Die letzten Monate waren für Aktienanleger in aller Welt eine hoch spannende Zeit. Die Achterbahnfahrt an den Märkten, gekennzeichnet von hektischem Handel und in die Höhe schnellenden Bewertungen, sorgt bei einigen Experten für Erstaunen und Verwunderung. Andere betrachten die aufstrebenden Märkte dagegen als ein Symptom für einen größeren, langfristigen Trend: den Übergang zur sogenannten „New EXceptional Technologies Economy“ oder kurz: NEXT Economy – einer von disruptiven Technologien geprägten Wirtschaft.
Während Analysten von New York bis Tokio versuchten, sich einen Reim auf die Drehungen und Wendungen am Aktienmarkt zu machen, untersucht Jennison Associates, der Spezialist von PGIM für Anlagen in Aktien mit fundamentalem Wachstum, was die Anleger in den nächsten Monaten und langfristig erwarten dürfte. Jennisons Portfoliomanager Thomas Davis und Sara Moreno warfen einen genaueren Blick auf das aktuelle Anlageumfeld. Sie sprachen dabei über den anhaltenden Wettstreit zwischen Substanz- und Wachstumswerten, disruptive Innovationen aus Schwellenländern und den Nachteilen der Indizes in den Industrie- und Schwellenländern.
Der „Recovery Trade“: Strohfeuer oder dauerhafte Möglichkeit?
Substanzwerte entwickeln sich gut, angetrieben von der Intensivierung der Impfbemühungen und der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zu einer relativen Normalität. Die Frage lautet jedoch, ob dieser „Reflation Trade“ von Dauer ist.
Davis ist davon überzeugt, dass der steile Anstieg der Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen um mehr als 5% seit Ende Januar1 spürbare Auswirkungen darauf haben wird, „wie wir Aktien bewerten, insbesondere jene mit längerfristigen Cashflows.“
Er bestätigt, dass die steigenden Renditen in den USA auch Bedenken geweckt haben, dass wir am Beginn einer inflatorischen Phase stehen könnten, und merkt an, dass „Aktien, die sich letztes Jahr besonders gut entwickelt haben, nämlich Wachstumswerte, nun etwas unter Druck geraten sind.“
Davis ist aber zuversichtlich, dass sich „diese Probleme mit der Zeit normalisieren“ und die Bedingungen künftig wieder mehr den Wachstums- als den Substanzwerten zugutekommen werden. Er merkt an: „Die Arbeitslosenquote ist in aller Welt noch immer hoch, und ein großer Teil der Kapazitäten im verarbeitenden Gewerbe muss erst noch wieder hochgefahren werden.“ Deshalb rechnet Davis nicht mit einer beständigen Inflation, die in der Regel zyklischen, value-orientierten Wirtschaftszweigen zugutekommt.
Moreno stimmt zu und erklärt: „Was wir gerade erleben, ist eine Rückkehr zum Mittelwert.“ Aus ihrer Perspektive als Expertin für Schwellenländer ist der Umschwung hin zu Substanzwerten das Ergebnis einer „Umbasierung“, die wohl nicht nachhaltig sein wird.
Moreno und Davis gehen davon aus, dass sich Wachstumsaktien weiterhin „sehr solide“ präsentieren werden, vor allem angesichts der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung. Moreno betont, dass „die Gewinnentwicklung von Wachstumsunternehmen – vor allem von Titeln mit Bezug zu den Bereichen E-Commerce, Internet und Digitalisierung – in dieser ganzen Zeit weiterhin nach oben überrascht hat.“ Sowohl Moreno als auch Davis beurteilen die Aussichten für innovative Unternehmen in den Industrie- und den Schwellenländern, die sich von der Konkurrenz abheben, positiv.
Treiber für die nächsten großen Wachstumsstorys
Woher werden die nächsten großen Wachstumsstorys kommen? Moreno bekräftigt, dass eine der weltweit bedeutendsten Entwicklungen der Übergang zum Online-Konsum sei. Sie betont, dass erheblicher Spielraum für Wachstum in der Zukunft besteht, und merkt an: „Die Schwellenländer befinden sich noch immer in einer frühen Phase dieses Umbruchs, und Covid-19 hat alles massiv beschleunigt.“ Moreno ergänzt, dass Personengruppen, die zuvor nicht im Internet einkauften, „sich aufgrund der sozialen Distanzierung und der Lockdowns schließlich doch dazu durchgerungen haben.“
Folglich steigt die Verbreitung des Internet zusehends, vor allem in zuvor unterversorgten Regionen. Laut Moreno erhöhte sie sich in Lateinamerika im Laufe eines Jahres von einem mittleren auf einen hohen einstelligen Wert. Außerdem stellt sie fest, dass die Unternehmen aktiv an einer stärkeren Digitalisierung arbeiten – woraus sich weltweit Chancen ergeben.
„Aufgrund von Covid-19 mussten Unternehmen, die sich noch ganz am Anfang eines Digitalisierungsprozesses befanden, ihre Bemühungen intensivieren“, sagt Moreno und erklärt, dass Unternehmen die Art und Weise, wie sie ihr Geschäft betreiben, nun ändern, um besser mit „Käufern, Kunden und internen Interessengruppen zusammenzuarbeiten.“
Der Digitalisierungstrend macht natürlich auch vor Online-Zahlungssystemen nicht Halt. Moreno bemerkt: „Durch den Schritt ins Internet erhalten mehr Menschen Zugang zu Finanzprodukten und -dienstleistungen, vor allem in Schwellenländern“. Und: „Aufgrund der Politik, die die Staaten verfolgen, können ganze Volkswirtschaften innerhalb kürzester Zeit auf den Wachstumszug aufspringen, der von weiter entwickelten Ländern ausgeht.“
Bedeutet das, dass Schwellenländer die Industrieländer überholen werden?
Nicht unbedingt, meint Davis und betont: „Grenzen sind in dieser stärker digitalisierten Welt bedeutungslos ... Es geht nicht um Industrie- gegen Schwellenländer; es geht eher darum, welche Unternehmen sich mit Erfolg auf dem Markt durchsetzen werden.“ Er erklärt, dass manchmal Unternehmen aus den Schwellenländern überlegene Technologien entwickeln, die in den Industrieländern übernommen werden, und manchmal eher die Industrieländer die Nase vorn haben.
Über das Ziel hinausgeschossen? Aktuelle Indizes unter der Lupe
Das Renditeprofil von Indizes in den Industrie- und den Schwellenländern hat sich zunehmend in Richtung der wachstumsstärksten Unternehmen verlagert. Bilden die Indizes angesichts dieser Veränderungen die heutigen Konsumtrends noch immer gut ab? Moreno und Davis erörtern die Relevanz von Indizes in den Industrie- und den Schwellenländern und äußern einige mahnende Worte.
Moreno warnt, dass Anleger sehr genau auf gewisse „Schlaglöcher“ achten müssen, wenn sie Indizes aus den Schwellenländern nutzen. Die Benchmarkrenditen der letzten zehn Jahre haben unter Anlegern für Enttäuschung gesorgt, „denn die makroökonomischen Bedingungen äußern sich nicht unbedingt in attraktiven Aktienrenditen. Die Aktienindizes in den Schwellenländern bilden den Zustand und die Aussichten der jeweiligen Wirtschaft nicht immer ab.“
Ein besonders wichtiger Punkt, so Moreno, ist das hohe Gewicht von Sektoren der sogenannten „Old Economy“ in den Schwellenländerindizes. Dazu zählen etwa der Finanz-, Industrie-, Grundstoff- und Energiesektor. Ihrer Ansicht nach sind in den Schwellenländern die dynamischsten Bereiche in Wirtschaftszweigen mit langfristigem Wachstum zu finden, die jedoch in Schwellenländerindizes massiv unterrepräsentiert sind.
Sie merkt an: „43% des MSCI Emerging Markets Index scheinen langfristige Wachstumswerte zu sein2, doch blickt man hinter die Fassade, finden sich unter den Top-Titeln nicht jene Unternehmen, die ihre Reise gerade erst angetreten haben“. Moreno betont zudem, dass der Index „die Dynamik in den Schwellenländern nicht richtig widerspiegelt ... Bei Anlagen in diesen Volkswirtschaften bietet daher ein aktiver, benchmarkunabhängiger Ansatz eine Menge Wertpotenzial.“
Davis erkennt ein ähnliches Bild in den Industrieländern. Für diese Volkswirtschaften gibt es eine Vielzahl von Indizes, doch die Benchmarks enthalten „ein breites Spektrum von Unternehmen, die aus bestimmten Gründen und zu bestimmten Zeitpunkten nicht immer alle zu den besonders guten Akteuren zählen.“ Wie Moreno spricht sich Davis für einen stärker konzentrierten Anlageansatz aus, der es möglich macht, Unternehmen zu umgehen, die eher der „Old Economy“ zuzurechnen sind.
„Wenn es darum geht, Erträge für unsere Kunden zu erwirtschaften, halten wir es für sehr viel besser und aussichtsreicher, Benchmarks weitgehend außer Acht zu lassen“, meint Davis und ergänzt, dass man beim passiven Anlegen zwar Positionen in den Gewinnern hält, aber eben auch in den Verlierern. Der aktive Ansatz von Jennison soll „sicherstellen, dass wir so viele Gewinner wie möglich im Portfolio haben.“
1 Quelle: Bloomberg, Stand 31.03.2021
2 Quelle: Factset, Stand 31.12.2020