CIO Weekly Perspectives | Riskieren die Notenbanken ihre Unabhängigkeit?

Die Geldpolitik könnte ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Der Einfluss der Politik würde dann vielleicht wachsen und unseren schwer erkämpften Sieg über die Inflation gefährden. Neuberger Berman | 26.05.2021 16:00 Uhr
Brad Tank, Chief Investment Officer – Fixed Income, Neuberger Berman / © Neuberger Berman
Brad Tank, Chief Investment Officer – Fixed Income, Neuberger Berman / © Neuberger Berman
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Letztes Jahr hat Mervyn King auf einer virtuellen Vortragsreise ein Buch beworben, das er gemeinsam mit dem Volkswirt John Kay verfasst hat: Radical Uncertainty: Decision-making for an unknowable future (Radikale Unsicherheit: Entscheidungen für eine unbekannte Zukunft). Als früherer Gouverneur der Bank of England und heutiger Alan Greenspan Professor of Economics an der Stern School of Business in New York hat er Interessantes zur Rolle der Notenbanken zu sagen.

Besonders groß war auch das Interesse an einem Artikel, den er im März für Bloomberg schrieb: The Looming Test for Central Bank Independence (Die Unabhängigkeit der Notenbanken auf der Probe). Am 70. Jahrestag der Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit durch eine Vereinbarung mit dem US-Finanzministerium würde die Fed ebenso wie andere Notenbanken ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen und politische Einflussnahme dadurch wahrscheinlicher machen, warnt King. Am Ende würde unser schwer erkämpfter, vor 40 Jahren errungener Sieg über die Inflation gefährdet.

Nach der koordinierten milden Reaktion der großen Notenbanken auf den jüngsten Inflationsanstieg halten wir diese Warnungen für aktueller denn je.

Radikale Unsicherheit

Die erste Art und Weise, wie die Notenbanken ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen könnten, hat mit Kings „radikaler Unsicherheit“ zu tun.

Niemand weiß, wie die Wirtschaft in drei Jahren dasteht. Aber die Fed scheint sich sehr sicher zu sein, dass sie noch immer extrem niedrige Zinsen braucht.

Falls die Fed unrecht hat, kann daraus nichts Gutes werden: Wenn sie die Wirtschaft dann heiß laufen lässt, könnte die Inflation aus dem Ruder laufen. Und wenn sie eine unerwartete Inflation im Keim erstickt, hält sie ihre Zusicherungen nicht ein und sorgt damit für Irritationen.

„In so unsicheren Zeiten ist es am besten, sich alle Möglichkeiten offenzuhalten“, schreibt King. Aber die Notenbanken scheinen es anders zu sehen.

Keine klare Rolle

Notenbanken könnten ihre Glaubwürdigkeit aber auch auf andere Art gefährden. Für ihre Unabhängigkeit wäre das noch sehr viel schlimmer.

King verweist darauf, dass die Notenbanken in der aktuellen Krise keine klare Rolle haben – abgesehen davon, dass sie die Märkte auf ihrem Tiefpunkt stabilisieren mussten. Die Geldpolitik verfügt zwar über eine Reihe antizyklischer Instrumente, aber die jüngste Rezession war kein klassischer Konjunktureinbruch, sondern ein vom Staat verfügter vorübergehender Stillstand der Wirtschaft. In einer Pandemie könne man Menschen nicht mit niedrigeren Zinsen zu einem Theater- oder Restaurantbesuch bewegen, schreibt King. Die Regierungen seien gefragt.

King findet es auch bedenklich, dass im Rahmen des Quantitative Easing jetzt Unternehmensanleihen gekauft werden. Weil nicht alle Unternehmen ein Investmentgrade-Rating hätten, griffen die Notenbanken mit diesen Käufen in die Kapital- und Liquiditätsallokation ein. Aber das sei – wenn überhaupt – Aufgabe der Regierungen. Es ist schwer zu erklären, warum die Angst vor steigenden Zinsen Wachstumswerte einbrechen lässt, aber Credits nicht schadet, bis man sich nicht vor Augen hält, dass die Notenbanken Credits stützen, Wachstumsaktien hingegen nicht.

Grenzüberschreitung

Der frühere Gouverneur der Bank of England könnte aber noch viel weiter gehen.

Nehmen wir etwa den Klimawandel. Es ist schon sinnvoll, dass die Bank of England bei ihrer makroprudenziellen Politik jetzt auch das Klimarisiko berücksichtigt. Aber die Pläne der Europäischen Zentralbank (und der Schwedischen Nationalbank), das auch beim Quantitative Easing zu tun, sind eine Grenzüberschreitung. Die Notenbanken machen damit Politik. Auch die Ziele der 83 Notenbanken, die das Network for Greening the Financial System gegründet haben, sind politisch.

Ähnliches gilt auch für das neue Konzept der Fed. Laut Powell soll Vollbeschäftigung jetzt „umfassend“ und „inklusiv“ sein. Eine starke Wirtschaft, so der Notenbankchef, käme vor allem „Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen“ zugute.

Natürlich haben es manche am Arbeitsmarkt schwer, aber aus den letzten fünf Jahren wissen wir, dass auch sie durchaus Arbeit finden können – falls der Aufschwung lange genug dauert, dass Arbeitskräfte wirklich knapp werden. Bleibt die Fed daher bis weit in den Aufschwung hinein expansiv, um eine „inklusive“ Vollbeschäftigung zu erreichen? Genau wissen wir es nicht, aber Powell scheint sehr darauf fixiert, auch die letzten acht Millionen durch Corona verloren gegangenen Arbeitsplätze wiederherzustellen. Dabei sind viele Tätigkeiten vielleicht für immer verschwunden. Die Wirtschaft braucht aber Zeit, um neue zu schaffen.

Perfekte Voraussetzungen für einen Coup

Wie King in seinem Artikel Looming Test schreibt, führte Inflationsdruck in den 1940ern zu einem Konflikt mit dem offiziellen Ziel der Fed, den USA durch niedrigere Langfristrenditen im Zweiten Weltkrieg zur Seite zu stehen. Im Treasury-Federal Reserve Accord reagierte man darauf mit einer klaren Aufgabenteilung zwischen Regierung und Notenbank. Nur deshalb konnte Fed-Chairman Paul Volcker in den frühen 1980er-Jahren mit drastischen Maßnahmen die Inflation bekämpfen.

Um Volckers Erfolge zu sichern, bestand sein Nachfolger Alan Greenspan auf einem klaren Notenbankmandat, eng gefasst und transparent kommuniziert. Wir meinen, dass dies notwendige Änderungen der Geldpolitik für die Märkte prognostizierbarer machte und Regierungen jeglichen Vorwand nahm unangemessenen Druck auszuüben.

Heute droht dies in Vergessenheit zu geraten. Die großen Notenbanken überdehnen bisweilen ihr Mandat. Oft fehlt es ihnen am Instrumentarium, um ihre neuen, selbst gewählten Ziele effektiv zu verfolgen. Dies könnte zu ihrem scheitern führen und somit ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.

Wir halten dies für die perfekten Voraussetzungen für einen Angriff auf ihre Unabhängigkeit.

Brad Tank, Chief Investment Officer – Fixed Income, Neuberger Berman

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