- Sinkendes Potenzialwachstum, geringere Wachstumsraten
- Bedeutung in internationalen Lieferketten wird zurückgehen
In ihrer Studie mit dem Titel „China - Vom Wachstumsmotor zum Risikofaktor“ haben die Berenberg-Volkswirte Mahmoud Abu Ghzalah, Dr. Jörn Quitzau und Dr. Mickey Levy gemeinsam mit Prof. Dr. Markus Taube vom Institute of East Asian Studies an der Universität Duisburg-Essen das wirtschaftliche und politische Umfeld der Volksrepublik analysiert und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Politische Ökonomie in der Ära von Staatspräsident Xi Jingping gelegt. Mickey Levy, Chief Economist for Americas and Asia, sagt: „China hat seinen wirtschaftlichen Aufstieg einem eigentümlichen Wirtschaftsmodell zu verdanken, das marktwirtschaftliche Prozesse mit starken Elementen einer Zentralverwaltungswirtschaft kombiniert. Dieses Modell war lange Zeit sehr erfolgreich und galt vielen als Alternative zum Kapitalismus amerikanischer Prägung mit bis weit in die Zukunft reichendem hohen Wachstum. Diese Ansicht teilen wir nicht. In Zukunft werden abnehmende und geringere Wachstumsraten die neue Normalität sein.“
Unausgewogener Wachstumsboom
So sei der Wachstumsboom Chinas unausgewogen verlaufen, Übertreibungen und Verzerrungen müssen nun korrigiert werden. Dazu gehörten vor allem Exzesse am Immobilienmarkt. Senior Economist Jörn Quitzau sagt: „Eine harte wirtschaftliche Landung ist zwar unwahrscheinlich, dennoch steht das Land vor schwierigen Herausforderungen. Die Folgen der Corona-Lockdowns, ein durch sinkende Immobilienwerte zusätzlich geschwächter Konsum und der globale Konjunktureinbruch sollten das Wachstum in den Jahren 2022 und 2023 schwächen. Als zuverlässiger Motor der Weltkonjunktur fällt China aus.“ Mahmozd Abu Ghzalah ergänzt: „Die Rolle Chinas in den globalen Lieferketten sollte abnehmen. Zuletzt habe die Sorge über unfaire chinesische Geschäfts- und Handelspraktiken weltweit zugenommen, vor dem Hintergrund der geopolitischen Spannungen ist das Misstrauen weiter gestiegen. Unternehmen haben damit begonnen, sich neu zu orientieren und ihr China-Engagement zurückzufahren. Auf diese Weise wird China zumindest zum Teil isoliert.“
Enttäuschte Zuneigung
Auch auf wirtschaftspolitischer und internationaler Ebene würden die Probleme zunehmen, führt Markus Taube aus. Die seit 2013 von Xi Jingping propagierte chinesische Vision einer mächtigen, gesunden, von der Weltgemeinschaft geachteten und respektierten Nation mit globalem Anspruch bringt China in Konkurrenz zu den USA, die das Land letztlich aus ihrer hegemonialen Führungsposition verdrängen will. Beide Staaten sehen sich inzwischen gegenseitig als potenzielle Bedrohung. Der ökonomische Austausch zwischen den beiden Ländern erfolgt somit – auf beiden Seiten – zunehmend unter dem Vorbehalt wachsenden Misstrauens und sich zuspitzender politischer Risiken. Im Verhältnis zu Europa herrsche hingegen eher eine Stimmung gegenseitig enttäuschter Zuneigung. Europas Idee eines „Wandels durch Handel“ sei in China ad absurdum geführt worden. Enttäuschung gibt es aber auch in China. Im Außenministerium der VR China werde Europa kaum mehr als ernsthafter Gesprächspartner angesehen. Auch der sich zuspitzende Konflikt mit Taiwan im Sinne der Ein-China-Doktrin und Chinas Haltung im Russland-Ukraine-Krieg belaste den politischen Auftritt des Landes.
Zudem sei zu beobachten, dass zuletzt politische Agenden gegenüber Wirtschaftsfragen die Oberhand gewännen. Taube sagt: „Oberstes Ziel ist innenpolitisch die neuerliche Absicherung der Herrschaftslegitimation der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Zum ersten Mal seit Beginn der Reformära im Jahr 1978 wird die ökonomische Entwicklungsdynamik konsequent den Erfordernissen einer Machtkonsolidierung der KPCh untergeordnet. Präsident Xi stellt in diesen Tagen die Weichen dafür, auf Lebenszeit über Chinas Geschicke zu herrschen und reiht sich damit ein in die kleine Riege disruptiv wirkender Führer der Volksrepublik China wie Mao Zedong und Deng Xiaoping: Er will das wiedererstarkte China zurück auf die Weltbühne führen und es dort als Führungsmacht etablieren.“
Die vollständige Studie können Sie hier herunterladen