Die Erholung an den Aktienmärkten könnte mutige Investoren dazu verleiten, die gesunkenen Unternehmensbewertungen für Aufstockungen zu nutzen. Weil viele institutionelle Investoren Aktienbestände aufgrund ausgereizter Risikobudgets reduziert haben, gibt es bei einer anhaltenden Erholung tatsächlich Raum für Wiedereinstiege. Dabei sollten Anleger aber bedenken, dass die Volatilität und Unsicherheit hoch bleiben dürften und die Rezessionswahrscheinlichkeit zugenommen hat. Vorsicht ist zudem im Hinblick auf eine mögliche Eskalation zwischen den USA und China geboten. Unter dem Strich ist eine Fortsetzung der Abwärtsbewegung nicht auszuschließen und sogar wahrscheinlicher als ein Anstieg auf neue Höchststände.
Stimmung der Investoren ist negativ
Die Zollankündigungen am US-Liberation Day haben zu einem der schnellsten Abverkäufe am Aktienmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Zeitweise verlor der amerikanische Index NASDAQ, ausgehend von seinem Höchststand im Dezember 2024, über 27% an Wert. Beim S&P500 waren es 22%, beim Eurostoxx, der die rund 300 liquidesten Titel umfasst, mehr als 17%. Entsprechend befanden sich sämtliche Sentiment-Indikatoren auf Extremständen. Das war offensichtlich zu viel Pessimismus für die US-Regierung, woraufhin es durch den Aufschub der Zölle um 90 Tage zum sogenannten Trump-Put kam. Dies führte innerhalb weniger Minuten zu einer starken Erholung der Aktienmärkte, die einen bedeutenden Teil ihrer Verluste aufholten. Kurzfristig führte diese Entspannung zu einer Aufhellung des stark negativen Sentiments. Mittelfristig bleibt jedoch die Verunsicherung sowie der Vertrauensverlust der Anleger in die US-Politik bestehen, was eine deutliche Aufhellung der Stimmung in den nächsten Wochen verhindert. Damit dürfte das Sentiment über mehrere Wochen angeschlagen bleiben. Wir werten das Sentiment daher negativ.
Markt geht von Lösung des Zollstreits im Jahresverlauf aus
In der Vergangenheit war ein solch schlechtes Sentiment oft ein guter Kontraindikator und stand daher für einen günstigen Einstiegszeitpunkt an den Aktienmärkten. Allerdings ist die Visibilität angesichts der unberechenbaren US-Führung selten so schlecht gewesen. Ignoriert man die drei schlimmsten Krisen seit den 1960er-Jahren (Ölkrise in den 1970er-Jahren, Dotcom-Blase und die Finanzkrise 2008/2009), so erholte sich der S&P500 bei einem Drawdown von 20% durchschnittlich innerhalb der darauffolgenden 15 Monate vollständig. Bezieht man die drei schwerwiegendsten Krisen mit ein, so verlängert sich der Erholungszeitraum auf durchschnittlich 2,5 Jahre. Im Worst Case dauerte die Erholung nach der Ölkrise etwas länger als sechs Jahre. Einen Hinweis darauf, dass die Zollpanik nur vorübergehend sein könnte, liefert die Terminkurve der VIX-Volatilitätsfutures. Der Markt erwartet demnach eine Lösung des Zollstreits im Jahresverlauf. Liegen die Marktteilnehmer falsch, dann dürften auch die mittelfristigen Volatilitätserwartungen steigen und der Drawdown am Aktienmarkt ausgeprägter ausfallen.
Optimismus der Anleger reicht nicht aus
Auch wenn der April üblicherweise ein saisonal starker Monat für die Aktienmärkte ist, so dürften die Anleger Mühe damit haben, ausreichend Optimismus aufzubringen, um die Aktienbewertungen wieder auf das Niveau vom Jahresanfang zu hieven – zu groß ist der Vertrauensverlust in die politischen Entscheidungen der US-Führung. Viel mehr als eine partielle Erholung ist daher ohne wesentliche Aufhellung der Perspektiven nicht zu erwarten.
Bewertungen sind deutlich gesunken
Auf Indexebene zeigt sich die Marktbreite einheitlich und verdeutlicht das globale Ausmaß des Ausverkaufs. Seit Monatsbeginn haben sich nahezu alle Länderindizes negativ entwickelt. Außerdem verzeichneten zeitweise 85% der Titel im S&P500 neue 4-Wochen-Tiefs. 45% der Titel wiesen einen Relative-Strength-Index (RSI) unter 30 auf, was auf einen überverkauften Zustand hindeutete. Im Eurostoxx verzeichneten sogar 93% der Aktien neue 4-Wochen-Tiefs und 66% handelten auf einem RSI unter 30. Zwar ist die Konzentration der fünf größten Titel im S&P500 mit einem Anteil von 25% am Index nach wie vor hoch, allerdings ist die Bewertung dieser Titel basierend auf den Ertragsschätzungen der Analysten nicht mehr so dramatisch. So hat NVIDIA ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von nur noch 20, Meta ist mit einem KGV von 19 bewertet und Google weist sogar ein Verhältnis von lediglich 17 auf.
Das charttechnische Bild bleibt neutral
Charttechnisch hat sich das Bild nach der schnellen Erholung am Mittwochabend der vergangenen Woche etwas aufgehellt. Zumindest die reaktiven Indikatoren wie der exponentielle gleitende Durchschnitt signalisieren bei Eurostoxx und S&P500 eine kurzfristige Erholung. Auch der RSI-Indikator deutete kurzfristig auf einen überverkauften Markt hin. Gewöhnliche gleitende Durchschnitte bleiben bisher jedoch abwärtsgerichtet. So könnte das kurzfristige Aufatmen den Anlegern die Chance geben, ihre Depots nach der turbulenten Phase neu auszurichten, was die Aktienmärkte kurzfristig anschieben könnte. Damit sich das Bild weiter aufhellt, müsste jedoch auch das mittlere Bollinger-Band, das aktuell bei 5504 Punkten im S&P500 und 533 Punkten beim Eurostoxx liegt (+5,4% und +2,9%), überschritten werden. Auch das MACD-Signal ist derzeit stark negativ und wird Zeit für einen Signalwechsel benötigen. Erst eine Erholung des S&P500 über 5700 Punkte (+5,4%) würde eine Rückkehr in die seit November 2024 anhaltende Seitwärtsrange bedeuten, was das charttechnische Bild weiter aufhellen würde. Damit sich das charttechnische Bild für den Eurostoxx aufhellt, müsste dieser über die 200-Tage-Linie bei 517 Punkten steigen, wo er aktuell notiert. Das charttechnische Bild bleibt damit neutral.
Von Marcio Costa, Senior Portfolio Manager, BANTLEON