Die EZB schloss sich heute der Fed an und erhöhte den Leitzins um 75 Basispunkte, was aggressiver war, als die Märkte erwartet hatten. Dieser Schritt erschien uns unvermeidlich, da die EZB angesichts der überraschenden Inflationsentwicklung im August, bei der sowohl die Gesamt, als auch die Kerninflation neue Höchststände erreichten und die Gesamtinflation einen zweiten Monat lang über der US-Inflation lag, ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen wollte. Da die Kerninflation mehr als das Doppelte des EZB-Ziels betrug und weiter anstieg, war es unmöglich zu argumentieren, dass dieser Inflationsschub nur vorübergehend und rein energiebedingt war: Die EZB musste mit Nachdruck auf die Kritik reagieren, dass sie hinter der Kurve zurückgeblieben sei, insbesondere angesichts der Befürchtung, dass Zweitrundeneffekte zu greifen begannen. Bei dieser Anhebung ging es auch darum, einen Boden unter den Euro zu legen und die zusätzlich importierte Inflation, die seine Schwäche mit sich gebracht hatte, in Schach zu halten.
Wir gehen davon aus, dass die EZB ihr Tempo bei den Zinserhöhungen verlangsamen und im Oktober weitere 50 Basispunkte und im Dezember 25 Basispunkte anheben wird, so dass der Leitzins (Einlagenzins) zum Jahresende bei 1,50 % liegen wird. Die heutige "Supererhöhung" war weniger ein Vorziehen als ein Nachholen, dürfte der EZB aber eine Atempause verschaffen, damit sie sich auf andere Themen konzentrieren kann, wie z. B. die mögliche Beendigung der Reinvestitionen in das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) und die Aktivierung des Transmissionsschutzinstruments (TPI). Wie die revidierten Prognosen der EZB zeigten, wird 2023 ein düsteres Jahr werden, und die Zentralbank braucht so viel Flexibilität wie möglich.
Altaf Kassam, Leiter des Investment Strategy & Research EMEA bei State Street Global Advisors