Da ein harter Winter bisher nicht eingetreten ist, ist die Katastrophe in Europa bisher ausgeblieben. Für die Konjunktur im Euroraum zeichnen sich Aufwärtsrisiken ab, auch wenn die negativen Auswirkungen der knappen Energieversorgung und des anhaltenden Krieges in der Ukraine auf die Fundamentaldaten nach wie vor spürbar sind.
Vor dem Hintergrund des jüngsten Rückgangs der Energiepreise gibt es Anzeichen für eine niedrigere Inflation, was zu einem „Goldlöckchen-Szenario“ führt, welches wiederum die Wirtschaftstätigkeit fördert und gleichzeitig die Gesamtinflation senkt. Wir haben kürzlich unsere BIP-Prognose für 2023 von zuvor -0,9% auf nunmehr -0,6% korrigiert – was einem Wert entspricht, der unterhalb des Konsenses liegt.
Im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften besteht für die EZB ein vergleichsweise hohes Risiko einer Überstraffung. So zeigt eine Bewertung der sogenannten „Schattenzinsen“, die die Auswirkungen der quantitativen Straffung einschließen, dass die EZB die finanziellen Bedingungen bisher genauso stark und schneller verschärft hat wie die Fed und die Bank of England, allerdings mit deutlich weniger Zinserhöhungen. Da es Anzeichen dafür gibt, dass die EZB-Verantwortlichen mit kumulativen Zinserhöhungen von bis zu 100 Basispunkten rechnen, könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen angesichts der verzögerten Auswirkungen der Politik auf die wirtschaftlichen Bedingungen allmählich zum Tragen kommen.
Die deutlich schwächeren Daten zum Verbrauchervertrauen und zu den Einzelhandelsumsätzen in Großbritannien könnten ein Vorbote dessen sein, was Europa bevorsteht, da die Bank of England die Geldpolitik früher und stärker gestrafft hat, um die gemeinsame Bedrohung durch die Energieinflation zu bekämpfen. Sollte sich die Konjunktur im Euroraum jedoch als widerstandsfähiger erweisen als prognostiziert, wird die Inflation wahrscheinlich auf einem höheren Niveau bleiben und eine weitere Straffung durch die EZB angemessener erscheinen lassen. Die zuletzt veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes für den Euroraum zeigten eine Verbesserung im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor, wobei der letztere über 50 lag und auf ein Wachstum hindeutet.
In den USA zeichnen sich zwar Einbrüche im verarbeitenden Gewerbe und im Technologiesektor ab, doch bleibt der Arbeitsmarkt insgesamt überraschend stark, wenn man Echtzeitdaten wie die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung heranzieht. Der robuste Arbeitsmarkt könnte letztlich zu einer Verengung der Kreditspreads führen, solange sich die Stärke nicht in einem anhaltenden Lohndruck niederschlägt, der die Fed dazu zwingt, die Schätzungen für ein endgültiges Fed-Funds-Ziel von ca. 5% zu überschreiten.
Von Katharine Neiss, Europäische Chefvolkswirtin bei PGIM Fixed Income