Wenn die Fed auf ihrer Sitzung am 27. Juli tatsächlich eine weitere Anhebung um 75 Basispunkte vornimmt, wird sie den Leitzins von fast 0 % vor nur viereinhalb Monaten auf eine Spanne von 2,25 % bis 2,5 % gebracht haben. Dies entspricht den Schätzungen der meisten Fed-Vertretern für den langfristigen neutralen Zinssatz. Nach unserer Einschätzung könnte der neutrale Zinssatz bei knapp unter 2 % liegen, wenn man die wirtschaftliche Verlangsamung bedenkt, die eintrat, als die Fed den Leitzins Ende 2018 das letzte Mal über 2 % anhob. In jedem Fall wird eine weitere Straffung nach der Juli-Sitzung den Leitzins weiter in den restriktiven Bereich drücken. Die Fed hat mitgeteilt, dass sie wahrscheinlich erst dann auf die Bremse treten wird, wenn sie eine überzeugende Verschiebung der monatlichen Inflationswerte sieht, die Fortschritte in Richtung des 2 %-Ziels der Fed signalisieren würde. Diese Botschaft wird Powell voraussichtlich auf seiner Pressekonferenz nach der Sitzung bekräftigen. Darüber hinaus sollten jedoch folgende Punkte ebenfalls im Auge behalten werden:
Erstens, die Art und Weise, wie die Fed die aktuelle Wirtschaftslage einstuft. Gegenwärtig gibt es gemischte Signale über die aktuelle Wirtschaftskraft und die voraussichtliche kurzfristige Entwicklung der monatlichen Inflationsmesswerte.
- Die Wohnbautätigkeit und die Hypothekenanträge sind stark zurückgegangen, der Anstieg der Immobilienpreise hat sich jedoch noch nicht abgeschwächt.
- Die realen Verbraucherausgaben sind rückläufig, während die nominalen Ausgaben hingegen nicht nachlassen.
- Die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung haben zugenommen, sind aber insgesamt immer noch recht niedrig.
- Die Anzahl der Neueinstellungen liegt weiterhin deutlich über dem Trend, doch die durchschnittlichen Stundenlöhne sind seit letztem Herbst rückläufig.
- Außerhalb des Automobilsektors haben sich die Lagerbestände der Unternehmen im Allgemeinen deutlich verbessert, doch der Preisdruck im Gütersektor hält an.
Zweitens, wie viel Gewicht (wenn überhaupt) die Fed-Vertreter auf ihre Prognosen über die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit und des Inflationsdrucks in der zweiten Jahreshälfte legen. Unserer Einschätzung nach ist es für die Fed wahrscheinlich noch zu früh, um eine wesentlich zukunftsorientiertere Sichtweise zu vermitteln, da die jüngsten Inflationsmesswerte immer noch einen hohen und weit verbreiteten Preisdruck erkennen ließen. Doch mit jeder weiteren Zinserhöhung werden die verzögerten Auswirkungen der Straffungsmaßnahmen der Fed immer wichtiger.
Drittens, wie stark die Fed die von den globalen Rahmenbedingungen ausgehenden Risiken gewichtet. Das Hauptaugenmerk der Fed liegt zwar auf der US-Wirtschaft, doch sie berücksichtigt auch die globalen Bedingungen, wenn sie sich auf die US-Wirtschaft und die Finanzbedingungen auswirken könnten. Zurzeit straffen die Zentralbanken der meisten G10-Länder ihre Geldpolitik rasch und unisono, der Krieg in der Ukraine birgt erhebliche Risiken für die weltweiten Energiepreise und -lieferungen, und es kommt immer wieder zu Engpässen in den Lieferketten. Wir dürfen gespannt sein, wie viel Bedeutung die Fed derzeit den Risiken für die US-Wirtschaft aus dem Ausland beimisst.
Ellen Gaske, Lead Economist, G10 Economies bei PGIM Fixed Income