Eckpunkte der EZB-Zinsentscheidung:
- Alle Leitzinssätze wurden um 25 Bp gesenkt: Depositenrate von 4,00% auf 3,75%, Hauptrefinanzierungssatz von 4,50% auf 4,25%
- Keine Vorab-Bindung an künftigen Zinspfad: Entscheidungen sind datenabhängig und werden von »Sitzung zu Sitzung« getroffen
- Weitere geldpolitischen Lockerungen sind wahrscheinlich, aber nicht sicher
Notenbankpräsidentin Christine Lagarde begründete die erste Leitzinssenkung seit fünf Jahren damit, dass die Währungshüter in den vergangenen Monaten zunehmend Vertrauen in den Disinflationstrend gewonnen haben. Die Inflation habe sich seit dem Hochpunkt im Oktober 2022 geviertelt (von 10,7% auf 2,6%). Zuletzt hätten sich die mittelfristigen Inflationsprognosen überdies bei 2,0% eingependelt.
Dessen ungeachtet musste Lagarde aber zugleich einräumen, dass der heimische Preisdruck nach wie vor hoch ist. Dies spiegelt sich auch in den neuen offiziellen Inflationsprognosen der EZB wider, die für die Jahre 2024/2025 gegenüber den März-Projektionen angehoben wurden (vgl. Tabelle) – und zwar deutlicher als im Vorfeld erwartet wurde. Mit 2,8% wird nunmehr im laufenden Jahr für die Kerninflation ein Wert unterstellt, der erkennbar über dem Inflationsziel liegt. Die Anhebung dürfte einerseits dem überraschenden Inflationsanstieg im Mai geschuldet sein. Daneben liegt für die Headline wohl auch eine höhere Annahme für den durchschnittlichen Ölpreis zugrunde.
Dass der Weg zur Erreichung des Inflationsziels immer noch holprig verläuft, ist ein Grund, weshalb Lagarde keinerlei Angaben zum künftigen Zinspfad machen wollte. Weitere Zinssenkungen seien zwar wahrscheinlich, aber keineswegs sicher. Es stünde weder die Geschwindigkeit fest, mit der mögliche Zinssenkungen erfolgen, noch sei der Endpunkt der Entwicklung offenkundig. Alles hänge von den zukünftigen Daten ab. Lagarde machte aber klar, dass ein Leitzinsniveau von 3,75% immer noch eindeutig restriktiv sei und weit entfernt von einem neutralen Niveau liege.
Ausblick
Alles in allem will die Mehrheit des EZB-Rats den Restriktionsgrad der Geldpolitik wohl weiter zurückführen. In den kommenden Tagen dürfte es hierzu zahlreiche Wortmeldungen von EZB-Vertretern geben. Insgesamt besteht aber im Hinblick auf die kommenden Entscheidungen keine Eile. Die jüngsten Daten haben vielmehr bestätigt, dass sich zum einen die Wirtschaft der Eurozone erholt und zum anderen der heimische Preisdruck (Servicepreise) hartnäckig ist. Die EZB wird daher aller Voraussicht nach nicht sofort im Juli nachlegen, sondern bis September abwarten, ob der Disinflationstrend noch intakt ist. Wir gehen davon aus, dass dies der Fall ist und die Teuerungsraten bis zum Spätsommer Richtung 2% fallen und somit der Weg zur nächsten Zinssenkung auf 3,50% geebnet ist.
Ob im 4. Quartal 2024 ein oder sogar zwei zusätzliche Schritte um 25 Bp folgen (auf dann 3,00%), hängt vom Verlauf der wirtschaftlichen Belebung ab. Gewinnt der Aufschwung weiter an Dynamik, schwinden die Argumente für geldpolitische Lockerungen. Verliert die Erholung dagegen an Schwung, gibt es gute Gründe den Restriktionsgrad weiter zurückzuführen. Wir sehen Letzteres als wahrscheinlicher an und prognostizieren daher für Ende 2024 ein Leitzinsniveau von 3,00% (bis 3,25%).
An den Geldterminmärkten sind dagegen aktuell nur noch ein bis zwei Zinssenkungen eingepreist. Dies sollte sich in den kommenden Monaten in Richtung drei bis vier verschieben. Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass die Märkte zumindest temporär mit den Erwartungen überschiessen und für 2025 zusätzliche Lockerungen unterstellen. In Anbetracht dessen sehen wir gute Chancen, dass die Renditen 10-jährige Bundesanleihen bis Anfang 2025 noch um ca. 50 Bp fallen.
Von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON