Auf die Größe kommt es an: Wird COVID-19 zu einer Machtkonzentration der Konzerne führen?

Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie könnten dazu führen, dass große Unternehmen ihre Dominanz gegenüber schwächeren Mitbewerbern verfestigen. Wir untersuchen die Auswirkungen für Anleger. Aviva Investors | 22.04.2020 19:07 Uhr
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Schon vor der Coronavirus-Pandemie hatten große Unternehmen den kleineren Marktanteile abgenommen, insbesondere im Technologiesektor, wo digitale Plattformen etablierte Unternehmen und Pionierunternehmen begünstigen. Tatsächlich zeigt eine Reihe von Kennzahlen, dass an den Märkten in den Industrieländern in den letzten zwei Jahrzehnten weniger Wettbewerb herrschte, vor allem in den USA.

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die wirtschaftliche Abkühlung die bestehenden Unterschiede zwischen den Unternehmen vergrößern wird. In den letzten drei Rezessionen stiegen die Aktienkurse von US-Firmen im obersten Quartil in zehn Sektoren um durchschnittlich sechs Prozent; die im untersten Quartil fielen um 44 Prozent.1   

Eine ähnliche Divergenz in der Performance zeigte sich in den frühen Phasen der COVID-19-Krise. Die Aktien der 100 widerstandsfähigsten Unternehmen in den USA und in Europa – definiert durch relativ hohe Barreserven als Puffer und niedrige Leverage- und Schuldendienstkosten – fielen laut einer aktuellen Studie zwischen Mitte Februar und Mitte März um rund 17 Prozent, verglichen mit einem Rückgang von 33 Prozent bei den schwächsten 100 Unternehmen.2  

Das ist genau das, was Rezessionen bewirken – sie sind der Anstoß, der „Zombie-Unternehmen“ aus ihrem Elend befreit.

„Einige Unternehmen werden aufgekauft werden, und einige schwächere Akteure werden sich nicht aus der Insolvenz retten können“, sagt Giles Parkinson, Fondsmanager für globale Aktien bei Aviva Investors. „Zum Teil ist das genau das, was Rezessionen bewirken – sie sind der Anstoß, der „Zombie-Unternehmen“ schliesslich aus ihrem Elend befreit.“

Den schlimmsten Schaden nehmen wegen der Eindämmungsmaßnahmen in Bezug auf COVID-19 die Unternehmen im Reise-, Freizeit- und Einzelhandel, weil Flugzeuge am Boden bleiben und Grenzen und Geschäfte geschlossen sind. Schwache Unternehmen in diesen Sektoren wurden in den letzten Jahren durch niedrige Zinssätze und leichten Zugang zu Kapital gestützt.

Die Lockdowns-Bedingungen scheinen den Technologiegiganten zugute zu kommen, die bereits zu den profitabelsten Unternehmen der Welt gehören.

Indes scheinen die Lockdowns-Bedingungen den Technologiegiganten zugute zu kommen, die bereits zu den profitabelsten Unternehmen der Welt gehören. Immer mehr Menschen kaufen online ein, was das E-Commerce-Geschäft von Amazon ankurbelt, während der Nutzungsanstieg von Online-Spielen seiner Einheit Twitch, dem dominierenden Akteur auf dem Markt für E-Sport-Streaming, zugutekommen wird. In ähnlicher Weise profitieren Apple und Netflix von einer größeren Nachfrage nach Streaming-Diensten. Und Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation, Dateninfrastruktur und Telearbeits-Technologie sollten gut aufgestellt sein, da die Mitarbeiter vieler Unternehmen vom Bürotisch ins Homeoffice umgezogen sind.

Gewinner und Verlierer

In ihrem gemeinsam mit Jonathan Tepper verfassten Buch The Myth of Capitalism: Monopolies and the death of competition dokumentierte Denise Hearn die zunehmende Konzentration von Industrien in den USA. Sie ist der Ansicht, dass COVID-19 die im Buch identifizierten Trends wahrscheinlich beschleunigen wird.

Im Bereich Anti-Monopolisierung ist man sehr besorgt darüber, dass die Krise den bestehenden etablierten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft

„Im Bereich Anti-Monopolisierung ist man sehr besorgt darüber, dass [die Krise] den bestehenden etablierten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft“, sagt sie. „Unternehmen wie Amazon stellen 100.000 Arbeiter ein, während sich fast zehn Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer arbeitslos melden.“ Die Krise könnte auch in anderen Branchen zu einer weiteren Konzentration führen. 

Die Daten zeigen, dass die Konzentration auf den US-Märkten in den letzten zwei Jahrzehnten stetig zugenommen hat. Die Zahl der börsennotierten Unternehmen hat sich zwischen 1997 und 2013 halbiert, und die Zahl der Börsengänge ist zurückgegangen (siehe Abbildung 1). Die Gewinne konzentrieren sich zunehmend bei den führenden unter den verbleibenden Unternehmen: Zehn Prozent der börsennotierten Unternehmen sind laut einer Studie von McKinsey für 80 Prozent der Gesamtgewinne weltweit verantwortlich.3  

Diese Trends wurden auf verschiedene Art und Weise zu erklären versucht. Eine Erklärung ist die sich verändernde Zusammensetzung der Wirtschaft. Technologieunternehmen sind durch Netzwerkeffekte schnell gewachsen und haben digitale Plattformen geschaffen, die umso besser werden, je mehr Menschen sie nutzen, so dass Mitbewerber nicht mehr mithalten können. Da andere Sektoren digitale Technologien integrieren, breiten sich die Netzwerkeffekte über die Volkswirtschaften aus. Kleinere Unternehmen können nicht mithalten. Meistens kürzen sie Investitionen in neue Ideen und Prozesse und fallen nur noch weiter zurück.  Des Weiteren nutzen große Unternehmen zunehmend ihren politischen Einfluss, um ihre Mitbewerber zu übertrumpfen, und bestehende Branchenvorschriften festigen oft den Wettbewerbsvorteil größerer Unternehmen. 

Monopol und Monopolstellung

Warum ist das alles so wichtig? Führende Unternehmen sind in der Regel nicht nur deshalb profitabler, weil es ihnen an Wettbewerb mangelt, sondern weil sie gut geführt, effizient und innovativ sind. Die Dominanz eines Unternehmens kann sogar gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile bringen. Wer würde schon behaupten, dass die Welt ohne die iPhones von Apple oder die Office-Software von Microsoft besser dran wäre? Zumal diese Technologien es den Menschen ermöglichen, unter dem Coronavirus-Lockdown in Kontakt zu bleiben. Im Gegensatz zu Standard Oil zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheinen diese Unternehmen ihre Dominanz nicht zu nutzen, um die Kunden abzuzocken – der wichtigste Grundpfeiler des modernen Kartellrechts.

Ein Mangel an Wettbewerb kann in einigen Branchen den Verbrauchern schaden

Dennoch kann ein Mangel an Wettbewerb in einigen Branchen den Verbrauchern schaden. Nehmen wir Breitbandnetze. In den USA haben 75 Prozent der Kunden nur zu einem Hochgeschwindigkeits-Internet-Anbieter Zugang; die anderen haben in der Regel nur zwei zur Auswahl. Die durchschnittlichen monatlichen Kosten für den Anschluss betragen 68 Dollar, verglichen mit weniger als 40 Dollar für einen entsprechenden Anschluss im größten Teil Europas, wo es mehr Anbieter gibt.5  

Eine aktuelle Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat festgestellt, dass in einer Reihe von Branchen in den letzten zwei Jahrzehnten höhere Preisaufschläge erhoben werden. Diese Preiserhöhungen korrelieren mit der zunehmenden Marktkonzentration, da die größten etablierten Unternehmen für den Großteil der Preiserhöhungen in diesem Zeitraum verantwortlich sind (siehe Abbildung 2). Der Trend zeigt sich in allen Industrieländern und in verschiedenen Sektoren. Er ist jedoch in den USA am stärksten ausgeprägt.6 

Zu den Kräften, die hier im Spiel sind, gehört die „Monopolstellung“, d. h. die Monopolmacht eines Nachfragers in einem bestimmten Markt. Als die dominierende Kraft im Verlagswesen kann Amazon beispielsweise die Bücherpreise von Büchern effektiv festlegen. Aber die Monopolstellung ist auch ein Problem auf den Arbeitsmärkten, denn sie ermöglicht es mächtigen Unternehmen, Löhne festzulegen und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer einzuschränken.

Auswirkungen auf Anlagen

Für Anleger in den größten Unternehmen mag deren Dominanz kein dringendes Problem sein – wie Warren Buffett witzelte, ist ein unreguliertes Monopol in gewisser Weise die ideale Investition. Aber die Konzentration der Marktmacht auf einige wenige Unternehmen könnte neue Risiken mit sich bringen.

In dem Maße, wie sich Branchen um einige wenige Großunternehmen herum konsolidieren, werden die Märkte anfälliger für externe Schocks – oder weniger „antifragil“, um den Begriff des Risikotheoretikers Nassim Nicholas Taleb zu verwenden. „Eines der grundlegendsten Konzepte bei Anlagen ist die Diversifizierung. Dennoch haben die Anleger selbstgefällig und tatenlos zugesehen und die Konzentration der Branche sogar freudig begrüßt, weil sie dachten, sie sei gut für die Renditen“, so Hearn.

Längerfristig besteht die Gefahr einer politischen Gegenmaßnahme gegen größere Unternehmen

Längerfristig besteht die Gefahr einer politischen Gegenmaßnahme gegen größere Unternehmen, insbesondere wenn diese Unternehmen in einer Zeit allgemeiner Not ihre Macht konsolidiert und ihre Gewinne gesteigert haben. Es könnten Rufe laut werden, sie zu bremsen, wie zu Zeiten der „muckrakers“ (Bezeichnung zu Beginn des 20. Jahrhunderts für US-amerikanische Journalisten und Schriftsteller, die den investigativen Journalismus begründeten) und „robber barons“ (Bezeichnung im späten 19. Jahrhundert für amerikanische Geschäftsleute, denen skrupellose Methoden vorgeworfen wurden, um reich zu werden oder ihren Reichtum zu erweitern).

Ein neues Gesetz, ähnlich dem Sherman Antitrust Act, der Standard Oil in die Schranken wies, könnte dazu genutzt werden, Technologieunternehmen als öffentliche Versorgungsunternehmen wie Wasser- oder Energielieferanten einzustufen und sie einer strengeren Regulierung zu unterstellen. Vor diesem Hintergrund ist es laut Parkinson wichtig, dass sich langfristige Anleger auf den Wert konzentrieren, den ein Unternehmen für die Verbraucher und die Gesellschaft insgesamt bietet, und nicht nur auf die Renditen, die es den Aktionären bietet.

Eine ähnliche Einschätzung des Wertes gilt, wenn es um die umfassendere Funktion und Verantwortung eines Unternehmens in der Gesellschaft geht. Vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie gab es einen wachsenden Konsens darüber, dass Unternehmen mehr tun müssen, als nur die Aktionäre bei Laune zu halten.7  

Unternehmen sind nur so widerstandsfähig wie das Umfeld in dem sie tätig sind. Die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt ist ein Indiz für die Gesundheit dieses Umfelds

Die Pandemie zeigt deutlich, dass Unternehmen nur so widerstandsfähig sind wie das Umfeld in dem sie tätig sind. Die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt ist ein Indiz für die Gesundheit dieses Umfelds. Unternehmen, die ein aggressives wettbewerbsfeindliches Verhalten an den Tag legen und ihre Dominanz nutzen, um Verbraucher und Mitarbeiter auszubeuten, schwächen letztlich das System als Ganzes. Dieses Ergebnis ist in niemandes Interesse.

Referenz:

  1.  „Best in show“, The Economist, 28. März 2020. 
  2. „Best in show“, The Economist, 28. März 2020. 
  3. „The rise of the superstars“, The Economist, 17. September 2016. 
  4. Jonathan Haskel und Stian Westlake: „Capitalism Without Capital: The rise of the intangible economy“, Princeton University Press, 2017.
  5.  Thomas Philippon: „The US only pretends to have free markets“, The Atlantic, 19. Oktober 2019.
  6.   World Economic Outlook 2019, Internationaler Währungsfonds, April 2019.
  7.  „Cwtch: Has capitalism gone cuddly?“, Aviva Investors, Februar 2020.
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