"Die EZB hat heute zur Überraschung einiger Marktteilnehmer die Zinsen um 50 Basispunkte erhöht. Dieser Schritt war zwar erwartet worden, aber er war nicht so eindeutig wie der letzte. Zwar hatten verschiedene Sprecher des EZB-Rats 50 Basispunkte angedeutet und argumentiert, dass die Leitzinsen bereits auf neutralem Niveau lägen, doch die Kerninflation blieb hartnäckig hoch, so dass 75 Basispunkte oder mehr zu erwarten waren.
Die Möglichkeit einer weiteren Anhebung um 75 Basispunkte wurde insbesondere dadurch genährt, dass Direktoriumsmitglied Schnabel ihre Besorgnis über Effekte zweiter Ordnung und die Lohn-Preis-Spirale zum Ausdruck brachte, doch letztlich entschied sich der EZB-Rat für eine abgeschwächte Anhebung mit einer aggressiven Kommunikation. Sie schlossen insbesondere die Möglichkeit einer weiteren Anhebung um 75 Basispunkte in der Zukunft nicht aus und bekräftigten damit ihre "datenabhängige" und "sitzungsbezogene" Kommunikation der letzten Monate, die sicherstellte, dass diese geringere Anhebung nicht als "dovish" interpretiert wurde und keine Änderung der insgesamt restriktiven Politik verriet.
Dieser Schritt zeigt, dass die EZB weiterhin dem Beispiel der Fed folgt, obwohl sie erst später damit begonnen hat und daher noch immer dem Vorwurf ausgesetzt ist, zu spät zu handeln. Die Bank hat auf diese Kritik reagiert, indem sie betonte, dass der Straffungszyklus noch nicht abgeschlossen ist - was eine Endrate von annähernd drei Prozent impliziert -, indem sie hinzufügte, dass sie eine beträchtliche Bilanzreduzierung - hauptsächlich durch TLTRO-Rückzahlungen - in Angriff nimmt, und indem sie die Schlüsselprinzipien der QT ankündigte - mit dem Schwerpunkt auf Gradualismus und Vorhersehbarkeit, um jegliche Befürchtungen zu zerstreuen, die Märkte könnten instabil werden.
Mit Blick auf die Zukunft gehen wir davon aus, dass die EZB ihr Tempo der Zinserhöhungen erst Mitte nächsten Jahres wieder verlangsamen wird, wobei eine Zinssenkung nicht vor 2024 zu erwarten ist. Angesichts des Konsenses über die heutige Zinserhöhung war das Interesse an den Inflationsprognosen der EZB für 2025, die erneut nach oben korrigiert wurden und zeigen, dass das Inflationsrisiko weiterhin nach oben gerichtet ist, größer als üblich. Wie diese Prognosen zeigen, dürfte 2023 ein schwieriges Jahr werden, und die Zentralbank braucht so viel Flexibilität wie möglich."
Altaf Kassam, Leiter des Investment Strategy & Research EMEA bei State Street Global Advisors