US-Wahl: „Eine Schicksalswahl auch für Europa“

Die bevorstehende US-Wahl am 5. November birgt weitreichende wirtschaftliche und geopolitische Risiken, die nicht nur Amerika, sondern auch Europa betreffen. Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg, analysiert die möglichen Folgen eines Wahlsiegs von Donald Trump oder Kamala Harris und beleuchtet, wie sich die Wahlentscheidungen auf die Handelspolitik, Inflation und Stabilität auf beiden Seiten des Atlantiks auswirken könnten: Berenberg | 30.09.2024 13:56 Uhr
© e-fundresearch.com / Berenberg
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„Selten war eine Wahl in den USA für Europa so wichtig wie diese. Umfragen sagen für den 5. November ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen Donald Trump und Kamala Harris voraus. Sollte der umstrittene Ex-Präsident ins Weiße Haus zurückkehren, könnte Europa doppeltes Ungemach drohen. 

Zum einen neigt Trump zu lautstarken Drohungen in der Handelspolitik. Zwar wird er vermutlich nicht sofort Zusatzzölle von 10 oder 20 Prozent auf alle Einfuhren aus Europa verhängen, aber allein eine lärmend vorgetragene Drohung dieser Art, um Europa zu großen Zugeständnissen zu zwingen, könnte das Geschäftsklima und die Investitionsneigung diesseits des Atlantiks weiter beeinträchtigen. In diesem Fall müssten wir unsere Wachstumsprognosen für 2025 für das besonders ausfuhrabhängige Deutschland erneut um mindestens 0,2 Prozentpunkte und für das übrige Europa um etwa 0,1 Prozentpunkt senken.

Zum anderen können wir nicht ausschließen, dass Trump die US-Hilfen für die Ukraine drastisch einschränken würde. Europa müsste dann entweder sofort eingreifen und mit europäischem Geld die benötigten Waffen in den USA kaufen und an die Ukraine liefern, oder Putin könnte seinen Krieg doch noch gewinnen. Das könnte das politische Gefüge Europas erschüttern, den Kontinent zu weit mehr Verteidigungsausgaben zwingen und neue Flüchtlingsströme aus der Ukraine nach Westen treiben. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Für den Ausblick für die USA kommt es auch darauf an, wie die gleichzeitigen Wahlen zum Kongress ausgehen, denn das Parlament ist für Steuern und Staatsausgaben zuständig. Sollte wie bisher eine Kammer des Kongresses von den Demokraten und die andere von den Republikanern beherrscht werden, würden sich die beiden Parteien vermutlich weiterhin gegenseitig blockieren. Harris könnte nicht die Ausgaben erhöhen und das Steuersystem neu ausrichten, Trump könnte die Steuern nicht noch weiter senken. Angesichts der ohnehin hohen Fehlbeträge im Staatshaushalt wäre das kein schlechtes Ergebnis. 

Wir können deshalb vier Szenarien unterscheiden:

  1. Sollte Harris als Präsidentin mit einem gespaltenen Kongress regieren (dafür sehen wir eine Wahrscheinlichkeit von 45 Prozent), würde sich im Vergleich zur jetzigen Situation wenig ändern.
  2. Dass die Demokraten sogar beide Kammern des Kongresses gewinnen und Harris ihre Fiskalagenda umsetzen könnte, wäre eine so große Überraschung (10 Prozent Wahrscheinlichkeit aus Sicht von Berenberg), dass wir hier nicht näher darauf eingehen. 
  3. Sollte Trump gewinnen, ohne eine Mehrheit im ganzen Kongress zu erreichen (unsererseits mit 30 Prozent Wahrscheinlichkeit), könnte er mit mehr Genehmigungen für Gas- und Ölbohrungen in Naturschutzgebieten und ähnlichen Initiativen zwar kurzfristig die Konjunktur anschieben. Höhere Zölle und weniger Einwanderer würden aber das Trendwachstum schwächen und die Inflation anheizen.
  4. Sollte Trump sogar die volle Kontrolle über den Kongress erlangen und die Steuern nochmals kräftig senken (wir sehen hierfür 15 Prozent Wahrscheinlichkeit), würde die US Notenbank Federal Reserve trotz der dann noch größeren Inflationsgefahr vermutlich ihre Zinsen nicht weiter zurücknehmen können. Die US-Bürger müssten für ihre geringeren Steuern mit höheren Preisen und höheren Kreditzinsen bezahlen. Bei diesem ‚Trump Pur‘-Szenario bestünde sogar ein kleines Restrisiko, dass die USA angesichts rasant steigender Staatsschulden auf eine kleine Schuldenkrise mit einem kräftigen Risikoaufschlag auf die Renditen ihrer Staatsanleihen zusteuern könnten. 

Bei der Wahl – und den Entscheidungen danach – steht für beide Seiten des Atlantiks viel auf dem Spiel.“

Von Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg

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