden. Dann würde der Zinssenkungszyklus enden, bevor er richtig in Gang gekommen ist.
Von Dr. Andreas A. Busch, Senior Economist des Asset Managers BANTLEON