Wie gefährlich ist das deutsche Schuldenpaket?

BANTLEON | 28.03.2025 08:58 Uhr
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON / © e-fundresearch.com / BANTLEON
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON / © e-fundresearch.com / BANTLEON

Das von der deutschen Regierung in spe im Husarenstreich verabschiedete Schuldenpaket stellt eine Zäsur in der deutschen Finanzpolitik der Nachkriegszeit dar. Werden alle neuen Handlungsspielräume voll ausgeschöpft, könnten sich die Staatsschulden innerhalb der nächsten Dekade nahezu verdoppeln. Allerdings erfährt auch das nominale BIP einen kräftigen Schub. Nach unseren Berechnungen dürfte die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung daher in den nächsten zwölf Jahren »nur« auf knapp 80% zulegen (ausgehend von 63%) – im internationalen Vergleich ein weiterhin moderates Niveau. Im Ergebnis dürfte der deutsche Staat seine Top-Bonität bewahren. Dessen ungeachtet geht die weltweite Tendenz zur überbordenden Staatsverschuldung auch an Deutschland nicht spurlos vorüber. Eine Konsequenz daraus ist, dass der Aufwärtsdruck auf Renditen von Bundesanleihen in den kommenden Jahren anhalten sollte.

Deutschlands Abkehr von der schwarzen Null

Das von CDU/CSU und SPD ausgeheckte Schuldenpaket hat am vergangenen Freitag mit der Zustimmung im Bundesrat die letzte Hürde genommen. Es stellt eine Zäsur in der deutschen Finanzpolitik dar. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand kaum ein anderes Land in Europa – ja auf der ganzen Welt – so sehr für solide Staatsfinanzen wie Deutschland. Dies haben Freund und Feind zu spüren bekommen. Berüchtigt sind etwa die Maastricht-Kriterien, die Finanzminister Theo Waigel im Zuge der Euro-Einführung in der EU durchgesetzt hat. Nicht minder bekannt ist Wolfgang Schäubles unnachgiebiges Beharren auf der schwarzen Null. Das ist nunmehr mit einem Handstrich passé. Mit den neu beschlossenen Maßnahmen könnte sich die deutsche Staatsschuld in den nächsten zwölf Jahren verdoppeln. Wie gefährlich ist also das neue Finanzpaket der Regierung in spe? Ist es der Weg in den Abgrund wie manche behaupten? Im Folgenden analysieren wir die Auswirkungen auf die künftigen Haushaltsdefizite, den Schuldenstand und die Zinslasten.

Schuldenbremse nur noch eine Hülle

Der Schuldenbremse in ihrer bisherigen Form kann rückblickend durchaus Erfolg beschieden werden. Die staatliche Verschuldung ist seit Einführung des Regelwerks im Jahr 2011 vergleichsweise moderat – von knapp 2,2 Bio. Euro auf 2,7 Bio. Euro – gestiegen. Das durchschnittliche Haushaltsdefizit betrug lediglich 0,6% des BIP und lag damit nur geringfügig über dem erlaubten strukturellen Defizit von 0,35% und dies obwohl während der Corona-Krise die Anwendung der Schuldenbremse ausgesetzt war und aufgrund der vielfältigen Hilfsmaßnahmen das gesamtstaatliche Defizit 2020 auf 4,4% schnellte.

Mit den beschlossenen Grundgesetzänderungen wird die Schuldenbremse deutlich gelockert (vgl. Abb. 1):

  • Die Bundesländer mussten bislang über den Konjunkturzyklus hinweg einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Nunmehr wird ihnen parallel zum Bund ein strukturelles Defizit von jährlich 0,35% des deutschen BIP zugestanden (der Länderschlüssel wird noch festgelegt). Gesamtstaatlich ist somit ein strukturelles Defizit von 0,7% erlaubt.
  • Über die nächsten zwölf Jahre dürfen Ausgaben für Infrastruktur und Klimaschutz – soweit sie zusätzlich erfolgen – außerhalb des Bundeshaushalts über ein Sondervermögen von 500 Mrd. Euro abgerechnet werden. Dadurch erhöht sich der Verschuldungsspielraum pro Jahr um 42 Mrd. Euro oder 1,0% des aktuellen BIP.
  • Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit, die 1,0% des BIP übersteigen, sind von der Anrechnung auf die Schuldenbremse ausgenommen. Unterstellt man, dass das neue Zielniveau für Militärausgaben bei 3,0% bis 3,5% des BIP liegt (genau genommen besteht gar kein Limit!), lassen sich über diese Klausel Ausgaben in Höhe von 2,0% bis 2,5% des BIP abseits der Schuldenbremse finanzieren.

Werden alle diese Spielräume komplett ausgeschöpft, sind ab dem Jahr 2025 über den Konjunkturzyklus hinweg gesamtstaatliche Defizitquoten von durchschnittlich 3,7% bis 4,2% des BIP möglich, ohne dass damit gegen das Grundgesetz verstoßen wird (vgl. Abb. 1). Bislang waren es wie gesagt nur 0,35%. Allerdings hatte das Sondervermögen Bundeswehr den Spielraum schon in den vergangenen Jahren leicht erhöht (um 0,5%-Punkte p.a.). In konjunkturellen Schwächeperioden könnten die Budgetdefizite nunmehr sogar auf 5,0% oder 6,0% steigen und wären dennoch verfassungskonform.

In unserem Szenario zur Berechnung der künftigen Schuldenentwicklung gehen wir davon aus, dass der oben skizzierte Spielraum in den kommenden zwölf Jahren weitgehend, aber nicht ganz ausgeschöpft wird. Wir rechnen mit einem durchschnittlichen gesamtstaatlichen Defizit von 3,5% pro Jahr. Dies ist aus unserer Sicht bereits eine sehr aggressive Annahme, läge der Mittelwert damit doch um knapp 3,0%-Punkte höher als im Zeitraum 2011 bis 2024. In Werten des Jahres 2024 würden p.a. Mittel in Höhe von 130 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung stehen.

Tritt Deutschland dem 100er Club bei?

Wie bereits oben beschrieben, hat sich Deutschlands Schuldensituation in den vergangenen 14 Jahren dank der Schuldenbremse spürbar verbessert (vgl. Abb. 2). Im Zuge der Finanzkrise (2007 bis 2010) ist die öffentliche Verschuldungsquote – das Verhältnis von Staatsverschuldung zum BIP – zunächst von 63% auf 80% geschnellt. Seitdem konnte die Verschuldungsquote aber wieder auf 63% abgebaut werden. Damit hat sich Deutschland eine internationale Ausnahmestellung erarbeitet. In allen anderen G7-Staaten war die Entwicklung seit 2010 genau gegenläufig (vgl. Abb. 2). Bei ähnlichen Ausgangsniveaus (80% des BIP) hat die Verschuldungsquote in Ländern wie den USA, Frankreich, Großbritannien und Kanada mittlerweile die 100%-Marke überschritten. Für Italien und Japan gilt dies ohnehin. Droht Deutschland nunmehr auch in diesen 100er Club aufzusteigen?

Eine simple Kalkulation legt dies nahe. Unterstellt man zunächst, dass die durchschnittliche Nettokreditaufnahme bei 3,5% des BIP oder 150 Mrd. Euro pro Jahr liegt und nimmt diesen Wert mal zwölf, kommt man auf 1,8 Bio. Euro an zusätzlichen Schulden, was 42% des heutigen BIP entspricht. Addiert man die 42% zu den bestehenden 63% ergibt sich rasch eine Verschuldungsquote von über 100% des BIP. Solche Zahlen kursieren bereits in der Öffentlichkeit, sind aber irreführend. Sie lassen unberücksichtigt, dass in den nächsten zwölf Jahren nicht nur der Schuldenberg, sondern auch die Wirtschaftsleistung, d.h. der Nenner der Verschuldungsquote, wächst. Um eine seriöse Kalkulation zur Entwicklung der Verschuldungsquote vorzunehmen, kommt man somit nicht umhin, einen BIP-Trend zu schätzen. Genau genommen ist es der nominale BIP-Trend, da bei der Schuldenstandsquote nominale Größen in Bezug gesetzt werden.

Am einfachsten wäre es, den historischen Trend fortzuschreiben. Er liegt bei einem durchschnittlichen BIP-Wachstum von 3,0% bis 3,2%, je nachdem, ob man die vergangenen 15, 20 oder 30 Jahre heranzieht. Wegen der hohen Inflation in der Corona-Zeit waren es in den vergangenen zehn Jahren sogar 3,8%.

Mit Blick auf die nächsten zwölf Jahre halten wir 3,5% p.a. für realistisch. Schließlich wird der zusätzliche Fiskalimpuls sowohl Wachstum als auch Inflation anschieben. Allein das reale Wachstum dürfte nach unserer Einschätzung bis 2028 bei durchschnittlich 2,0% liegen. Hinzu kommt dann noch eine Inflation von mindestens 2,0% bis 2,5% p.a. Unser zentrales Szenario unterstellt daher ein durchschnittliches BIP-Wachstum von 3,5%. Letzteres bedeutet, dass das deutsche BIP in den nächsten zwölf Jahren von aktuell 4,3 Bio. Euro auf 6,7 Bio. Euro ansteigt, d.h. um mehr als 50% (vgl. Abb. 3).

Mit dem anziehenden BIP steigt auch die jährliche Nettokreditaufnahme, die wie gesagt 3,5% des BIP betragen soll. Mithin wächst die deutsche Staatsschuld in diesem Szenario von 2,7 Bio. Euro auf 5,2 Bio. Euro, womit sie sich fast verdoppelt. Aufgrund des steileren Anstiegs der Staatsschuld im Vergleich zum BIP nimmt die Verschuldungsquote sukzessive zu und liegt im Jahr 2037 bei 78% des BIP (vgl. Abb. 3). Bei einem pessimistischeren BIP-Szenario (3,0% p.a.) wären es am Ende 82% des BIP. Damit würde Deutschland auf das Niveau des Jahres 2010 zurückkehren – bliebe aber noch deutlich unterhalb der von vielen gefürchteten 100%-Marke. Mithin wäre eine Schuldenstandsquote von knapp 80% im internationalen Vergleich immer noch vergleichsweise moderat. Gegenüber allen anderen G7-Ländern würde Deutschland weiterhin positiv hervorstechen.

Zinslasten steigen – aber nicht exzessiv

Am Ende bleibt noch die Frage zu klären, ob Deutschland die steigenden Zinslasten, die mit der höheren Staatsverschuldung zwangsläufig einhergehen, wegstecken kann. Derzeit profitiert Deutschland noch von der Nullzinsphase der Jahre 2015 bis 2021. Die Zinszahlungen des Staates lagen im vergangenen Jahr gerade einmal bei 45,4 Mrd. Euro, was bezogen auf die gesamte Staatsschuld 1,60% entspricht. Für neue Schulden muss der Bund bereits durchschnittlich 2,50% bezahlen (für 1-jährige Bundesanleihen 2,05%, für 30-jährige 3,15%).

In den nächsten Jahren ist darüber hinaus von einem weiteren übergeordneten Renditeanstieg auszugehen, wozu nicht zuletzt das neue Schuldenpaket und die damit verbundenen höheren Inflationsgefahren beitragen werden. Wir rechnen mit einer Annäherung des Renditeniveaus an den nominalen Wachstumstrend – sprich, die Durchschnittsrendite sollte über die nächsten Jahre sukzessive auf 3,50% ansteigen.

Um die Zinslast zu quantifizieren, ist es üblich, sie in Relation zum BIP oder den Staatseinnahmen zu setzen. In Bezug auf das BIP lag die Zinslast 2024 bei 1,1% (vgl. Abb. 4). Da der Staat mittlerweile knapp 50% des BIP absorbiert, liegen die Zinslasten gemessen an den staatlichen Einnahmen rund doppelt so hoch (2,3%). Im historischen Vergleich ist dies sehr wenig, wie Abbildung 4 veranschaulicht.

In den kommenden zwölf Jahren steigt die Zinslast in unserem Szenario nicht nur wegen der zunehmenden Staatsschuldenquote (am Ende 78% des BIP), sondern auch wegen der steigenden Renditeniveaus (am Ende 3,50%). Die Zinsausgaben würden somit 2037 auf knapp 190 Mrd. Euro oder 2,8% des BIP bzw. 6,0% der Staatseinnahmen zulegen (Annahme: Staatsquote liegt weiter bei knapp 50%). Damit nähert man sich wieder den Niveaus aus den 1980er- und 1990er-Jahren an. Prägend für diese beiden Jahrzehnte war zwar eine angespannte Haushaltslage – sie war aber noch gut zu managen. Erst wenn die Zinslastquoten auf deutlich über 5% (BIP) oder 10% (Staatseinnahmen) steigen, wird es wirklich kritisch. In den USA werden z.B. schon heute nahezu 10% der Staatseinnahmen von den Zinsausgaben absorbiert.

Deutschland bleibt vorerst Top-Schuldner

Zieht man ein Fazit, ist festzuhalten: Die deutschen Staatsschulden dürften sich in den nächsten zwölf Jahren nahezu verdoppeln. Die Zinsausgaben werden sich sogar mehr als verdreifachen. Das sind gewaltige Summen. Allerdings gilt es zum einen zu berücksichtigen, dass in beiden Fällen – Zinsausgaben und Staatsverschuldung – das Ausgangsniveau sehr tief ist. Zum anderen dürfte auch das nominale deutsche BIP um mehr als 50% zulegen. Dies federt die oben genannten Effekte ab. Mit einer Verschuldungsquote von knapp 80% würde sich Deutschland immer noch positiv innerhalb des Kreises der G7-Staaten abheben, deren Schuldenquoten im Übrigen ebenfalls weiter ansteigen werden. Deutschland dürfte somit sein »AAA« Rating behalten.

Damit dies auch langfristig – über die nächsten zwölf Jahre hinaus – gilt, muss jedoch ab Ende der 2030er-Jahre wieder eine Konsolidierung bei den Staatsfinanzen einsetzen. Der Investitionsrückstau bei der Infrastruktur sollte dann überwunden sein und zumindest der größte Teil der Militärausgaben wieder über den normalen Bundeshaushalt finanziert werden. Ob dies geschieht, ist allerdings fraglich, denn spätestens in den 2030er-Jahren stehen die klammen Staatskassen bereits vor der nächsten großen Herausforderung. Die Verrentung der Babyboomer (Jahrgänge 1955 bis 1969) strebt dann ihrem Höhepunkt zu. In der Folge werden die finanziellen Lasten in der gesetzlichen Rentenversicherung sprunghaft zunehmen, was nicht ohne eine spürbare Anhebung des Bundeszuschusses zu bewältigen sein wird.

Alles in allem bleibt Deutschland zwar vorerst ein Top-Schuldner. Ein schleichender Aufwärtstrend in der Verschuldungsquote über die nächsten Jahrzehnte ist gleichwohl das wahrscheinlichste Szenario. Damit lassen sich für die Finanzmärkte mindestens zwei zentrale Schlussfolgerungen ableiten: Zum einen wird der Aufwärtsdruck auf die Renditen von Bundesanleihen in den nächsten Jahren anhalten. Zum anderen nimmt die relative Attraktivität von alternativen Anleihenklassen zu. Im Unternehmenssektor zeichnet sich derzeit kein struktureller Aufwärtstrend bei den Verschuldungsquoten ab. Bonitätsstarke Unternehmensanleihen könnten sich somit immer stärker zu einer ernsthaften Alternative zu Staatsanleihen mausern.

Von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON

Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen. Das NewsCenter ist eine kostenpflichtige Sonderwerbeform der e-fundresearch.com AG für Asset Management Unternehmen. Copyright und ausschließliche inhaltliche Verantwortung liegt beim Asset Management Unternehmen als Nutzer der NewsCenter Sonderwerbeform. Alle NewsCenter Meldungen stellen Presseinformationen oder Marketingmitteilungen dar.

Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an

Regelmäßige Updates über die wichtigsten Markt- und Branchenentwicklungen mit starkem Fokus auf die Fondsbranche der DACH-Region.

Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und kann jederzeit abbestellt werden.