Für 2020 sehen wir drei mögliche Marktszenarien:
Szenario 1: Die Märkte steigen unter gleicher Führung wie bisher (z. B. Technologie, USA, Wachstumswerte). Dieses Szenario ist eindeutig gefährdet. Katalysator für den abrupten Stimmungswandel dürfte das Fiasko des abgesagten Börsengangs von WeWork gewesen sein, das die schlechte Corporate Governance, die fragwürdigen Geschäftsmodelle und die extreme Überbewertung vieler „Einhörner“ ins Licht gerückt hat.
Szenario 2: Die Märkte steigen unter neuer Führung. Sollten beispielsweise der Handelskrieg zwischen den USA und China sowie der Brexit weniger schlimm verlaufen als zurzeit befürchtet, wird die Umschichtungsbewegung in Substanz- und zyklische Titel, die im September und Oktober zu beobachten war, vermutlich weitergehen.
Szenario 3: Die Aufwärtsbewegung der Märkte endet (stattdessen folgt z. B. eine Seitwärtsbewegung, eine „Korrektur in der Hausse“ oder ein Bärenmarkt). Das ist immer noch das unwahrscheinlichste Szenario angesichts der Zinssenkungen der Notenbanken und der stabilen Kreditmärkte. Lale Topcuoglu, Head of Credit im JOHCM Multi-Asset Value Team in unserer New Yorker Niederlassung, weist allerdings warnend auf erste Stresssignale bei Unternehmensanleihen mit CCC-Rating hin. Sind diese vielleicht so etwas wie der Kanarienvogel in der Kohlengrube?
Wir raten aktuell zu einer defensiven und einer zyklischen Komponente im Portfolio. Es ist demnach aber noch zu früh, um voll auf die defensive oder die zyklische Karte zu setzen. Der „Global Earnings Revision Ratio“, der das Verhältnis der positiven zu den negativen Gewinnrevisionen angibt, ließ im November eine gewisse Stabilisierung erkennen, nachdem er zehn Monate in Folge gesunken war. Am stärksten war der Anstieg interessanterweise in der Halbleiterbranche, die dem Quotienten oft einen Monat vorauseilt. Die einzigen echten Verbesserungen, die in Schwellenländern bei den Gewinnrevisionen zu beobachten sind, betreffen übrigens auch Halbleitertitel – in anderen Bereichen dieser Märkte wahren wir deshalb weiterhin Zurückhaltung.
Wie immer halten wir die Augen weit offen für etwaige Veränderungen oder Überraschungen (positive ebenso wie negative) und werden wie gehabt unsere Verkaufskriterien schonungslos anwenden, indem wir Titel aussortieren und abstoßen, die fundamental oder technisch auf der Verliererseite stehen. Wir werden versuchen, diese durch interessante Einzeltitel (mit relativ geringer Korrelation zum jeweiligen Sektor oder Land) zu ersetzen, die von den kurzfristigen computergesteuerten und langfristigen passiven Geldströmen, die das stark korrelierende heutige Investmentumfeld prägen, weniger stark beeinflusst werden.
Für Schwellenländeraktien standen 2019 die Belastungen im Vordergrund, denen die Volkswirtschaften und Börsen der Emerging Markets durch die vereinte Wirkung eines stärkeren US-Dollars und der Abkühlung der Konjunktur in China ausgesetzt waren. Wie in früheren Phasen, in denen die Risikobereitschaft mit Blick auf die Anlageklasse deutlich sank, kam es zu Wachstumseinbrüchen in den solideren und zu Krisen in den wirtschaftlich schwächeren Ländern. Neu war diesmal eine ausgeprägte politische und gesellschaftliche Volatilität. Diese Entwicklung wird sich 2020 zweifellos fortsetzen, wobei Lateinamerika und der Nahe Osten die größten Unruheherde bleiben dürften. Wir erwarten daneben jedoch auch, dass die USA mit politischem und geldpolitischem Druck eine Schwächung des Dollars erreichen werden. Dadurch sollten Anlagen aller Art in den Schwellenländern deutlichen Rückenwind erhalten.
In einzelnen Emerging Markets sind die Risiken indessen weiterhin beträchtlich. Mexiko sieht sich trotz all seiner institutionellen Stärken mit einer wechselhaften, ungewissen Beziehung zu seinem wichtigsten Handelspartner im Norden konfrontiert, und in Südamerika eilen populistische Bewegungen von Erfolg zu Erfolg. In Südafrika könnte die seit Langem andauernde negative politische Entwicklung das Bonitätsrating des Landes und das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr ernsthaft belasten. Auch das Netz transpazifischer Handelsbeziehungen steht weiter vor einer schwierigen Zukunft.
Dennoch sehen wir für 2020 alles in allem Potenzial für wichtige positive Überraschungen. Ein schwächerer US-Dollar, eine verbesserte globale Liquidität und eine positivere Einstellung der Anleger zu den Schwellenländern wären natürlich das große Los. Eine ebenso leise wie erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre waren unterdessen die wirklich bedeutenden Verbesserungen bei der Unternehmensführung und der Behandlung von Minderheitsaktionären in russischen und brasilianischen Staatsbetrieben sowie koreanischen Familienkonglomeraten, den so genannten „Chaebols“. Diese positiven Entwicklungen könnten 2020 andauern – besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei China und Indien.
Wir rechnen weiter damit, dass die Volatilität an den Finanzmärkten früher oder später deutlich zunehmen wird. Ob dies 2020 der Fall sein wird, lässt sich jedoch nicht vorhersagen. Wie immer werden „Katalysatoren“ nur im Rückblick sicher identifizierbar sein. Wir halten es für ratsamer zu beobachten, wie hoch die Scheite geschichtet werden, und möglichst angemessen zu reagieren, statt genaue Prognosen anzustellen, wann das Feuer angezündet wird. Anleger sollten weiter auf das Schlimmste gefasst sein und auf das Beste hoffen.
Bei steigender Volatilität wird es an beiden Enden des Anlagestil-Spektrums zu heftigen Ausschlägen kommen. Erst später wird sich zeigen, ob die neuen, viel gerühmten Wachstumswerte, die so genannten „Nifty Fifty“, oder die Value-Favoriten (oft überschuldete zyklische Werte oder Aktien von Unternehmen mit strukturell problematischem Geschäftsmodell) in den Portfolios der Anleger das Hauptproblem darstellen werden. Tatsächlich bergen beide Seiten beträchtliche Kapitalverlustrisiken, und Anleger sollten nicht versuchen, ruhmreich den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen, um auf einen Schlag die Fronten zu wechseln und das eine Extrem gegen das andere einzutauschen.
Wir sehen Phasen erhöhter Marktvolatilität generell positiv. Für langfristig denkende Investoren eröffnen sich dann in der Regel interessante Chancen. Auffällig ist heute jedoch, dass die normale Abfolge Unsicherheit-Volatilität-Chance gänzlich fehlt. Unseres Erachtens gehen die derzeitigen Ungewissheiten tiefer als gewohnt – normalerweise stehen Fragen wie „Wer gewinnt die nächsten Wahlen?“ oder „Bekommen wir im nächsten Jahr eine Rezession?“ im Fokus. Solche Themen sind nur kurzfristig relevant und somit für langfristige Investments ohne größere Bedeutung. Im Unterschied dazu muss man nur einen Blick auf die Wahlkämpfe in Großbritannien und den USA richten um zu verstehen, dass möglicherweise epochale Veränderungen des globalen gesellschaftlichen und politischen Umfelds heraufziehen, mit massiven Auswirkungen auf viele börsennotierte Unternehmen. Diese Entwicklungen sollten im Laufe des Jahres sehr genau verfolgt werden, und gegebenenfalls sind auch Reaktionen erforderlich. Dabei wird sich die Frage stellen, welche Unternehmen ein „robustes Geschäftsmodell“ haben und von welchen besser Abstand gehalten werden sollte.
Falls der erwartete Anstieg der Volatilität noch länger auf sich warten lässt, lohnt es sich genau hinzusehen, wo eine Blasenbildung beginnt – oder anders gesagt, wo die kurzfristige Performance exzellent ist, die Bewertungen aber den Bezug zur Realität verlieren. Wie immer werden passive Kapitalflüsse hierbei eine zentrale Rolle spielen. Unseres Erachtens besitzt das Thema ESG alle Voraussetzungen für die Entstehung eines überlaufenen Trades. Viele ETFs werden eigens zu dem Zweck aufgelegt, Kapital in Unternehmen zu investieren, die die entsprechenden Kriterien erfüllen. Obwohl wir es für sinnvoll halten, Nachhaltigkeit und Corporate Governance stärker zu betonen, ändert das nichts an unserer Überzeugung, dass die Bewertungen für die künftigen Renditen von entscheidender Bedeutung sind. Wer diesen Zusammenhang missachtet, ist auf gutem Wege, mittelfristig Geld zu verlieren.
Angesichts allgemein niedriger Zinsen in den Industrieländern, moderater Spreads von Unternehmensanleihen und des Anstiegs der weltweiten Aktienmärkte um bisher über 20% im Jahr 2019 (auf US-Dollarbasis) mögen kurzfristig keine größeren Zuwächse winken.
Die Einschätzungen zur wirtschaftlichen Lage gehen auseinander. Einige Marktteilnehmer verweisen auf Aufwärtstrends bei Hochfrequenzdaten als frühes Indiz für einen konjunkturellen Aufschwung, der – zusammen mit der expansiven Geldpolitik der Notenbanken – sogar Vorbote eines lange erwarteten Wiederanstiegs klassischer Value-Aktien sein könne. Andere vertreten die Auffassung, Schulden, Deflation und Demografie würden die Zinsen weiter am Boden halten. Mögliche erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung werden von diesem Lager als bloße Wiederauffüllung der Lagerbestände interpretiert.
Aktuell ist in die Kurse weder das eine noch das andere dieser Szenarien eingepreist. Bei einem Konjunkturaufschwung würden Anleihen wahrscheinlich unter erheblichen Druck geraten, wohingegen ein eher deflationäres Umfeld bedeuten könnte, dass die Aktienmärkte in letzter Zeit etwas zu optimistisch waren. Möglicherweise ist nur die Idealkombination von geringer Inflation, schwachem aber positivem Wachstum und niedrigen Zinsen mit hohen Aktienbewertungen und niedrigen Anleiherenditen vereinbar. Risiken gibt es auf beiden Seiten.
Gut aufgestellte aktive Anlageverwalter finden unterdessen angesichts der sich wandelnden Marktstruktur zunehmend Möglichkeiten, auch in einem Umfeld, das vielleicht eher geringe Renditen erwarten lässt, zusätzliches Alpha zu generieren.
Nachdem die Märkte über zehn Jahre lang die meiste Zeit gestiegen sind, nicht zuletzt dank der Hilfe der Notenbanken, fließt das Geld nun vorhersehbarerweise in die Bereiche, die sich bewährt haben, während andere aus Erfahrung gemieden werden. Das hat verstärkt dazu geführt, dass einige der favorisierten Bereiche mittlerweile überlaufen sind und, wenn quantitative Geldflüsse die Richtung wechseln, mit scharfen Gegenbewegungen konfrontiert sind.
Diese Dynamik war 2019 sehr gut zu beobachten. Die Kurse mancher Aktien, die normalerweise eine geringe Volatilität aufweisen, wurden in schwindelnde Höhe getrieben. Im dritten Quartal erreichten sie Höchststände, nur um zu Beginn des vierten Quartals wieder auf dem Boden anzukommen.
Unsere Vorhersage lautet deshalb: Es wird Volatilität geben, aber anders als in früheren Zeiten. Lange Konjunkturzyklen und ein langwieriger Lagerabbau mögen in Zeiten von Just-in-Time-Lagerhaltung und Sofort-Datenübertragung in der Tat obsolet geworden sein. Stattdessen erleben wir immer häufiger kurze, scharfe Panikausbrüche, von denen sich der breite Markt manchmal anstecken lässt (wie im Dezember 2018), und auf der anderen Seite Chancen, die sich in eng definierten Bereichen eröffnen (wie bei europäischen „Zyklikern“ im August 2019).
Aus unserer Sicht ist es spannend, an einem Scheidepunkt zu stehen. Wir wahren den Überblick, bemühen uns um fundierte Einschätzungen, wann Risiken fehlbewertet sind, und versuchen mit der nötigen Beweglichkeit von Luftblasen an den Märkten zu profitieren, wenn sich dies bilden. Und das werden sie mit Sicherheit.
Das Jahr 2019 dürfte zu einem sehr erfolgreichen Jahr für die Kreditmärkte der USA werden. Bis Ende November hat das Hochzinssegment um 12% zugelegt, das Investment-Grade-Segment sogar um 14%.[1] Spreads, die so schmal sind wie selten zuvor, lassen die Aussicht gering erscheinen, dass 2020 zu einem weiteren guten Jahr für die Kreditmärkte wird. Der expansive Kurs der Notenbanken, ein Wachstum, das dem längerfristigen Trend entspricht, und der Umstand, dass kurzfristig keine größere Welle von Fälligkeiten zu erwarten ist, sollten die nächsten zwölf Monate eher zu einem Jahr der Kupons werden lassen. Dessen ungeachtet werden Makrofaktoren, deren Vorhersage nahezu unmöglich ist, weiter die Schlagzeilen beherrschen.
In der zweiten Jahreshälfte 2019 haben wir bei unserem Engagement in Unternehmensanleihen einen etwas konservativeren Ansatz gewählt. So verstärkten wir die Allokation in BBB-Ratings und BBB/BB-Ratings mit kurzer Duration. Auf der Ebene der einzelnen Anleihen ist unser Eindruck, dass sich die Fundamentaldaten etwas verschlechtert haben. Auf der Makro-Ebene stellt unterdessen der „Notenbank-Put“ ein kraftvolles Narrativ dar. Sollten sich die Makrobedingungen schneller eintrüben als erwartet, wird das Risiko-Rendite-Verhältnis nicht sehr positiv erscheinen. Wir verfolgen wie gehabt einen „opportunistischen“ Ansatz und halten Liquidität in nicht unbeträchtlicher Höhe – damit wollen wir Chancen nutzen, die sich in Phasen der Volatilität eröffnen werden.
[1] Basierend auf dem Ice BofAML US Corporate Index beziehungsweise dem Ice BofAML US HY Index.
Über J O Hambro Capital Management Limited
J O Hambro Capital Management Limited (JOHCM) ist ein aktiver Vermögensverwalter im Stil einer Investment-Boutique mit Sitz in Großbritannien. In der Unternehmenskultur liegt der Fokus von JOHCM auf guten Anlageergebnissen. Das verwaltete Vermögen in Aktienfonds und Spezialmandaten beträgt 33,5 Mrd. EUR (Stand: 30. Juni 2019). Mit einem breiten Angebot an Aktienstrategien deckt JOHCM Großbritannien, die USA, Kontinentaleuropa, Asien, Japan, Global/International und die Schwellenländer ab. Angeboten wird auch ein globaler Multi-Asset Value-Ansatz. Zur besseren Wahrung der Chance auf langfristige Spitzenergebnisse wird das Fondsvolumen nach oben begrenzt.