„Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass die Kerninflation bis zum späten Frühjahr weiter ansteigen wird, da die vorausgegangenen Energiepreiserhöhungen erst mit einer gewissen Zeitverzögerung auf Waren und Dienstleistungen außerhalb des Energiesektors wirken. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass die EZB auf ihrer nächsten Sitzung eine weitere Zinserhöhung um 50 Basispunkte und danach vielleicht noch einige kleinere Zinserhöhungen vornehmen wird. Dennoch dürfte der Markt unserer Ansicht nach mit der Einpreisung einer Reihe von Zinserhöhungen auf 4% oder mehr zu weit vorgeprescht sein. Frühere Zinserhöhungen müssen sich erst noch vollständig auswirken und die Herausforderungen für die wirtschaftlichen Aussichten im Energiebereich bleiben bestehen. Was die geldpolitischen Aussichten betrifft, so haben die Märkte in den letzten zwölf Monaten eine 360-Grad Umdrehung, also eine Art doppelte Kehrtwende unternommen. Zunächst war man der Ansicht, dass die Zentralbanken der Entwicklung hinterherhinken und die Leitzinsen deutlich ansteigen müssten, um die Inflation wieder auf das Zielniveau zu bringen. Die Befürchtungen wurden dann durch die Aussicht genährt, dass die Zentralbanken die Zinssätze zu stark anheben und die Wirtschaft in eine Rezession stürzen könnten. Die Sichtweise änderte sich dann zu dem deutlich günstigeren Szenario einer „sanften Landung“, die auf glückliche Umstände zurückzuführen war: Wärmeres Wetter verringerte die Wahrscheinlichkeit von Winterrationierungen im Euroraum und senkte gleichzeitig die Energiepreise. Die ständigen positiven Überraschungen bei den Konjunkturdaten gingen in letzter Zeit mit unerwartet guten Inflationsergebnissen einher. Besonders bemerkenswert war der Anstieg der Dienstleistungsinflation im Euroraum im Vergleich zum Vormonat bei der letzten Vorausschätzung. Dies wiederum hat dazu geführt, dass die Zinssätze im Euroraum weiter nach oben korrigiert wurden, da der Markt nun erneut zu der Auffassung gelangt ist, dass die EZB bei der Bekämpfung der über dem Zielwert liegenden Inflation möglicherweise zu spät dran ist. Vor dem Hintergrund eines derartigen Ausblicks auf die Zinssätze würde es uns nicht überraschen, wenn die Sorge vor einer übermäßigen Straffung wieder aufkäme und die Zinserwartungen in der Folge zurückgingen.“
Von Katharine Neiss, Chief European Economist bei PGIM Fixed Income