Die Globalisierung hat in den letzten 30 Jahren eine wohlhabendere und im Vergleich zu früheren Perioden auch eine relativ friedlichere Welt geschaffen; sie hat es einem Großteil der Weltbevölkerung ermöglicht, der Armut zu entkommen. Eine Rückkehr zu Nationalisierung und Zentralismus würde diesen Wohlstand gefährden.
Pragmatisch betrachtet bleibt die Tatsache, dass diese Pandemie einen sehr hohen wirtschaftlichen Tribut fordert und fordern wird. Die Krise wird zu Verhaltensänderungen bei Regierungen, Verbrauchern und Unternehmen gleichermaßen führen. Die große Mehrheit der Regierungen hat eine strikte Haushaltspolitik aufgegeben.
Dies ist in den USA beispielsweise der Fall. Doch das Land hat das Privileg, sich über den US-Dollar refinanzieren zu können – der bedeutendsten internationalen Reservewährung der Welt. In der Eurozone gibt es unterdessen Anzeichen einer „Japanisierung“ mit einer alternden Bevölkerung und wachsenden Schulden, die von der EZB aufgekauft werden. Aber die ideologische Kluft zwischen den nord- und südeuropäischen Ländern vergrößert sich. Obwohl sich Europa auf ein allgemeines Konjunkturpaket geeinigt hat, ist diese Lücke noch lange nicht geschlossen. Dieses Thema wird wahrscheinlich wieder aufkommen, sobald die Epidemie abgeklungen ist. Die Finanzmärkte werden also zwangsläufig die Stärke der Eurozone erneut auf die Probe stellen, insbesondere wenn bestimmte Länder der Eurozone von den Rating-Agenturen erneut in ihrer Bonität herabgestuft werden.
Bis das jedoch der Fall ist, werden andere Themen stärker in den Vordergrund rücken: Allen voran die Abhängigkeit von Zulieferern. Die Debatte darüber hat bereits mit dem Handelskrieg begonnen. Die aktuelle Krise hat uns noch stärker vor Augen geführt, dass unsere Volkswirtschaften zu stark von internationalen Subunternehmern abhängig sind. Daher wird im Rahmen der nationalen Sicherheit erörtert werden, wie der Gesundheitssektor, die Nahrungsmittel- und Energieversorgung sowie möglicherweise die Verteidigung zukünftig strukturiert werden sollten.
Ein großer Nutznießer dieser Krise ist die „Online-Welt“. Die Netzinfrastruktur, Internetsicherheit, 5G und Videokonferenzen werden für die dezentrale Arbeit immer wichtiger, insbesondere weil sich die Arbeit im Home-Office wahrscheinlich weiter durchsetzen wird.
Auch die Themen Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG) werden durch die Krise eine größere Bedeutung erlangen. Bereits vor der Krise wurde deutlich, wie wichtig diese Themen für Unternehmen sind. In der Krise hat sich nun aber gezeigt, dass Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften und fair mit ihren Stakeholdern umgehen, stärker von Investoren nachgefragt werden.
Jean-Marie Mercadal, CIO des französischen Vermögensverwalters OFI AM